Stand: 07.01.2016 14:52 Uhr

Doku-Zentrum soll an NS-Deportationen erinnern

Ein eisiger Wind fegt über die Elbe in den östlichen Teil der Hafencity. Verloren inmitten einer Kraterlandschaft aus festgefrorenem Sand, in der ein paar Bagger stehen, liegt ein etwa 100 Meter langes Stück Gleis mit bröckelndem Bahnsteig dahinter. Unmittelbar daneben fährt ein metronom über die erhöht verlaufende moderne Bahnstrecke.

Von den alten Schienen des früheren Bahnsteigs 2 des Hannoverschen Bahnhofs sind während der NS-Zeit Deportationszüge gestartet. "Das ist eine historische Prägung, die so gut wie gar nicht mehr sichtbar ist, die wir aus der Vergangenheit hervorholen müssen", sagt der Geschäftsführer der Hafencity GmbH, Jürgen Bruns-Berentelg. 7.692 Juden, Sinti und Roma wurden von hier in 20 Transporten in die Vernichtungslager nach Auschwitz, Belzec, Lodz, Minsk und Theresienstadt gebracht.

Bedeutung des Ortes soll sich manifestieren

Visualisierung des geplanten Dokumentationszentrums am Lohsepark. © Wandel Lorch Architekten Foto: Visualisierung
So soll das Dokumentationszentrum am Lohsepark aussehen.

In den vergangenen zehn Jahren habe man darüber nachgedacht, was man tun muss, damit sich die Bedeutung des Themas sowohl inhaltlich als auch räumlich manifestiert, sagt Bruns-Berentelg. Am Donnerstag wurde der Siegerentwurf für das Dokumentationszentrum "Denk.mal Hannoverscher Bahnhof" am Rande des Lohseparks präsentiert.

Gewonnen hat das Architekturbüro Wandel Lorch aus Frankfurt/Main. Wolfgang Lorch und Florian Götze haben ein Gebäude entworfen, das im Erdgeschoss mit einer großen Fensterfront zu dem Park und dem dahinterliegenden Bahnsteig weist. "Das ist nicht nur der Eingang, das ist gleichzeitig ein Fenster in die Vergangenheit", sagt Lorch. Es mache die räumliche Dimension sichtbar. Denn direkt gegenüber führt aus dem Park heraus die sogenannte Fuge auf das Gleis-Relikt hin.

Fuge führt hinab in die Geschichte

Die Fuge, deren Bau bereits begonnen hat, ist ein von Betonwänden eingefasster abfallender Gang. Er führt vom aufgeschütteten Niveau des Parks und der modernen Hafencity auf die alte Ebene des Bahnsteigs. Besucher sollen dadurch auch ganz wörtlich hinab in die Geschichte gehen. "Der Gedenkort mit Bahnsteig und Gleisen, die heute etwas versteckt liegen, aber in diesem Jahr und Anfang kommenden Jahres denkmalgerecht hergerichtet werden, werden 2017 für die Öffentlichkeit zugänglich", sagt Bruns-Berentelg. Die Fuge werde bereits im Juli 2016 eröffnet.

Zentrum als Ergänzung des historischen Ortes

Architekt Wolfgang Lorch (l.) und Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter präsentieren einen Entwurf für eine Gedenkstätte für Deportierte am Lohsepark. © NDR Foto: Daniel Sprenger
Oberbaudirektor Jörn Walter (r.) stellte die Vorzüge des Entwurfs von Wolfgang Lorch vor.

"Das Dokumentationszentrum ist hier ein Ergänzungsbaustein", sagt Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter. Der wichtigste Ort hier sei ganz klar der Bahnsteig selbst. Daher habe man sich für die sehr ruhige und sich ein bisschen von der Nachbarschaft abhebende Haltung in Lorchs Entwurf entschieden. Darin steche die sehr klare Erkennbarkeit der Sondernutzung im Erdgeschoss hervor. "Das ist die richtige Grundhaltung und der richtige Ausdruck, um das Thema künftigen Generationen näherzubringen."

Entstehen wird auf rund 900 Quadratmeter Fläche eine Dauerausstellung, die sich anlehnt an die temporäre Dokumentation "In den Tod geschickt". Diese ist in kleiner Form bereits seit September 2013 im Infopavillon auf dem ehemaligen Vorplatz des Hannoverschen Bahnhofs zu sehen. Für das Zentrum wird die Ausstellung unter der Leitung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme überarbeitet und erweitert.

"Keine normale Bürokiste"

"Das Gebäude sollte eine Eigenheit haben und angemessen sein, aber sich gleichzeitig auch zurücknehmen, weil die Gleise das Wesentliche sind", umschreibt Architekt Lorch die Schwierigkeit beim Planen. Der Sockel setze sich ganz klar ab, durch eine andere Farbe der Backsteine und auch durch deren Oberfläche: Sie sind glasiert. "Es ist zwar eine rationale Fassade, aber sie wird gleichzeitig eine Lebendigkeit haben, sie ist nicht eben", sagt Lorch. "Es wird keine normale Bürokiste werden."

Die aktuelle Verlorenheit der historischen Gleise hat also spätestens 2017 ein Ende. In der von Neubau und Umbruch gekennzeichneten Hafencity seien diese laut Lorch kein künstlicher Ort. "Das ist einer der wenigen authentischen Orte. Aber er spricht nicht, die Gleise sprechen nicht." Ohne Erklärung des Hintergrunds liegen sie ziemlich nichtssagend zwischen der geplanten direkt anschließenden Bebauung. "Man sieht nur das, was man weiß", sagt Lorch. Sein Dokumentationszentrum soll dazu dienen, dass die Besucher künftig mehr über den historischen Ort wissen.

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 07.01.2016 | 19:30 Uhr

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