Stand: 19.09.2014 14:40 Uhr

Ein Treffen mit dem Stasi-Oberst

von Angelika Henkel und Stefan Schölermann

Es gibt Zusammentreffen, die in Erinnerung bleiben. Dieses Interview mit einem ehemaligen Stasi-Oberst ist so eines. Klaus Eichner kennt die wichtigsten Spionage-Fälle aus Niedersachsen. Er weiß, wie die verräterischen Informationen beschafft wurden, wie sie in den Osten gelangten und welchen Wert sie zum Beispiel für den Warschauer Pakt hatten. Als einer der früheren Spione des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) aus Niedersachsen 2002 starb, gehörte Eichner zur Trauergemeinde auf dem Friedhof.

VIDEO: Auch Stasi-Spitzel mussten motiviert werden (1 Min)

Chef-Analytiker im Thinktank der Stasi

Der Interviewtermin führt uns in die Seenlandschaft nach Neuruppin. Denn hier in der Nähe lebt Klaus Eichner. Mehr als drei Jahrzehnte stand er in Diensten der Staatssicherheit - viele Jahre als Spitzenkraft und Entscheidungsträger. Zuletzt war er Chef-Analytiker in der Hauptabteilung IX - dem Thinktank der Stasi. Diese Abteilung war zuständig für Gegenspionage, musste dem "Gegner" gedanklich immer einen Schritt voraus sein.

Wir erwarten einen schneidigen Ex-Offizier mit kaltem Blick und zackig-kurzen Worthülsen. Doch Eichner wirkt anders. Seine Antworten sind wendig, immer wieder lacht er verschmitzt, Selbstironie ist ihm kein Fremdwort. Als ein Schwan heranschwimmt und neugierig den Ort des Interviews inspiziert, sitzt dem Ex-Geheimdienstler der Schalk im Nacken: "Na, wo hast du dein Mikrofon versteckt?"

Wie sieht Eichner die Stasi im Rückblick?

Gekommen sind wir in erster Linie, um Fachfragen zu stellen - nach den Stasi-Fällen in Niedersachsen. Eichner antwortet präzise, macht deutlich, wo er Wissenslücken hat, untermauert Wertungen mit Argumenten. Auftrag erfüllt. Es könnte das Ende des Gesprächs sein, ist es aber nicht. Denn wann hat man schon einmal die Gelegenheit, einen hochrangigen Vertreter des MfS vor das Mikrofon zu bekommen. Wissen wollen wir, ob er in der Rückschau etwas bereut, wie er die Stasi heute sieht und wie er zur Frage der Menschenrechtsverletzungen in der DDR steht.

Kritik nur auf taktischer Ebene

Im Ton ändert sich nichts. Eichner bleibt konziliant. In der Sache aber ist von tiefergehender Einsicht bei ihm wenig zu spüren. Eichner ist Marxist und argumentiert deshalb streng innerhalb dieser Logik: "Ich habe meine Grundüberzeugung, und die will ich auch nicht infrage stellen", sagt er. Kritik an der Stasi? Ja, aber nur auf taktischer Ebene. Der Geheimdienst sei überfrachtet gewesen mit Aufgaben. Das Problem der Auswanderungen hätten die SED oder das Wirtschaftsministerium lösen müssen und nicht seine Behörde, so Eichner. Fehler habe aber auch die Stasi selbst gemacht: Junge Leute dafür zu drangsalieren, dass sie das Symbol "Schwerter zu Pflugscharen" an der Kleidung trugen, ist für den Stasi-Oberst ein Missgriff. Er sagt das nicht aus Sympathie mit Friedensbewegungen in der DDR, sondern weil es ein sowjetischer Bildhauer war, auf dessen Werk dieses Symbol zurückgehe. 

Eichner verlangt Beweise für Menschenrechtsverletzungen

Über systematische Menschenrechtsverletzungen in Stasi-Kerkern sagt Eichner, man möge ihm eindeutige Beweise über das Fehlverhalten Einzelner vorlegen, dann könne er es glauben. Und überhaupt: Die Debatte über die Stasi werde einseitig geführt und aus dem "historischen Kontext" gelöst. Eine solche Debatte sei "unwissenschaftlich". Als ob das Leiden der in Stasi-Isolationshaft Misshandelten eine akademische Frage wäre.

Am Ende bleiben mehr Fragen als Antworten

Eichner ist kein Mann, der vor kritischen Fragen davonläuft. Oft schon hat er an prominent besetzten Diskussionsrunden teilgenommen, häufig unter kirchlicher Schirmherrschaft. Auch unseren Fragen stellt er sich. Es gibt keine Tabus. "Sie können mich alles fragen", lautete die Verabredung. Trotzdem bleiben bei uns nach mehr als einer Stunde mehr Fragen als Antworten: Wie viel Einblick hatte Eichner in das Unrecht des DDR-Regimes wirklich? Kann er es nicht erkennen? Verstellt ihm seine marxistische Weltsicht den Blick? Oder ist ihm unmöglich, einen erheblichen Teil der eigenen Biografie grundsätzlich infrage zu stellen? Darauf gibt uns das Interview keine Antworten.

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Archivierte Akten von Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) lagern in den Räumen der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin. © picture alliance / dpa Foto: Rainer Jensen

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | 18.09.2014 | 19:05 Uhr

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