Offiziersanwärterinnen und Offiziersanwärter im September 1989 beim Segelsetzen auf dem Segelschulschiff "Gorch Fock" © picture-alliance / Wulf Pfeiffer Foto: Wulf Pfeiffer

September 1989: Frauen entern die "Gorch Fock"

Stand: 17.02.2021 11:25 Uhr

Auf der "Gorch Fock", dem Segelschulschiff der deutschen Marine, herrscht seit Ende der 1980er-Jahre Gleichberechtigung: Am 14. September 1989 gehen erstmals auch Frauen an Bord auf Ausbildungsfahrt.

von Susanne Abolins-Aufderheide

Damit vollzieht sich auch auf dem Traditionssegler nach rund 30 Jahren mit reiner Männermannschaft der gesellschaftspolitische Wandel: Für den waffenlosen Sanitätsdienst gehen zunächst fünf junge Offizieranwärterinnen auf der "Gorch Fock" auf Ausbildungsfahrt - vom Heimathafen Kiel aus in Richtung Mittelmeer.

Frauen an Bord ohne Sonderbehandlung

Kadetten der "Gorch Fock" bei der Bootspflege © PIZ Marine Foto: PIZ Marine
Auch die Bootspflege gehört zu den Aufgaben der Kadettinnen auf der "Gorch Fock".

Eine Sonderbehandlung gibt es für die jungen Frauen nicht: Bei den Segelmanövern müssen sie zupacken wie alle Matrosen. Und sie schlafen in Hängematten auf engstem Raum, die nur durch Persenninge (wasserfeste Abdeckung aus imprägniertem Stoff) vom Schlafbereich der Männer getrennt sind. Die Kadettinnen haben bereits eine dreimonatige Ausbildung in der Marineschule Flensburg-Mürwik hinter sich. Nach ihrer insgesamt 15 Monate langen Grundausbildung werden sie auf Kosten der Bundesmarine Medizin, Zahnmedizin oder Pharmazie studieren. Sie haben sich für 16 Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet.

Frauen in der Bundeswehr: Lange nur Sanitäts- und Militärmusikdienst

Frauen sind 1989 in der Bundeswehr eine Minderheit, aber keineswegs neu. Als Beamtinnen, Zivilangestellte und Arbeiterinnen sind sie schon lange dabei. Die Forderung, Frauen auch zum Dienst als Soldat zuzulassen, wird 1968 im Zusammenhang mit der Diskussion um die Notstandsgesetzgebung für die Bundesrepublik laut und einige Jahre später erneut aufgegriffen. 1975 steht zugelassenen Ärztinnen, Tierärztinnen und Apothekerinnen erstmals der Sanitätsdienst offen. 1991 werden alle Laufbahngruppen der Unteroffiziere und Mannschaften im Sanitäts- und Militärmusikdienst für Frauen geöffnet.

Dienst an der Waffe bleibt zunächst verboten

Kadetten vom Segelschulschiff "Gorch Fock" der Deutschen Marine stehen am 21.12.2004 in Kiel nach der Rückkehr angetreten an Bord. © dpa Foto: Maurizio Gambarini
Wieder zu Hause: Kadettinnen der "Gorch Fock" am 21. Dezember 2004 in Kiel.

Ende 1999 sind in diesen Bereichen knapp 4.500 Frauen beschäftigt, die zum Selbstschutz oder zum Schutz ihrer Patienten auch das Schießen beherrschen müssen. Der Dienst an der Waffe ist ihnen jedoch verboten. Das steht im Grundgesetz. Dieses strikte Verbot wird mit den zu jener Zeit - das Grundgesetz ist von 1949 - erst kurz zurückliegenden Erfahrungen des Dritten Reiches begründet: Obwohl Frauen aufgrund der Nazi-Ideologie vom Soldatenberuf ausgeschlossen waren, wurden während des Zweiten Weltkrieges mehrere Hunderttausend Mädchen zwangsweise als Flakhelferinnen herangezogen.

Seit 2000 dürfen Frauen an die Waffe - freiwillig

Vereidigung von Offiziersanwärterinnen und -anwärtern der Deutschen Marine in der Marineschule Mürwik im August 2007. © dpa picture alliance Foto: Christian Hager
Marineschule Mürwik im August 2007: Von 270 Offiziersanwärtern, die vereidigt werden, sind 70 Frauen.

Erst das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11. Januar 2000 öffnet Frauen die militärische Laufbahn. Dass Frauen keinen Dienst an der Waffe leisten dürfen, sei ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, befindet das Gericht und gibt der jungen Elektrotechnikerin Tanja Kreil aus Hannover Recht, die sich gegen das Grundgesetz gewehrt hatte. Der Bundestag ändert daraufhin am 27. Oktober 2000 das Gesetz. Jetzt heißt es: Frauen "dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden".

Von nun an stehen ihnen "alle militärischen Verwendungen offen", ob als Panzerkommandantin oder als Kampfpilotin. Am 2. Januar 2001 treten die ersten 244 Frauen ihren Dienst an der Waffe an, davon 36 als künftige Truppenoffiziere der Marine.

Todesfälle und Sanierungsdebakel sorgen für heftige Diskussionen

Zwei folgenreiche Unglücksfälle bringen die "Gorch Fock" einige Jahre später in die Schlagzeilen: Am 3. September 2008 geht die 18 Jahre alte Kadettin Jenny Böken über Bord und stirbt. Ob es sich um einen Unfall handelte - wovon Ermittler lange ausgingen - oder um ein Gewaltverbrechen, wird ab 2019 erneut von der Staatsanwaltschaft Kiel untersucht.

Im November 2010 stürzt eine 25-jährige Kadettin während einer Ausbildungsfahrt aus der Takelage in den Tod. Der Unfall löst heftige Debatten über die Sicherheitsbedingungen an Bord aus. Der Kommandant verliert seinen Posten, die Ausbildungsfahrten werden zwei Jahre lang ausgesetzt.

Auch die Kostenexplosion bei der Sanierung des Segelschulschiffs auf 135 Millionen Euro hatte dessen weiteren Betrieb vorübergehend infrage gestellt. Nach langem Tauziehen soll das Schiff nun im Mai 2021 wieder segeln.

Frauenanteil bei der Bundeswehr steigt auf zwölf Prozent

Ungeachtet der Debatten um die "Gorch Fock" im Speziellen hat sich der Anteil der Frauen in der Bundeswehr in den vergangenen Jahren kontinuierlich erhöht. Aktuell sind es etwa 22.500 Soldatinnen, der Frauenanteil im militärischen Bereich liegt damit bei rund zwölf Prozent. Der überwiegende Teil der Freiwilligen Wehrdienstleistenden und der Zeit- und Berufssoldatinnen dient beim Sanitätsdienst, gefolgt vom Heer, der Streitkräftebasis und der Luftwaffe. Bei der Marine sind es knapp 1.700 Soldatinnen.

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Gorch Fock © imago Foto: Thomas Zimmermann

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Mein Nachmittag | 15.02.2016 | 16:00 Uhr

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