Israelin Liraz liefert den Soundtrack des iranischen Aufruhrs

Stand: 08.11.2022 06:00 Uhr

Mit ihrer Musik bittet die Israelin Liraz Charhi die Welt darum, die Stimme des Protestes im Iran zu hören - und verfolgt dabei auch ein persönliches Ziel.

von Claudia Drexel

Die Musik der Sängerin Liraz Charhi ist zum Soundtrack des iranischen Aufruhrs geworden, zu ihren Liedern tanzen iranische Frauen. Das Besondere daran: Liraz lebt in Israel und ist Jüdin. Ein Porträt.

Liraz Charhi singt: "Zusammen werden wir eine Revolution starten"

Liraz Charhi fiebert mit den Kämpfenden und will ihnen mit ihren Liedern Kraft geben. So heißt es in einem der Songs von Liraz: "Zusammen werden wir eine Revolution starten".  

Sechs Frauen schauen mit ernstem Blick in die Kamera. Ihre Körper sind von Kopf bis Fuß umhüllt. So wie die iranische Kleiderordnung es vorsieht. Und doch wirkt das Musikvideo fast fröhlich, denn die Kleider der Frauen sind bunt - gelb, rosa, blau. Dann beginnen sie zu tanzen. Das ist im Iran verboten. Was dann folgt, ist aus Sicht des iranischen Regimes schlicht unerhört:

Zusammen werden wir eine Revolution starten. Wie lange werden wir noch ruhig sein, unseren Kopf gesenkt halten, unsere Knie gebeugt? Zitat aus eine Song von Liraz

Mindestens genauso unerhört wie der Text ist die Sängerin. Die Israelin und Jüdin singt auf Farsi, der Sprache des Iran. "Dabei geht es wirklich nicht um mich. Ich habe die Entscheidung getroffen, weil ich die Botschaft der Frauen im Iran verbreiten will, die bis heute nicht frei reden können. Die noch nicht einmal so etwas Normales machen können wie singen." so Liraz.

Liraz schwenkt von Hebräisch auf Farsi um

Liraz wurde in Israel geboren. Ihre Eltern, jüdische Iraner, mussten ihre alte Heimat verlassen. In Israel ist Liraz eine bekannte Schauspielerin und Popsängerin. Dass sie von Hebräisch auf Farsi umschwenkte war mit Risiken verbunden - für ihre Karriere, aber auch, weil sie mit iranischen Musikern zusammenarbeiten wollte. Zunächst online, am Rechner.

Bei ihrem neuen Album aber trafen sich die Musiker wirklich - heimlich - in einem Kellerstudio in Istanbul. "An dem Tag, als sie wieder abreisten, sollte ich noch einen letzten Song einsingen. Aber ich konnte nicht. Meine Stimme war weg. Ich dachte, das Projekt war ein Riesenfehler. Bis sie zuhause waren, konnte ich nicht atmen."

Demonstranten während eines Protestes in der Innenstadt von Teheran gegen den Tod der 22-jährigen Iranerin Mahsa Amini. (Aufnahme vom September 2022) © Uncredited/AP/dpa
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"Azizam": Liebeslied handelt vom Iran

Eines der Lieder, das so entstanden ist, "Azizam", klingt wie Liebeslied: zwei Menschen, die sich nacheinander sehnen. Der von Liraz hier besungene Azizam, sprich, der Liebste, ist Liraz' Azizam, also der Iran, so sagt sie. Das Lied handele auch von den Protesten. "Das ist ein Song über den Sieg. Darüber, sich zu treffen und das Leben zu feiern. Wir könnten jetzt über viele traurige Sachen sprechen, aber ich glaube, dass Revolutionen auch daraus hervorgehen, dass Menschen einfach ganz bei sich sind, glücklich, kreativ - wenn sie Musik schreiben oder tanzen."

Tatsächlich ist ihre Musik längst Teil des Protestes im Iran. Jeden Tag erhält sie Nachrichten und Videos: von iranischen Frauen, die verbotenerweise zu ihren Liedern tanzen - ohne Kopftuch! Oder Bilder von Demonstrationen gegen das Regime, unterlegt mit ihrer Musik. "Häufig frage ich mich, warum tun wir das bloß? Ist das wirklich so wichtig? Aber dann sage ich mir: ja. Es ist nicht nur Musik. Wir haben eine Botschaft."

"Roya": Lied über eine friedliche Welt

In ihrem Lied "Roya", zu Deutsch: Vision, beschreibt sie eine friedliche Welt, die durch eine aufrechte Haltung und Entschlossenheit zustande kommt. Was sie damit meint, zeigt sie auch bei ihrem Konzert in Hamburg. Mit knallengem goldenen Jumpsuit betritt sie die Bühne. Ihr rotes Kopftuch glitzert. Beim ersten Song aber nimmt sie es mit auslandender Pose ab, schwingt es über ihren Kopf und lässt es auf den Boden gleiten. Das Publikum hier, darunter viele Deutsch-Iraner, ist tief berührt, "Wenn man ihre Musik hört, dann ist das Arabisch, Persisch, und jüdische Musik gemixt und das ist einmalig", berichtet eine Frau im Publikum. "Wenn man da so sieht, dass die Frauen auch kämpfen, versucht man auch hier etwas zu tun; Mitgefühl zu zeigen und sich dafür stark zu machen," erzählt eine andere.

Mit ihrer Musik bittet Liraz die Welt darum, die Stimme des Protestes im Iran zu hören. Sie verfolgt dabei auch ein ganz persönliches Ziel: "Im nächsten Kapitel meiner Geschichte steht ein neues Album und ein Konzert in Iran, ganz sicher", erzählt sie lachend. Lange wird das nicht mehr dauern, davon ist Liraz überzeugt.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 08.11.2022 | 16:00 Uhr

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