Selcuk Cara provoziert mit Wagner-Inszenierung
Selcuk Cara aus Friesland macht gerade in Nürnberg Schlagzeilen. Dort inszeniert der Regisseur eine Bearbeitung von Richard Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg". Und das nicht irgendwo in Nürnberg, sondern auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände der Nazis. Das Projekt ist Teil der Nürnberger Bewerbung für den Titel "Europäische Kulturhauptstadt". Doch die Verbindung von Wagner mit der NS-Vergangenheit der Stadt können manche nur schwer ertragen. Schon vor der Premiere gab es heftige Kritik.

Ein Glatzkopf mit Hitlerbärtchen und Uniformhemd zupft auf seiner Geige und schmettert eine groteske Canzonetta. Man spürt sofort: Eine klassische Meistersinger-Inszenierung ist das hier nicht. Es ist nicht Sixtus Beckmesser, der auf der Bühne singt. Es ist Julius Streicher, NS-Gauleiter von Mittelfranken und Herausgeber des Hetzblattes Der Stürmer. Dahinter steckt eine zentrale Inszenierungsidee Selcuk Caras. Er will die Geschichte des Reichsparteitagsgeländes mit Motiven der Meistersinger erzählen.
"Die Meistersinger von Nürnberg" auf NS-Parteitagen

Für Cara gehört beides zusammen. Ab 1935 wurden die NS-Parteitage mit dieser Oper eröffnet. "Man hat damals damit zu Beginn Energie getankt, um dann mit dieser Energie die Rassegesetze zu verkünden", erklärt Cara. "Julius Streicher hat außerdem mit den Worten 'Fanget an!' aus den Meistersingern die Zerstörung der Nürnberger Synagoge befohlen", sagt Cara. Es gebe viele Bezüge zwischen den 'Meistersingern' und diesem Ort. Cara will die Wirkungsgeschichte der Wagner-Oper beleuchten.
Yankee-Doodle und Schofar

In Caras etwa hundertminütigem Meistersinger-Extrakt begegnen sich Mittelalter, Nazizeit, Gegenwart und Zukunft. Luther und Hitler streiten sich, wer der größere Judenhasser sei. Dazwischen erklingen echte Zitate von heutigen Rechtspopulisten - Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen. Geschichte wiederholt sich. Statt einer großen Show entsteht ein eindringliches Kammerspiel mit viel Symbolik. Der Nachtwächter bläst ins jüdische Schofar, der Yankee-Doodle erklingt, als Streicher zum Nürnberger Kriegsverbrecherprozess geleitet wird. Die "Muse des Parnass", die in den ‚Meistersingern‘ nur besungen wird, legt Cara als Sprechrolle mit Engelsflügeln an.
Selcuk Cara sucht den Konflikt
Man hat sicher schon waghalsigere Wagner-Inszenierungen gesehen und doch triggert Selcuk Cara mit seinem Projekt viele Nürnberger und die Wagnerianer. Die Nürnberger Zeitung schäumte. Und sogar aus Hamburg schrieb der Wagner-Kenner Udo Bermbach vor der Premiere einen Verriss, ohne allerdings eine einzige Szene selbst gesehen zu haben. Cara spiele das Spiel der Nazis, schreibt Bermbach. Und ohne weitere Kenntnis des Projekts weist er darauf hin, dass sogar Hitler Eingriffe in das Libretto oder die Partitur nie zugelassen habe. Man spürt die Nervosität. Wenn man Cara kennt, weiß man, dass Deeskalation nicht seine größte Stärke ist. Er selbst war viele Jahre als Opernsänger tätig. Seine Autobiographie "Türke - Aber trotzdem intelligent", in der er von Widerständen, die er als Wagner-Sänger mit türkischen Wurzeln erlebt hat, berichtet, wurde ein Bestseller. Cara sucht den Konflikt und mit der bearbeiteten Inszenierung "Der Meistersinger von Nürnberg" hat er offenbar einen Nerv getroffen.
Ohne Orchester und drinnen
Eigentlich sollte das Projekt in der Ruine der Kongresshalle als Teil der Kulturhautstadtbewerbung aufgeführt werden. "Da war jede der vier Bühnen 16 mal 16 Meter groß. Die Aufführung war für 3.000 Zuschauer geplant", sagt Cara. Dann kam Corona, und alles wurde kleiner. Selcuk Cara hat allerdings das Gefühl, dass die Pandemie nicht der einzige Grund war: "Gut, dass wir jetzt sagen können, dass es nur an Corona lag, aber ich hatte das Gefühl, dass man versucht hat, es einem auf Biegen und Brechen schwer zu machen." Während die Mitarbeiter aus dem Kulturhauptstadt-Bewerbungsbüro hinter ihm stünden, habe es aus der Stadtgesellschaft heraus erhebliche Widerstände gegeben. Die Proben und eine kleine Premiere am Sonntag für geladene Gästen fanden nun in einem Raum der Kongresshallen-Ruine statt. Eine größere Aufführung nach Corona ist weiterhin geplant. In den kommenden Wochen soll das Projekt als Opern-Film auf der Homepage der Kulturhauptstadtbewerbung Nürnberg zu sehen sein.
