Bundesjugendorchester probt mit Ukrainischem Jugendorchester © Sabine Siemon Foto: Sabine Siemon

Deutsches und ukrainisches Jugendorchester proben in Rendsburg

Stand: 29.06.2022 10:43 Uhr

Drei Benefiz-Konzerte soll es vom Bundesjugendorchester und dem Jugend-Sinfonieorchester der Ukraine geben, unter anderem in Hannover. Geprobt wird derzeit in Rendsburg. Ein Ortsbesuch.

von Raliza Nikolov

Maja Hiemsch aus Hannover führt die Bratschen-Gruppe an. Die junge Frau mit dem fröhlich-bescheiden-zugewandten Auftritt ist mittlerweile 18. Vor zwei Jahren ist sie ins Orchester gekommen: "In den ersten Proben hat man schon gemerkt, dass auch wenn es manchmal mit der Kommunikation sprachlich ein bisschen schwierig ist, es trotzdem total schön ist, dass es bei den Proben zu gar keinen Problemen kam, weil man das Musizieren zusammen kennt, und deswegen überhaupt gar keine andere Sprache braucht." Maja Hiemsch studiert bei Christian Pohl in Hannover und kann jetzt eigentlich aufatmen - endlich wieder aktiv werden trotz Corona.

"Freundschaft" ist das Motto beim Bundesjugendorchester in diesem Jahr. In diesen Zeiten klingt das fast ein bisschen trotzig. Aber die Kooperation mit dem ukrainischen Jugendorchester besteht schon viel länger und Orchesterdirektor Sönke Lentz liegt Pathos im besten Sinn fern: "Man wird wie immer bei Jugendlichen feststellen, dass man den einen mag und die andere nicht, hier gibt es ja auch keinen Zwang, dass man verheiratet werden muss, sondern die Menschen finden zueinander intensiver oder weniger intensiv, wie das Leben halt spielt. Aber die gemeinsame Aufgabe und die gemeinsame Motivation schweißen natürlich zusammen."

Mitglieder des ukrainischen Jugendorchesters wirken nicht ganz gelöst

Bundesjugendorchester probt mit Ukrainischem Jugendorchester © Sabine Siemon Foto: Sabine Siemon
Die Fagottistin Annika Koll aus Schwerin und der Klarinettist Pavlo Mamontov in Rendsburg

Bald zehn Jahre sind die Berliner Philharmoniker Paten des Bundesjugendorchesters. Für die Jugendlichen ist das ein Geschenk, zum Beispiel von Bratschistin Julia Gartemann gecoacht zu werden. Im Orchester kommt es darauf an, alle Antennen beim Spielen auszufahren, genau aufeinander zu achten. Daran wird vom ersten Moment an gearbeitet, erzählt Gartemann: "Ich sage: Jetzt hört Euch mal gegenseitig zu. Keiner soll denken, er spielt richtig und alle anderen spielen falsch, wir sollen einen gemeinsamen Gruppenklang finden."

Julia Gartemann war selbst einmal Mitglied im Bundesjugendorchester. Es fällt ihr nicht leicht, unbeschwert zu sein angesichts der Lage, in der sich die Mitglieder des ukrainischen Jugendorchesters befinden: "Zum Teil wirken die ukrainischen Musiker doch betroffener und nicht ganz gelöst, aber ich hoffe sehr, dass die Woche hier und die Kraft der Musik, sie von dem im Moment leider gar nicht zu ändernden Schicksal ein bisschen ablenkt. Vielleicht können sie auch die Kraft der Musik spüren, die sie vielleicht durch diese schwere Zeit trage kann."

Goethe Institut und Auswärtiges Amt ermöglichen Proben und Konzerte

Bundesjugendorchester probt mit Ukrainischem Jugendorchester © Sabine Siemon Foto: Sabine Siemon
Im Video-Talk: Bratschistin Maja Hiemsch aus Hannover

Ursprünglich war ein gemeinsames Konzert in Odessa geplant gewesen. Das Goethe Institut und das Auswärtiges Amt ermöglichten spontan die Proben- und Konzertphase in Deutschland, mit Auftritten in Berlin, Hannover und Köln. Dirigent ist der 27 Jahre junge Artem Lonhinov, in Dnipro in der Zentralukraine geboren, in München lebend, gefördert vom Forum Dirigieren vom Deutschen Musikrat. Mit dem Bundesjugendorchester ist er schon vertraut: "Mit dem Ukrainischen Jugendorchester wird es für mich die erste Begegnung sein und ich bin sehr gespannt, wie das alles funktionieren wird. Ich werde wahrscheinlich auf zwei oder drei Sprachen proben müssen. Wir freuen uns sehr gemeinsam musizieren zu dürfen."

Im Bundesjugendorchester sind etliche jünger, die Mitglieder des ukrainischen Jugendsinfonieorchesters alle über 18. Pavlo Mamontov spielt Klarinette, studiert in Graz. Er hat das Glück, schon vor Kriegsbeginn sein Studium begonnen zu haben. Auch seine Familie lebt in Dnipro. Sie kann nicht fliehen. Die Großmutter ist sehr alt: "Da ist es jetzt still, aber ich kann mich nie sicher fühlen. Niemand weiß, wann die Raketen mein Haus treffen könnten - für mich ist das immer ein Herzschmerz."

Sorgen ein bisschen vergessen

Die Fagottistin Annika Koll ist 17 Jahre. Sie kommt aus Schwerin und spricht aus, was allen am Herzen liegt: "Ich finde das toll, dass es so eine Möglichkeit gibt für die Jugendlichen, die in so einer schwierigen Situation sind und dass man über die Musik gemeinsam kommunizieren und zusammen das gleiche erleben kann. Vielleicht können die Jugendlichen diese negativen Erfahrungen ein bisschen ausblenden - quasi an etwas anderes denken,und dass sie dadurch Hoffnung und Kraft kriegen, dass wir mit denen Musik machen können."

Das Programm

Ludwig van Beethoven: Ouvertüre aus "Die Geschöpfe des Prometheus" op. 43
Borys Ljatoschynskyj: Symphonische Ballade "Grazhyna" op. 58
Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 8 in G-Dur op. 88

Bundesjugendorchester
Youth Symphony Orchestra of Ukraine
Artem Lonhinov, Dirigent

2. Juli, 15:30 Uhr, Rendsburg - ACO Thormannhalle (Öffentliche Generalprobe)
3. Juli, 15:00 Uhr, Berlin - Philharmonie
4. Juli, 19:30 Uhr, Hannover - Staatstheater
5. Juli, 20 Uhr, Köln - Philharmonie

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 29.06.2022 | 07:20 Uhr

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