Eine Luftaufnahme zeigt das Atomare Zwischenlager Gorleben im Dezember 2019. © picture alliance/Sina Schuldt/dpa Foto: Sina Schuldt

Gorleben und der Atommüll - Eine Chronik

Stand: 17.09.2021 10:54 Uhr

Als Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) Anfang 1977 verkündet, dass in Gorleben ein nationales Endlager für hochradioaktiven Atommüll entstehen soll, löst er ein Beben unter Atomkraftgegnern und eine jahrzehntelange politische Debatte aus.

Ein starkes und stetig wachsendes Lager aus Aktivisten nutzt in der Folge nahezu jeden Anlass, um gegen die Pläne und die späteren Castor-Transporte zu demonstrieren. Seit die Bundesregierung 2013 die Suche nach einem atomaren Endlager auf Null gesetzt hat, spricht die Politik von Gorleben als "weißem Fleck" auf der Landkarte - die Suche nach einem Endlager solle ergebnisoffen und ohne vorherige Festlegungen ablaufen, heißt es. Kritiker bezweifeln das. Eine Chronik.

  • 12. März 1977: Mehrere tausend Atomkraftgegner aus der ganzen Bundesrepublik demonstrieren zum ersten Mal in Gorleben gegen den geplanten Bau des Atommülllagers.

  • Frühjahr 1978: Die DWK, die "Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen", versucht mit umstrittenen Methoden, mehr als zwölf Quadratkilometer Land über dem Salzstock Gorleben zu kaufen.

  • 10. Juli 1978: Andreas Graf von Bernstorff, dem die größte Fläche über dem Salzstock Gorleben gehört, gibt während einer Pressekonferenz bekannt, dass er das Angebot der Atomwirtschaft von über 26 Millionen Mark ablehnen wird.

  • 25. bis 31. März 1979: Atomkraftgegner aus dem Wendland ziehen in einem einwöchigen Treck in die Landeshauptstadt Hannover. Zur Abschlusskundgebung kommen fast 100.000 Demonstranten - eine der größten Protestveranstaltungen in der Geschichte der Bundesrepublik.

  • 16. Mai 1979: Die niedersächsische Landesregierung gibt überraschend bekannt, dass auf die Errichtung einer Wiederaufarbeitungsanlage in Gorleben verzichtet werden soll. Die Begründung Ernst Albrechts: "Die politischen Voraussetzungen sind zur Zeit nicht gegeben." Ab jetzt geht es nur noch um die Einrichtung eines Endlagers im Salzstock Gorleben.

  • 4. Juni 1980: Mehrere tausend Beamte von Bundesgrenzschutz und Polizei räumen die "Republik Freies Wendland".

  • 26. Mai 1981: Die Atomwirtschaft will nicht warten, bis der Salzstock Gorleben erkundet und als Endlager genehmigt ist. Sie plant den Bau eines Zwischenlagers. Die Lokalpolitik stimmt diesem Vorhaben während einer turbulenten öffentlichen Sitzung zu, obwohl es mehr als 1.500 Einwendungen gegen das Projekt gibt.

  • 30. April 1984: Für zwölf Stunden blockieren Atomkraftgegner die wichtigsten Zufahrtsstraßen ins Wendland. Generalprobe für den ersten Atommülltransport.

  • 8. Oktober 1984: Der erste Atommülltransport mit leicht radioaktivem Material rollt ins Zwischenlager Gorleben. Wie sich später herausstellt, sind einige der Fässer falsch deklariert.

  • 25. April 1995: Der sogenannte "Tag X": Zum ersten Mal wird hochradioaktives Material in Castor-Behältern ins Zwischenlager Gorleben transportiert. Es kommt zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Von nun an rollt fast jährlich ein Castor-Transport.

  • 14. Juni 2000: Der sogenannte Atomausstieg wird beschlossen - ein Kompromiss zwischen der rot-grünen Bundesregierung und Energieversorgern. Die 19 produzierenden deutschen Atomkraftwerke sollen nach und nach abgeschaltet werden. Und zwar jeweils nach 32 Jahren Laufzeit.

  • 1. Oktober 2000: Im Salzstock Gorleben tritt ein Moratorium in Kraft. Die Erkundungsarbeiten werden vorläufig gestoppt, um auf politischer Ebene noch einmal grundsätzliche Fragen zur Endlagerung von hochradioaktivem Atommüll zu klären. Das zwischen Regierung und Energieversorgern vereinbarte Ende des Moratoriums ist 2010: Bis zu diesem Jahr muss die Bundesregierung eine Entscheidung darüber treffen, ob Gorleben weiter erkundet wird oder nicht.

  • 15. März 2010: Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) erklärt in Berlin, dass das von Rot-Grün im Jahr 2000 verhängte Moratorium, also der Stopp der Erkundung des Salzstocks auf seine Eignung als atomares Endlager, aufgehoben werde. Bis zur Entscheidung werde ein Zeitraum von 20 bis 25 Jahren erforderlich sein.

  • 26. März 2010: Der Bundestag setzt einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu Gorleben ein. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht die Klärung der Frage, ob beziehungsweise warum sich die damalige Bundesregierung unter Helmut Kohl (CDU) in den 1980er-Jahren einseitig auf den Salzstock im Kreis Lüchow-Dannenberg als Endlager festgelegt habe.

  • 1. Oktober 2010: Die umstrittene Erkundung des Salzstocks in Gorleben wird fortgesetzt.

  • 11. März 2011: Ein Erdbeben und ein Tsunami lösen in einem Atomkraftwerk im japanischen Fukushima eine Katastrophe aus. Zehntausende Menschen müssen die Region verlassen.

  • 30. Juni 2011: Der Bundestag beschließt mit den Stimmen von Union, FDP, SPD und Grünen das Aus für alle deutschen Atomkraftwerke bis 2022. Das mögliche Endlager in Gorleben soll weiter erkundet werden.

  • 28. November 2011: Der 13. und letzte Transport mit hoch radioaktivem Müll aus der Wiederaufbereitung im französischen La Hague trifft in Gorleben ein. Mehr als 20.000 Polizisten begleiteten die Behälter auf ihrer 1.200 Kilometer langen Fahrt. Kosten für das Land Niedersachsen: etwa 33,5 Millionen Euro.

  • 15. Dezember 2011: Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) stoppt den weiteren Ausbau des Erkundungsbergwerks in Gorleben. Die Arbeiten in den bestehenden Teilen dauern an.

  • 11. Januar 2012: Das Bundesumweltministerium will atomare Zwischenlager besser schützen - auch vor Terrorangriffen.

  • 30. November 2012: Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) verkündet einen Erkundungsstopp für Gorleben. Die Arbeiten sollen erst nach der Bundestagswahl 2013 weitergehen.

  • 27. Juli 2013: Im Zuge des Standortauswahlgesetztes - auch Endlagersuchgesetz genannt - werden die Erkundungsarbeiten am Salzstock Gorleben gänzlich beendet.

  • 2015: Mehr als 100 Pachtverträge mit privaten Eigentümern der Grundstücke über der Grube laufen aus. Nach Angaben von SPD und Grünen sind viele Eigentümer, die sich einst für die Verpachtung entschieden hätten, nicht mehr dazu bereit.

  • 12. Juni 2015: Der Bundesrat verlängert die sogenannte Veränderungssperre für den Salzstock in Gorleben bis zum 31. März 2017.

  • 15. Februar 2017: Das Bundesumweltministerium kündigt an, die Veränderungssperre zu verlängern. Umweltschützer im Wendland sind empört.

  • 5. Mai 2017: Das "Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze" tritt in Kraft. Die Bundesregierung verspricht eine ergebnisoffene Endlagersuche. Als sogenannte Wirtsgesteine für atomaren Müll kommen Steinsalz, Tongestein und Kristallingestein infrage. Atomkraftgegner im Wendland sind skeptisch, was Gorleben als "weißen Fleck" auf der Karte der Prüfgebiete angeht.

  • 19. Dezember 2017: Bergleute und Behördenvertreter vom niedersächsischen Landesbergamt fahren symbolisch ein letztes Mal in den Erkundungsbereich des Salzstocks Gorleben. Seitdem klar ist, dass die Endlagersuche für hochradioaktiven Atommüll neu beginnt, wird die Schließung des bis zu 840 Meter tiefen Schachts vorbereitet. Bergleute hatten in den Monaten zuvor Erkundungsbohrungen verschlossen und Maschinen, Förderbänder und Fahrzeuge demontiert.

  • April bis August 2019: Die Schutzmauer rund um das Erkundungsbergwerk Gorleben wird abgerissen. Ursprünglich sollte sie Demonstranten vom Erkundungsbergwerk fernhalten. Der Abriss soll unterstreichen, dass der Salzstock Gorleben als Endlager nicht länger erkundet wird. Außerdem werden 1.200 Fässer mit schwach und mittelradioaktivem Atommüll aus dem Zwischenlager Gorleben abtransportiert und im Schacht Konrad bei Salzgitter eingelagert.

  • 16. September 2019: Niedersachsens Umwelt Olfa Lies (SPD) verkündet in Gorleben das Aus für die Pilot-Konditionierungsanlage. Mit ihr sollte ursprünglich Atommüll umverpackt und zur Einlagerung vorbereitet werden. Umweltschuützer hatten jahrelang für den Abbau gekämpft, weil sie befürchteten, dass die Anlage ein entscheidendes Kriterium bei der bundesweiten Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll werden könnte. 

  • 28. September 2020: Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) gibt bekannt, dass der Salzstock in Gorleben nicht als Standort für ein deutsches Endlager für hochradioaktiven Atommüll infrage kommt. "Der Salzstock Gorleben ist nach Anwendung der geowissenschaftlichen Abwägungskriterien gemäß § 24 StandAG kein Teilgebiet geworden. Damit greift die Regelung des § 36 Abs. 1 S. 5 Nr.1 StandAG wonach der Salzstock Gorleben aus dem Verfahren ausscheidet", heißt es im Zwischenbericht der BGE, der bundesweit 90 weiter zu prüfende Gebiete ausweist. Andere Gebiete auf niedersächsischem Boden bleiben allerdings im Prüfverfahren. Bis 2031 soll die Entscheidung für einen Standort für hochradioaktiven Müll gefallen sein, 2050 die Lagerung beginnen.

  • 17. September 2021: Das Bundesumweltministerium teilt mit, dass das Erkundungsbergwerk in Gorleben endgültig stillgelegt und zurückgebaut werden soll. Mit der Stilllegung solle die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) beauftragt werden. Die Kosten in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrages sollen vom Endlagerfonds des Bundes getragen werden.

Weitere Informationen
Protest gegen das Zwischenlager Gorleben im September 2007. © dpa

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Regional Lüneburg | 17.09.2021 | 08:30 Uhr

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