Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält bei ihrer Verabschiedung durch die Bundeswehr eine Rede. © AFP POOL/dpa Foto: Odd Andersen

Zorn und Bewunderung: Angela Merkel im Porträt

Stand: 18.12.2023 14:45 Uhr

Angela Merkel hat offiziell ihren letzten Arbeitstag im Kanzleramt hinter sich. Mehr als 16 Jahre lang lenkte sie die Geschicke des Landes. Wie aus Helmut Kohls "Mädchen" eine der mächtigsten Frauen der Welt wurde.

Ob sie denn gar nicht müde sei, ist Angela Merkel einmal gefragt worden. Das war am 12. Februar 2015, einem Donnerstag. Merkel hatte gerade 17-stündige Verhandlungen über ein Friedensabkommen für die Ostukraine hinter sich sowie einen Flug von Minsk nach Brüssel - gefolgt von EU-Beratungen über die Griechenlandkrise. Nein, entgegnete Merkel, die Woche sei doch noch gar nicht vorbei. "Morgen ist auch noch ein Arbeitstag."

Wenn Angela Merkel nun ihr Büro räumt, hatte sie eine der längsten Amtszeiten in der bundesdeutschen Geschichte. Viele haben ihr nicht zugetraut, überhaupt einmal in dieses Amt zu kommen, auch in ihrer eigenen Partei - aber die hat sie alle politisch überlebt. Was bleibt aber von dieser Kanzlerschaft?

Geboren in Hamburg, aufgewachsen in der DDR

Geboren wird Angela Dorothea Kasner am 17. Juli 1954 als Tochter eines evangelischen Pfarrers und einer Lehrerin in Hamburg. Weil der mit dem Sozialismus sympathisierende Vater eine Stelle in Brandenburg annimmt, wächst sie in der DDR auf. In der Schule gilt sie als ruhig, glänzt in den Fächern Russisch und Mathematik und macht ihr Abitur 1973 mit einem Durchschnitt von 1,0. Trotz des herausragenden Abschlusses darf sie von Staats wegen nicht, wie gewünscht, Lehrerin werden. Grund ist die kirchliche Bindung des Vaters. Merkel entscheidet sich für ein Physikstudium. 1977 heiratet sie ihren Kommilitonen Ulrich Merkel, dessen Namen sie trotz der vier Jahre späteren Scheidung bis heute trägt. Merkel promoviert 1986 und arbeitet zunächst als Wissenschaftlerin.

Helmut Kohl fördert sein "Mädchen"

Helmut Kohl schüttelt Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Dresden 1991 die Hand © picture alliance Foto: picture alliance
Der Kanzler und das "Mädchen": Helmut Kohl fördert Angela Merkel besonders in den ersten Jahren ihrer politischen Karriere.

Das Ende des Ostblocks ist der Beginn von Merkels politischer Karriere. Der Fall der Mauer wird zum einschneidenden Erlebnis: "Was ich damals gefühlt habe, dafür kann ich keine Worte finden. Es war schier unfassbar", sagt sie später. Ende 1989 engagiert sie sich beim "Demokratischen Aufbruch" und wird nach der Volkskammerwahl im April 1990 stellvertretende Regierungssprecherin. Wenige Monate später wechselt sie zur CDU, kandidiert für den Bundestag - und gewinnt bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl ihren Wahlkreis Stralsund-Rügen-Grimmen.

Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl fördert Merkel, nennt sie sein "Mädchen" und macht sie 1991 zur Bundesministerin für Frauen und Jugend. Im Juni 1993 übernimmt sie den Landesvorsitz der CDU in Mecklenburg-Vorpommern und nach der Bundestagswahl 1994 das Amt der Bundesumweltministerin.

Erste Chefin einer Volkspartei

Nach der Wahlniederlage der Union 1998 steht die CDU vor einem personellen Neuanfang. Merkel gilt als "Zukunftshoffnung". Sie wird zur Generalsekretärin gewählt. Ende 1999 emanzipiert sich das mittlerweile 45-jährige "Mädchen" endgültig von seinem politischen Ziehvater: Als die CDU-Spendenaffäre um schwarze Konten und illegale Geldtransfers die Schlagzeilen beherrscht, bricht Merkel mit Kohl. Sie drängt auf Aufklärung und kritisiert den Altkanzler öffentlich.

Erste Frau an einer Parteispitze

Angela Merkel steht mit erhobener Hand an einem Rednerpult, hinter ihr das Logo der CDU © dpa-Bildfunk Foto: Christian Charisius
Angela Merkel hat sich in wenigen Jahren bis nach ganz oben gearbeitet.

Die Weichen für den innerparteilichen Neuanfang stellt die CDU auf ihrem Parteitag im April 2000. Merkel wird zur Parteichefin gewählt - und übernimmt als erste Frau in Deutschland den Vorsitz einer Volkspartei. Auf die Kanzlerkandidatur verzichtet sie bei der Bundestagswahl 2002 noch zugunsten von CSU-Chef Edmund Stoiber. Drei Jahre später steht sie bei der vorgezogenen Bundestagswahl auf Platz 1 der CDU-Liste - und gewinnt gegen Gerhard Schröder (SPD). Als erste Frau und Ostdeutsche wird Merkel am 22. November 2005 Kanzlerin und ist zudem mit 51 Jahren so jung wie keiner ihrer Vorgänger.

Merkels erster Regierungskoalition aus Union und SPD folgt 2009 ein Bündnis mit der FDP. Nach Schwarz-Gelb bildet Merkel 2013 erneut eine Große Koalition. Für die Bundestagswahl 2017 lässt sie sich erneut als Kanzlerkandidatin aufstellen und führt die Union als Spitzenkandidatin erneut zum Sieg. Allerdings verliert Merkels CDU im Vergleich zur Wahl 2013 mehr als sieben Prozentpunkte. Merkel muss sich aus den eigenen Reihen mehr oder weniger offen geäußerte Kritik anhören - und dann bricht die FDP auch noch die Sondierungsgespräche für eine schwarz-gelb-grüne Koalition ab.

Verluste bei Bundestagswahl 2017 und Entscheidung für neue GroKo

Scharf auf eine Neuwahl ist man auch in der CDU nicht, denn wer weiß, ob sich der Negativ-Trend fortsetzen würde? Und so nimmt Merkel in den darauf folgenden Koalitionsverhandlungen mit der SPD hin, dass ihre Partei als "Verlierer" der Neuauflage der GroKo bezeichnet wird, zumindest was die Verteilung der Ministerien angeht. Denn Merkel, inzwischen 63-jährig, will die vierte Amtszeit als Kanzlerin. Und mit der Führung einer Großen Koalition kennt sie sich aus. 171 Tage nach der Bundestagswahl lässt sich Merkel am 14. März 2018 zur Kanzlerin wählen. 364 Abgeordnete des Bundestages stimmen für sie - nur neun Stimmen mehr als die nötigen 355.

Die "Merkel-Raute"

Das norwegische Kronprinzenpaar mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am 12. Juni 2010 in Stralsund. © dpa Foto: Bernd Wüstneck
Die typische Geste der Kanzlerin, hier zwischen dem norwegischen Kronprinzenpaar, bekam einen eigenen Namen: "Merkel-Raute".

In ihrer langen Amtszeit als Kanzlerin prägt Merkel nicht nur die Politik. Als Person öffentlichen Interesses stehen ihr Stil und Auftreten immer wieder im Fokus, sei es ihre Pagenfrisur oder die als "Merkel-Raute" bekannte Geste, bei der sie ihre Hände so vor den Bauch hält, dass sich Daumen und Zeigefinger berühren. Ihr Privatleben schirmt sie weitgehend von der Öffentlichkeit ab. Selten begleitet Ehemann Joachim Sauer, mit dem sie seit 1998 verheiratet ist, seine Frau zu öffentlichen Terminen. Der Professor für Quantenchemie lehrt an der Berliner Humboldt-Universität und gilt als einer der weltbesten Wissenschaftler auf seinem Gebiet.

"Mutti" Merkel

Merkel gilt als pragmatisch, uneitel und bescheiden. Ihr seit einigen Jahren kursierender Spitzname "Mutti" gefällt ihr, da er umfasse, "dass man Verantwortung hat", wie sie in einem Interview erklärte. In Umfragen stellten ihr die Deutschen regelmäßig ein gutes Zeugnis aus. Allerdings wird oft auch kritisiert, sie stehe nicht für die konservativen Werte der Union - andere wiederum finden genau diese Art von Politik progressiv: 2011 etwa setzt sie den Atomausstieg durch und unterstützt die Aussetzung der Wehrpflicht, 2014 werden zwei Lieblingsprojekte der Sozialdemokraten - die Rente mit 63 sowie der Mindestlohn - verabschiedet. 2017 schließlich fällt ihr Widerstand gegen die "Ehe für alle".

"Die Spareinlagen sind sicher"

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) © dpa - Bildfunk Foto: Wolfgang Kumm
Peer Steinbrück (SPD) war unter Angela Merkel eine zeitlang Finanzminister. Bei der Bundestagswahl 2013 trat er gegen sie an, unterlag aber.

Als im Oktober 2008 die Hypo Real Estate vor der Pleite steht, droht ein Ansturm auf Banken und Geldautomaten. Mit ihrem Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) stellt Merkel sich vor eine Kamera und formuliert einen Satz, der bis heute nachhallt: "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind." Einfach so, ohne das zu begründen. Und es wirkt, der Run bleibt aus.

"Wir schaffen das"

Am 31. August 2015 sagt Angela Merkel erstmals einen ähnlich einfachen Satz, sie wird ihn mehrfach wiederholen: "Wir schaffen das." Sie sagt das in einer Zeit, als vor allem aus Syrien immer mehr Menschen nach Europa flüchten - und für die die Behörden auf Merkels Entscheidung hin die deutsche Grenze offen lassen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußert sich am 31.08.2015 in Berlin auf einer Pressekonferenz zu aktuellen Themen der Innen- und Außenpolitik. © dpa-Bildfunk Foto: Bernd Von Jutrczenka
Angela Merkel am 31. August 2015 - dem Tag, an dem sie es erstmals sagte: "Wir schaffen das."

Sie wird dafür häufig kritisiert, sowohl für den Satz als auch die Entscheidung, gilt aber ebenso im Oktober 2015 international als aussichtsreiche Kandidatin auf den Friedensnobelpreis. Am Ende geht sie leer aus und vermittelt auf EU-Ebene ein Abkommen mit der Türkei über die Rücknahme von Geflüchteten.

Zorn und Bewunderung

Was bleibt, ist die Macht der Worte: "Wir schaffen das" ist wahrscheinlich der zentrale Satz von Merkels Amtszeit, sie zieht sich damit den Zorn vieler zu, die sie vorher schätzten - und bekommt zugleich die Bewunderung von Menschen, welche vorher nichts für sie übrig hatten. Es sind Worte, die noch lange jeder kennen wird. Kennedy: "Ich bin ein Berliner", Kohl: "blühende Landschaften", Merkel: "Wir schaffen das."

2018: Das Jahr, in dem Merkel den Rückzug antritt

Als im Herbst 2018 erst die CSU in Bayern und anschließend die CDU in Hessen herbe Verluste bei den Landtagswahlen einfährt, werden in der Union Zweifel laut, ob Merkel noch die richtige Führungsfigur ist. Parallel dazu eskaliert in Berlin immer wieder der Konflikt zwischen der Kanzlerin und ihrem Innenminister Horst Seehofer (CSU) - bei dem es vor allem um die Flüchtlingspolitik geht. Am 29. Oktober teilt Merkel mit, dass sie beim Bundesparteitag Anfang Dezember in Hamburg nicht wieder als CDU-Vorsitzende kandidiert. Bundeskanzlerin wolle sie aber bis 2021 bleiben. Am 7. Dezember 2018 wird Annegret Kramp-Karrenbauer, die bisherige CDU-Generalsekretärin, mit knapper Mehrheit von 51,75 Prozent zur neuen Parteivorsitzenden gewählt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sitzt auf einem Stuhl.  Foto: Michael Kappeler
Den Empfang der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen absolvierte Angela Merkel teilweise im Sitzen.
Sie zittert - und setzt sich

Zum nahenden Ende ihrer Amtszeit rückt ihr Gesundheitszustand in den Fokus: Beim Staatsbesuch des ukrainischen Präsidenten Selenski am 18. Juni 2019 zittert Angela Merkel plötzlich während der Hymne. Es folgen zwei weitere Zitterattacken bei öffentlichen Anlässen, jeweils im Abstand weniger Tage.

Angela Merkel sagt dazu, sie habe vor dem ersten Anfall offenbar zu wenig getrunken - die beiden folgenden seien geschehen, weil die Verarbeitung des Ereignisses noch nicht abgeschlossen war. "Ich muss jetzt eine Weile damit leben." Und das tut sie: Als beim Empfang der neuen dänischen Regierungschefin Mette Frederiksen am 11. Juli die Hymnen gespielt werden, sitzt Angela Merkel - und bleibt ruhig. Es ist ein Arbeitstag.

Klimakrise und Pandemie erlauben keine Pause

Doch ruhig werden ihre letzten beiden Amtsjahre nicht. Zunächst rückt die Klimakrise und die Bewegung "Fridays for Future" in den Focus, ab 2020 dann die Corona-Pandemie. Die Naturwissenschaftlerin Merkel mahnt und handelt dennoch oft spät und zögerlich, wie ihr die Kritiker vorwerfen.

"Ereignisreich und oft sehr herausfordernd"

Beim traditionellen Großen Zapfenstreich zu ihrem Abschied wünscht Merkel sich vom Stabsmusikkorps der Bundeswehr neben dem Kirchenlied "Großer Gott, wir loben dich" auch Hildegard Knef und Nina Hagens "Du hast den Farbfilm vergessen". "Ein Highlight meiner Jugend", bekennt Merkel und erwähnt, dass die Geschichte des Songs am Ostseestrand in ihrem ehemaligen Wahlkreis spielt.

Auf ihre Amtszeit blickt Merkel mit Dankbarkeit: "Sie haben mich politisch und menschlich gefordert und zugleich haben sie mich immer auch erfüllt", sagte Merkel. Vor allem sei ihre politische Arbeit "ohne die vielfältige Unterstützung politischer Weggefährten, national wie international, nicht möglich gewesen".

 

Merkels wichtigste Stationen

1973-1978: Studium der Physik an der Karl-Marx-Universität Leipzig
1978-1990: Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Physikalische Chemie an der Ost-Berliner Akademie der Wissenschaften
1986: Promotion zum Dr. rer. nat.
1990: Ernennung zur stellvertretenden Regierungssprecherin der DDR-Koalitionsregierung de Maizìere
1990: Eintritt in die CDU (Ost)
1990-1991: Referentin im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
seit 1990: Mitglied des Bundestags
1991-1994: Bundesministerin für Frauen und Jugend
1991-1998: stellvertretende Vorsitzende der CDU
1993-2000: Vorsitzende des CDU-Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern
1994-1998: Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
1998-2000: Generalsekretärin der CDU
2000-2018: Parteivorsitzende der CDU
2002-2005: Fraktionsvorsitzende der CDU im Bundestag
2005-2021: Bundeskanzlerin

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 08.12.2021 | 07:00 Uhr

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