Das Prime Orchestra beim Kultur-Sommer in Wolfenbüttel © NDR.de/Mira Brunck Foto: Mira Brunck

Prime Orchestra: Kulturelle Friedensmission aus der Ukraine

Stand: 22.07.2022 12:34 Uhr

Charkiw ist die Heimatstadt des Prime Orchestras. Die Organisation "Musikland Niedersachsen" ermöglichte dem Ensemble eine kleine Tour, doch ob die Musiker*innen weiter als Botschafter*innen auftreten dürfen oder zurück in die Ukraine müssen, ist bislang unklar.

von Mira Brunck

Ob Songs von Queen, OneRepublic oder Billie Eilish: Das Prime Orchestra aus Charkiw riss an diesem Abend beim Kultur-Sommer in Wolfenbüttel alle mit. Blau-gelbe Fahnen wirbelten durch die Luft, manche tanzten, andere hatten Tränen in den Augen. Und wenngleich das Ensemble eigentlich größeres Publikum gewohnt ist, bedeutet dieser Abend für Alexei, den Gitarristen und Mitgründer des Orchesters, weit mehr als nur ein Konzert: "Wir haben eine große Mission bekommen von der Ukraine: eine kulturelle Mission, eine Friedensmission." Und auch Bassistin Daria möchte an diesem Abend eine klare Botschaft weitergeben: "Wir wollen sagen, dass wir ein großes Problem in unserem Land haben und dass wir Hilfe brauchen. Wir wollen laut sein, laut über den Krieg, denn es ist eine große Katastrophe."

"Mein Herz zerbricht, denn wir lesen die Nachrichten, wir sehen diese schrecklichen Bilder", erzählt Frontsänger Maxim ergriffen. "Wir wissen, dass viele der Bühnen, auf denen wir einst spielten, bereits zerstört sind. Ich weiß gerade nicht einmal, ob mein Zuhause noch steht. Aber es ist nicht an der Zeit, sich zu beklagen. Denn ich bin am Leben, ich atme, ich kann etwas tun. Etwas Wertvolles an der kulturellen Front."

Prime Orchestra: Viel Unterstützung aus Wolfenbüttel

Das Prime Orchestra beim Kultur-Sommer in Wolfenbüttel hinter einer Ukraine-Flagge © NDR.de/Mira Brunck Foto: Mira Brunck
Das Prime Orchestra ist auf einer kulturellen Friedensmission für die Ukraine. Die Einnahmen spendet das Ensemble an seine Heimatstadt Charkiw.

Auf den Krieg aufmerksam machen, die Ukraine im Bewusstsein halten, die Einnahmen nach Charkiw spenden und den Ukrainerinnen und Ukrainern hier Trost. Dass all dies möglich ist, ist unter anderem Andre Volke aus Wolfenbüttel zu verdanken. Vor einem Monat besuchte er das letzte der vier geplanten Konzerte in Niedersachsen. Danach wären die Charkiwerinnen und Charkiwer eigentlich für weitere Auftritte nach Polen gereist. Doch kurz vor ihrer Abfahrt wurde die Tour aus finanziellen Gründen abgesagt.

Andre Volke, der die Musikerinnen und Musiker beim Konzert kennengelernt hatte, hatte davon erfahren: "Ich habe gefragt: Wo geht es denn jetzt hin? Sie haben mich mit großen Augen angeguckt und gesagt: Wir wissen es nicht, wir wissen nicht wohin. Die einzige Option wäre, wir gehen zurück in die Ukraine, aber auch da sind wir perspektivlos. Da war mir relativ klar: Wenn wir das Prime Orchestra am Leben erhalten wollen, müssen wir eine Lösung dafür finden." Und eine Unterkunft - für fast 40 Leute gar nicht so einfach. Doch dank guter Kontakte war sie schnell gefunden, eine Skihütte des Wolfenbüttler Schwimmvereins, mitten im Harz. Dank vereinter Kräfte von Stadt, Vereinen, Stiftungen und vielen Wolfenbüttlerinnen und Wolfenbüttlern konnte für die gestrandeten Musikerinnen und Musiker gesorgt werden. Das weiß auch der Frontsänger Maxim zu schätzen: "Es geht uns hier sehr gut, denn die Menschen helfen uns und das fühlen wir. Wir fühlen Unterstützung, wir spüren sie sehr."

Musik als gemeinsame Sprache

Dennoch ist die Zukunft ungewiss. Denn aktuell dürfen zumindest die männlichen Musiker nur aufgrund einer Sondergenehmigung des ukrainischen Kultusministers hier sein. Die läuft aber am 31. Juli aus, erzählt Andre Volke: "Das hängt ein bisschen wie ein Damoklesschwert über dem Ganzen und das ist wirklich die Horrorvorstellung für mich, zu sagen: Hier spielen sie Musik und müssen morgen zurück an die Front und vielleicht kämpfen."

Doch das Ensemble ist optimistisch, dass die Sondergenehmigung verlängert wird. In dieser Woche haben sie gemeinsam ein Mehrfamilienhaus in Wolfenbüttel bezogen, in dem sie hoffen, zu bleiben. Denn mittlerweile konnten so viele weitere Konzerte organisiert werden, dass die Musikerinnen und Musiker bis Ende des Jahres fast jedes Wochenende auftreten und ihre Friedensbotschaft so weitertragen könnten - und das nur durch die Musik, schwärmt Bassistin Daria: "Es ist eine Chance, mit Menschen aus anderen Ländern zu sprechen in einer Sprache, die jeder kennt. Jeder versteht Musik. Ich spreche kein deutsch oder spanisch, aber wenn ich spiele, dann verstehen die Menschen mich."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 22.07.2022 | 06:40 Uhr

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