Stand: 27.11.2014 09:12 Uhr

Auf den Spuren einer verschwundenen U-Bahn

Für die meisten Menschen wäre es einfach ein feuchter, kahler Keller. Für Karsten Leiding ist es einer der spannendsten Aufenthaltsorte in Hamburg. Gemeint ist der Tunnel der verschwundenen U-Bahn-Linie nach Rothenburgsort. Die Gleise sind seit Jahrzehnten fort, auf dem Boden haben sich Pfützen gebildet. Für Leiding zeugt der unterirdische Ort dennoch von einer spannenden Zeit. Es ist eine Geschichte, die eng mit der Geschichte der Hansestadt verbunden ist. 1915 wird die Zweiglinie vom Hauptbahnhof nach Rothenburgsort eröffnet, bei den Bombenangriffen 1943 zerstört und nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut.

Mühsame Suche in Archiven

Als Taxifahrer kommt Leiding viel in der Stadt herum. In seiner Freizeit erforscht er seit etwa zwölf Jahren die Geschichte der einzigen Hamburger U-Bahn-Linie, die es nicht mehr gibt. Er verbringt Stunden und Tage in Archiven, um in Vergessenheit geratene Fakten und unbekannte Fotos aufzuspüren. "Irgendwann hatte ich dann so viel Material zusammen, dass ich das Ganze ins Internet gestellt habe", erzählt Leiding.

Karsten Leiding zeigt auf die Stelle, an der einst die U-Bahn-Halstestelle "Brückenstraße" stand  Foto: Marc-Oliver Rehrmann
Karsten Leiding zeigt auf die Hauswand nahe den Elbbrücken, an der einst die U-Bahn-Haltestelle "Brückenstraße" angrenzte.

Ein Streifzug mit ihm entlang der früheren Hochbahn-Linie bringt so manches Überbleibsel an den Tag. Da ist zum Beispiel die alte Mauer, die einst das Eisenviadukt der Hochbahn-Linie stützte. Oder der Rest eines alten Geländers. An einer Hauswand ist noch gut zu erkennen, wie hoch einer der vier Bahnhöfe über dem Straßenniveau lag. Das faszinierendste Souvenir liegt aber unter der Erde: Es ist der alte Tunnel in der Nähe des Hauptbahnhofs. Auf einer Länge von rund 150 Metern ist er fast vollständig erhalten und vom Keller des Generali-Hauses am Besenbinderhof begehbar.

Im Ersten Weltkrieg fehlen die Arbeiter

Die gut drei Kilometer lange Strecke der U-Bahn-Linie führte - vom Hauptbahnhof kommend - zunächst durch den Tunnel. Dann rollten die Züge größtenteils auf einem eisernen Viadukt durch Hammerbrook - einem Stadtteil, in dem sich nach Schaffung des Freihafens 1880 zunehmend Hafenarbeiter, Seeleute, kleine Beamte und Geschäftsleute ansiedelten. Das Hochbahn-Viadukt prägte jahrzehntelang das Bild des Stadtteils.

Die Haltestelle Rothenburgsort der Hamburger U-Bahnlinie nach Rothenburgsort
Die Endhaltestelle Rothenburgsort lag für viele Bewohner des Stadtteils ungünstig.

Die neue U-Bahn-Linie sollte die bevölkerungsreichen Wohnquartiere von Hammerbrook und Rothenburgsort besser an die Innenstadt anbinden. Bereits 1905 steht die Planung für die Strecke weitgehend. Vier Haltestellen sind vorgesehen: Spaldingstraße, Süderstraße, Brückenstraße und Rothenburgsort. Nach mehrjähriger Planung beginnen die Bauarbeiten, 1912 ist bereits der Tunnel weitgehend fertiggestellt. Aber mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist der Zeitplan nicht mehr einzuhalten. Viele Arbeiter ziehen in den Krieg, zudem wird das Baumaterial knapp. Hinzu kommt eine lange Frostperiode im Winter 1914/15.

Die für Februar 1915 geplante Eröffnung muss folglich mehrmals verschoben werden. Im Sommer ist es dann so weit: Am Dienstag, den 27. Juli, eröffnet die Hochbahn die Strecke nach Rothenburgsort - wohl ohne große Feierlichkeiten, schließlich befand man sich mitten im Krieg. Um 4.54 Uhr fährt die erste Bahn ab. Die Fahrtzeit zwischen Hauptbahnhof und Rothenburgsort beträgt sieben Minuten.

Nur wenige Fahrgäste

Doch die neue Linie bringt nicht den erhofften Erfolg - es steigen zu wenige Fahrgäste zu. Ein Problem der Streckenführung: Die Endhaltestelle Rothenburgsort befindet sich in einer Randlage. Die Straßenbahn-Linien in Richtung Innenstadt sind zudem für viele Bewohner attraktiver gelegen. Die Hamburger Hochbahn zieht nach acht Jahren Konsequenzen: Im September 1923 stellt sie den Betrieb zwischen Hauptbahnhof und Rothenburgsort fürs Erste ein. Im Tunnel stellt sie nun überzählige U-Bahn-Wagen ab.

Aus der Verlängerung wird nichts

Aber viele Anwohner und Firmen protestieren gegen die Stilllegung. Die Hochbahn bleibt zunächst hart. Aber als die Hamburgische Bürgerschaft zusagt, sich an den Kosten für den Bau einer dringend benötigten Wagenhalle in Rothenburgsort zu beteiligen, lenkt die Hochbahn ein: Im Februar 1924 fahren die Züge wieder - oft jedoch nur noch als einzelner Triebwagen. Diese Sonderanfertigungen sind zu Beginn der 20er-Jahre extra für die wenig frequentierten Strecken in Hamburg entwickelt worden. Und spätestens mit der Weltwirtschaftskrise verabschiedet sich die Hochbahn von ihren Plänen für eine Verlängerung der Rothenburgsort-Linie nach Billbrook und für einen Abzweig in den Freihafen.

Dieses Thema im Programm:

die nordstory | 20.03.2015 | 20:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Hamburger Geschichte

Zweiter Weltkrieg

Am Adolphplatz werden unter den Schienen der Straßenbahn zwei Fahrrohre der Großrohrpost verlegt © Hamburger Unterwelten e.V.

Hamburgs kurzer Traum von der Großrohrpost

Mit dem Bau der Hamburger Großrohrpost wächst ab 1960 eine weltweit einmalige Anlage. Doch schnell kommt das Aus. mehr

Mehr Geschichte

Aus Hamburg kommende Demonstranten auf ihrem Marsch am 18. April 1960: Demonstranten in Regenkleidung halten Plakate wie 'Atomare Aufrüstung bedeutet Krieg und Elend'. © picture-alliance / dpa Foto: Marek

Wie sich der Ostermarsch zur Friedensbewegung entwickelte

Der erste Protestmarsch führt 1960 ab Karfreitag in die Lüneburger Heide. In diesem Jahr finden die Märsche bis zum 1. April statt. mehr

Norddeutsche Geschichte