Strawinskys 50. Todestag: John Neumeier über dessen Ballettmusiken
Regelmäßig inszeniert Ballettdirektor John Neumeier in Hamburg Igor Strawinskys Kompositionen. Zum 50. Todestag des Komponisten erklärt Neumeier, warum ihn Strawinskys Musik so begeistert.
Igor Strawinsky und Hamburg heißt auch: Igor Strawinsky und John Neumeier. Schließlich hat Strawinsky furiose, einehmende, energetische, skandalöse Ballettmusik geschrieben - allen voran "Le Sacre du Printemps", das Skandalstück, bei dem das Pariser Publikum 1913 schon nach dem ersten schrillen Ton des Fagotts empört das Theater verließ. John Neumeier holt Strawinskys Ballettmusik immer wieder zurück nach Hamburg an die Staatsoper, kreiert mitreißende Choreografien zum "Feuervogel", "Petruschka" und natürlich "Le Sacre". "Er ist der wichtigste Komponist des 20. Jahrhunderts für Ballett überhaupt. Ich denke 'Le Sacre de Printemps' ist zweifellos die wichtigste Musik eines großen Komponisten, die als Ballett konzipiert und geschrieben worden ist", sagt Neumeier.
"Le Sacre" ist wie Heavy Metal

"Le Sacre" sei die größte Ballettpartitur des 20. Jahrhunderts, sagt John Neumeier. Er selbst hat Anfang der 1970er-Jahre ein sinfonisches Ballett dazu kreiert - mit Tänzern und Tänzerinnen, die wie nackt wirkten in ihren fleischfarbenen Trikots und einer nackten Solistin. "Es war eine Zeit, in der die Nacktheit Teil des Theaters war", sagt John Neumeier heute. Weit entfernt von einem Skandal also. Die über 100 Jahre alten Komposition von "Le Sacre" wirke heute aber noch genauso gewaltig. "Das ist wie Heavy Metall", hat der Dirigent Krzysztof Urbański mal gesagt - und Neumeier stimmt zu: "Es ist immer noch ein Schock, diese Musik zu hören. Sie hat nichts an ursprünglicher Aggression und Stärke verloren."
Die Musik habe ein unmittelbare Sinnlichkeit, sei nicht notwendig mit einer Erzählung verbunden, sondern existiert für sich allein. Wie der moderne Tanz, der auf einmal wegging von einer geplanten Serie oder von Bewegungen, die man in verschiedener Reihenfolge zusammenstellen konnte. "Es ist eine Musik, die frei und für sich dasteht - wie alles in der modernen Kunst zu dieser Zeit", erklärt Neumeier.
1962 Ballettgala zu Strawinskys 80.
Ein großes Ereignis - auch für die Hamburger Ballettwelt - war die Ballettgala 1962 für Igor Strawinsky zu seinem 80. Geburtstag. John Neumeier hat Strawinsky also nur um elf Jahre verpasst - 1973 kam er selbst nach Hamburg. Kennengelernt hat er Strawinsky persönlich nie. Dafür gibt es in seiner Sammlung Briefe, Abbildungen und Fotos aus und zu Strawinsky Ballettstücken. 50 davon sollten eigentlich für eine große Strawinsky-Ausstellung im Bucerius Kunstforum ausgeliehen werden, erzählt John Neumeier, die jetzt aber wegen der Pandemie ausgefallen sei.
Die Frage übrigens, ob auch er mal ein Ballettstück kreieren möchte, das Strawinsky gleich einen Skandal in der Hamburgischen Staatsoper provoziert, sei für ihn absurd, sagt John Neumeier. Er wolle einfach gute Stücke erschaffen: "Es ist nicht meine Aufgabe, nachzudenken: Was könnte ich machen, was ein Skandal wäre."
