Triennale in Hamburg: Neue Tendenzen in der Fotografie
In den 1990er-Jahren setzte sich die Erkenntnis durch, dass Fotografie - vor allem inszenierte - Kunst sein kann. Die Ausstellungen zur Triennale der Photographie in Hamburg zeigen allerdings, dass viele FotografInnen das Medium auf andere Weise nutzen.
Der schwarze Filmemacher und Fotograf RaMell Ross lebt seit zehn Jahren in Hale County, Alabama. In den 1940er-Jahren fotografierten dort der legendäre Walker Evans sowie James Agee das Leben weißer Farmer. Schwarze Menschen gibt es auf ihren Bildern nicht! RaMell Ross reagiert darauf und macht sie und ihren Alltag seit Jahren sichtbar. Ob die Zerstörung der Umwelt, die Folgen staatlicher Repression oder die Suche nach den eigenen, kulturellen Wurzeln: Viele FotografInnen arbeiten in Projektform. Die aktuelle Triennale der Photographie in Hamburg ist geprägt von ihnen. Deichtorhallen-Leiter Dirk Luckow, der die umfangreichste Ausstellung präsentiert, meint: "Es gibt einen Wechsel im Gebrauch der Fotografie: weg von der spektakulären Momentaufnahme und hin zu einem mehr dienenden Format der Fotografie. Die Fotografie stellt sich in den Dienst eines Prozesses, sei es einer politischen Recherche, der Erzählung einer Lebensgeschichte oder der Beschreibung problematischer Zustände in dieser Welt."
LaToya Ruby Frazier: "Fotografie als Basis für soziale Gerechtigkeit"
Die junge afroamerikanische Aktivistin und Fotografin LaToya Ruby Frazier unterstützt seit Jahren schwarze Menschen in ihrem Kampf gegen soziale Benachteiligung. Sie organisiert Widerstand, interviewt die Menschen und zeigt in ihren Fotoserien: Gemeinsames Handeln macht selbstbewusst und ermöglicht Erfolge: "Es ist so wichtig, diese Gegenerzählungen öffentlich zu machen, zu zeigen, wie die Porträtierten sich selbst ermächtigen und diese Aufnahmen als Katalysator für Veränderungen zu nutzen", sagt Frazier. "Den Wechsel zu schaffen von der Kamera als Waffe zur Fotografie als Basis für soziale Gerechtigkeit und kulturellen Wandel."
Diese Besinnung auf die fortschrittlichen Traditionen der Fotografie prägt viele Projekte. "Interessant daran ist, dass man darin auch eine Art Befreiung von der Kunst auf Seiten der Fotografie wahrnehmen kann, typisch-charakteristisch für eine neue Generation von Künstlerinnen und Künstlern in der Welt", meint Dirk Luckow.
Krisenzeiten fördern Wahrnehmung von engagierter Fotografie
Doch der Kunstmarkt mit millionenschweren Bildern von Cindy Sherman oder Andreas Gursky drängte diese Entwicklung in den Hintergrund. Jetzt erst, in unserer krisenvollen Zeit, in der Auseinandersetzung mit Rassismus, Kolonialismus und globaler sozialer Ungleichheit wird die engagierte Fotografie wieder mehr von Museen wahrgenommen. So zeigt Kurator Stefan Rahner im Museum der Arbeit 15 Serien, die mit solidarischem Blick internationale Arbeitskämpfe begleiten - von Bergarbeitern in Südafrika bis zu Werftarbeitern in Hamburg! "Die FotografInnen sind sehr nah an den Streikenden, den AkteurInnen dran, also fotografierten für Gewerkschaften oder sie kannten die Beteiligten persönlich", erzählt Rahner. "Das heißt, wir kriegen eine sehr dichte Perspektive auf die Streikenden. Darum ging es uns: Wie viel kann Fotografie an erzählerischer Qualität, an Dichte, an Nähe, an unterschiedlichen Perspektiven erzählen und sehr nah an die AkteurInnen gehen?"
Natürlich kann Projektfotografie auch witzig und sarkastisch sein. Oder auf doppelbödige Weise schön: Die mehrfach ausgezeichnete Bremer Fotografin Esther Horvath etwa hat sich ganz der Arktis verschrieben: In faszinierend-schönen Bildern beschwört sie den dringenden Schutz der von uns bedrohten Eiswelt.