Stand: 25.07.2013 13:43 Uhr

Hitlers Hafen: Die Nazi-Pläne für Hamburg

Gutschows kometenhafter Aufstieg

Konstanty Gutschow an der Schreibmaschine © Niels Gutschow
Gutschow realisierte in Hamburg unter anderem auch das Kaifu-Bad.

Für den damals 37-Jährigen bedeutet diese Ernennung einen Karriereschub sondergleichen. Bis dato hat er eher durch Wettbewerbe und Beiträge in Architekturzeitschriften als durch reale Bauten von sich reden gemacht. Umgesetzt wurden bis dahin lediglich das Kaifu-Bad in Hamburg-Eimsbüttel sowie wenige kleinere Wohnhäuser. Nun hat der Einfamilienhaus-Architekt plötzlich den Auftrag, eine Stadt zu gestalten. Sein Büro wächst auf mehr als 150 Mitarbeiter, hinzu kommen rund 100 weitere technische Experten und Gutachter.

Der Verbrauch von Zeichenstiften im Büro steigt. Gutschow selbst fährt zur Inspiration mehrmals in die USA. Bis ins Detail erkundet er die Konstruktionen der Hochhäuser und Brücken, um sie später auf Hamburger Verhältnisse zu übertragen.

Bis 1965 sollten die Pläne umgesetzt sein

Interview
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Gutschow fabriziert ein Gedankenkonstrukt, das nach Vorbild der New Yorker Skyline Manhattan als "Elbhattan" beschrieben werden kann. Auf Höhe des heutigen Altonaer Balkons sollte das Gauhochhaus als Herzstück der Hafensilhouette emporragen. Dazu ein Gauforum und eine Volkshalle. Auf Höhe des heutigen neuen Elbtunnels sollte eine Hochbrücke mit 180 Meter hohen Pfeilern und einer Spannweite von 750 Metern über die Elbe führen.

Auch den Rest der Stadt gestaltet Gutschow in detaillierter Arbeit komplett um. Veranschlagte Kosten für das "Neue Hamburg": 1,6 Milliarden Reichsmark. Geplantes Bauende: 1965.

Neuengammer Häftlinge sterben bei Klinkerproduktion

Unzählige Steine werden benötigt, um die Pläne umzusetzen. Roter Klinker soll es sein. Produzieren müssen ihn ab Ende der 1930er-Jahre die Häftlinge im Konzentrationslager Neuengamme. Das bedeutet: schwere körperliche Arbeit in den Tongruben. Bei Wind und Wetter. Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Wunde Hände, schmerzende Körper, leere Mägen. Gleichzeitig graben einige Zwangsarbeiter an einem Stichkanal, über den die Klinkersteine in den Hafen transportiert werden sollten. Viele sterben.  

Gutschow plant. So ganz trifft er den Geschmack des verhinderten Architekten Hitler aber nie. Immer wieder präsentiert der Hamburger dem Führer neue Modelle des Hafens und der Stadt. Deutsche Soldaten ziehen in den Krieg. Gutschow zeichnet. Bomben fallen auf die Hansestadt. Gutschow entwirft neue Modelle. "Was sind schon die paar nächtlichen Besuche der Tommies [= Engländer, die Redaktion], die uns in den Keller schicken?", fragt er im Frühjahr 1941. "Wir stehen hier noch mitten in der Arbeit an der Zukunft nach dem Krieg."

"Bild der Trümmer rührt uns nicht"

Zerstörte Gebäude in Hamburg-Eilbek nach den alliierten Luftangriffen im Sommer 1943. © picture-alliance / dpa
Für Gutschow lassen die zerstörten Häuser nach den Luftangriffen "um so deutlicher das Bild des zukünftigen Hamburg entstehen".

Die zerstörten Häuser der Menschen und das Not und Elend auf den Straßen sind für Gutschow nur ein vorübergehender unerfreulicher Zustand - den es zu überwinden gilt.  "Das Bild der Trümmer rührt uns nicht in der Seele", schreibt er. Er sieht es als Chance, die durch die schnelle Industrialisierung am Ende des 19. Jahrhunderts vergleichsweise wild gewachsene Stadt aufzuräumen und neu zu ordnen.

"Dem allergrößten Teil der baulichen Zerstörungen weinen wir keine Träne nach": Im Sommer 1943 legt die "Operation Gomorrha"Hamburg binnen weniger Tage in Schutt und Asche. 40.000 Menschen sterben. Etwa 750.000 Hamburger werden obdachlos. Für Gutschow lassen die zerstörten Häuser "nur umso deutlicher und lebendiger das Bild des zukünftigen Hamburgs, des Neuen Hamburgs, vor unseren Augen entstehen."

Dabei arbeitet er auf Anweisung des Regimes längst als Leiter des "Amts für kriegswichtige Aufgaben". Als solcher organisiert er Not-Unterkünfte für die ausgebombte Bevölkerung. Und wenn es die Zeit zulässt, plant und zeichnet er weiter an seinem Traum vom "Neuen Hamburg".

Pläne als Grundlage für den Wiederaufbau

Der ist nach Kriegsende ausgeträumt - vorerst. Mit vier Jahren Berufsverbot kommt Gutschow mehr als glimpflich davon. Da er während der Nazizeit sein Büro stets als Privatarchitekt weitergeführt hat, ist er offiziell von den Behörden unabhängig geblieben. Wie die meisten seiner Mitarbeiter flüchtet sich Gutschow unter den Deckmantel des Technokraten, der vom Ausmaß der nationalsozialistischen Gräuel nichts geahnt haben will. Es sei ihm immer nur um "die Sache" gegangen, verkündet er.

Das von ihm geplante Elbufer wird nach Kriegsende zwar nicht gebaut. Der sandige Untergrund hätte, sind sich Experten sicher, dem riesigen Gauhochhaus auch gar nicht standgehalten. Doch Gutschows Generalbebauungsplan für Hamburg dient nach dem Krieg als Grundlage für den Wiederaufbau. Und im Büro der Stadtplanung sitzen nach 1945 ehemalige Mitarbeiter des Elbufer-Architekten.

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