Georg Baselitz © picture alliance/dpa | Felix Hörhager

Georg Baselitz: Welt auf dem Kopf

Stand: 07.04.2023 08:45 Uhr

Georg Baselitz ist einer der erfolgreichsten Künstler der Gegenwart. Der Coup, der ihm den Durchbruch bescherte: Baselitz stellt seine Figuren auf den Kopf. Am 23. Januar ist der Maler, Bildhauer und Grafiker 85 Jahre alt geworden.

Georg Baselitz © picture alliance/dpa | Felix Hörhager
Beitrag anhören 4 Min

von Silke Lahmann-Lammert

Provoziert der Mann eigentlich aus Prinzip? Der Schluss liegt nahe, wenn man aufzählt, welche Botschaften Georg Baselitz der Welt in den vergangenen Jahrzehnten verkündet hat: Seine DDR-Kollegen seien "Arschlöcher". Frauen könnten schlechter malen als Männer. Und Ausstellungen wie die documenta verdienten die Bezeichnung "Paralympics". Den Kampfmodus, den er in seiner Jugend brauchte, um künstlerisch zu überleben, hat Baselitz nie abgelegt: "Sie bekommen erst mal von außen zu hören, was für'n Mist Sie machen", sagt der Künstler. "Und dagegen müssen Sie Strategien und Rüstzeug entwickeln: Das hab ich mein Leben lang gemacht."

Baselitz widersetzte sich dem Sozialistischen Realismus

An der Ostberliner Kunsthochschule Weißensee, wo er 1956 sein Studium begann, sollte Baselitz Arbeiterhelden malen. Männer und Frauen, die tatkräftig am Aufbau der Republik mitwirken. "Der Sozialistische Realismus war der Stil, der von Josef Stalin als der einzige angemessene künstlerische Weg beim Aufbau des Sozialismus dekretiert worden war", beschreibt der Kunsthistoriker Robert Fleck das kulturpolitische Programm der DDR. Sich Stalins Propagandakunst zu widersetzen, das bedeutete die Infragestellung der Berufsausübung, der persönlichen Integrität und der Freiheit.

Als er seinen Professoren eine Bilderserie im Stil des Kubismus präsentierte, bekam Baselitz die Härte des Systems zu spüren. "Ich wollte in dem System positiv sein, das Beste machen. Aber nicht so, wie die wollten", sagt er. "Ich hatte mir effizientere Modelle ausgedacht. Und die sagten: Du bist hier nicht gebraucht. Du fliegst raus."

Durchbruch im Westen

Werke von Georg Baselitz in der Pinakothek der Moderne © dpa Foto: Peter Kneffel
Georg Baselitz Werke in der Pinakothek der Moderne.

Dem Maler blieb nichts anderes übrig, als sein Studium im Berliner Westen fortzusetzen. Noch vor dem Mauerbau siedelte er um. Aber auch dort eckte er an: Wegen "Unsittlichkeit" beschlagnahmte die Polizei in einer Ausstellung 1963 zwei seiner Leinwände. Wahrscheinlich hatte der Galerist den Beamten gesteckt, dass in der Schau explizite Darstellungen männlicher Genitalien zu sehen seien. Der Plan ging auf: Der Skandal sorgte für beachtliches Presseecho. Aufmerksamkeit, die der junge Künstler durchaus verdiente: In einer Zeit, in der abstrakte Kunst Hochkonjunktur hatte, malte Baselitz mit bemerkenswertem Eigensinn düster-ungeschlachte Figuren.

"Ich bin in eine zerstörte Ordnung hineingeboren worden, in eine zerstörte Landschaft, ein zerstörtes Volk, in eine zerstörte Gesellschaft", sagt Baselitz. "Ich wollte keine neue Ordnung einführen. Ich hatte mehr als genug sogenannte Ordnungen gesehen."

Baselitz arbeitet sich an der deutschen Geschichte ab

Der Nationalsozialismus und die SED-Diktatur haben Baselitz nie losgelassen. In seiner kruden Malerei und den grob gesägten Holzskulpturen arbeitet er sich an der deutschen Geschichte ab. Er demontiert Heroen und attackiert Mitläufer. Auch, indem er seine Figuren seit 1969 konsequent auf den Kopf stellt. 

Baselitz, der gern im Stil eines Malerfürsten auftritt, gehört heute zu den weltweit erfolgreichsten Kunstschaffenden. 2019 wurde er als einziger Deutscher in die ehrwürdige Académie des Beaux-Arts in Paris aufgenommen. Dass er als Großverdiener noch immer das Image des renitenten Aufrührers pflegt, ist für ihn kein Widerspruch. Selbstzweifel scheinen den gebürtigen Sachsen noch nie geplagt zu haben: "Ich finde meine Sachen unglaublich, die ich gemacht habe".

Weitere Informationen
Der deutsche Künstler Sigmar Polke (1941 - 2010), aufgenommen 2005 im Kunsthaus Zürich vor einem seiner Werke. © picture alliance/epa/dpa Foto: Alessandro Della Be

Sigmar Polke und die Bedingungen des Sehens

Sigmar Polke prägte in den 60er- und 70er-Jahren gemeinsam mit Gerhard Richter die Kunst des Kapitalistischen Realismus. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 23.01.2023 | 06:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Malerei

NDR Logo
Dieser Artikel wurde ausgedruckt unter der Adresse: https://www.ndr.de/kultur/kunst/Georg-Baselitz-Welt-auf-dem-Kopf,baselitz130.html

Übersicht

Drucker bei der Arbeit © dpa

Journal

Was gibt es Neues auf dem Buchmarkt? Wo laufen besondere Inszenierungen und spannende Ausstellungen? Welche Kinofilme sind sehenswert? Das Journal verrät es. mehr

Eine Frau sitzt auf einem Stuhl und lächelt in die Kamera. Neben ihr stehen die Worte "Die Hauda & die Kunst" © NDR/ Flow

Kunstwissen to go - serviert von Bianca Hauda

Bianca Hauda serviert Kunstwissen in kleinen Happen: Porträts von Künstler*innen, deren Bilder und Werke in deutschen Museen zu sehen sind. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Cover des Albums "The Tortured Poets Department" von Taylor Swift © Universal/Universal/dpa

Neues Album von Taylor Swift: Alle Aspekte des Herzschmerzes

"The Tortured Poets Department" heißt das neue Doppel-Album mit 31 Songs der Pop-Ikone Taylor Swift. mehr