Stand: 30.01.2017 17:45 Uhr

Als deutsche U-Boote Handelsschiffe versenkten

von Dirk Hempel, NDR.de
Vor einem Lebensmittelgeschäft in Berlin stehen die Menschen im Jahr 1917 während des Ersten Weltkriegs Schlange © dpa / picture alliance Foto: Berliner Verlag/Archiv
Wegen der britischen Seeblockade fehlen in Deutschland ab 1914 Nahrungsmittel, die Schlangen vor den Geschäften sind lang.

Kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhängen die Briten eine Seeblockade gegen deutsche Häfen an der Nordsee. So unterbinden sie nicht nur wichtige Rohstoffimporte, sondern auch dringend benötigte Nahrungsmitteleinfuhren nach Deutschland. Die Folge: Im sogenannten Steckrübenwinter 1916/17 sind selbst Kartoffeln und Brot rationiert. Hunderttausende verhungern bis zur Aufhebung der Blockade im Juli 1919.

Um Großbritannien ebenfalls von der Versorgung aus Übersee abzuschneiden und zum Frieden zu zwingen, will die deutsche Heeres- und Marineführung uneingeschränkt U-Boote gegen Handelsschiffe einsetzen. Doch Wilhelm II. und sein Reichskanzler Theobald von Bethman Hollweg zögern, denn sie wollen einen Bruch mit den USA vermeiden. Als die Briten Ende Dezember 1916 ein deutsches Friedensangebot schroff zurückweisen, kann sich die Oberste Heeresleitung unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff schließlich durchsetzen.  

Zivile Schiffe werden ohne Vorwarnung versenkt

Ein deutsches U-Boot versenkt am 7. April 1917 das britische Handelsschiff "Maplewood" im Mittelmeer. © Bundesarchiv Bild 102-00159
Ein deutsches U-Boot versenkt am 7. April 1917 das britische Handelsschiff "Maplewood" im Mittelmeer.

Am 1. Februar 1917 beginnt das Deutsche Reich auf Befehl des Kaisers mit 136 Booten den uneingeschränkten U-Boot-Krieg: Fortan versenken sie Handels- und Passagierschiffe ohne jede Warnung, auch aus neutralen Staaten. Bei ihren Angriffen operieren sie von Borkum, Helgoland und Emden aus in festgelegten Sperrgebieten rund um die britischen Inseln. Auch vor den russischen Nordmeerhäfen und im Mittelmeer sind deutsche U-Boote im Einsatz.

U-Boote brechen Seekriegsregeln

Die Neutralen, allen voran die USA, reagieren empört. Denn der Befehl bedeutet einen Bruch der internationalen Seekriegsregeln, die eine Behandlung gegnerischer Schiffe nach der Prisenordnung (von französisch "prise" für "Wegnahme") vorsehen. Bislang durften die U-Boot-Besatzungen Handelsschiffe des Gegners oder neutraler Staaten, die Ladung für den Gegner transportieren ("Konterbande"), in der Regel nur beschlagnahmen. Jetzt nehmen die U-Boote keine Rücksicht mehr auf Menschenleben.

Schnelle Anfangserfolge

Eine Flotte deutscher U-Boote liegt im Hafen von Kiel (1914). © NDR Foto: Judith Pape
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs werden U-Boote - hier in Kiel - für die Deutschen immer wichtiger.

Auf den Werften in Bremen, Hamburg und Danzig werden nun immer mehr und immer schnellere U-Boote gebaut. In den ersten Monaten versenken sie rund 2.000 Handelsschiffe mit insgesamt 3,5 Millionen Bruttoregistertonnen Laderaum, darunter auch norwegische, schwedische, niederländische und amerikanische. Ihre Torpedos reißen Tausende Seeleute in den Tod, aber erreichen das gewünschte Ziel. Sie verhindern die Lieferung von Öl für die britische Flotte und von Rohstoffen für die Produktion von Waffen und Munition, die schon bald an der Westfront fehlen. Auch Getreide wird rar. Die Lebensmittelvorräte auf den britischen Inseln schmelzen, im Frühjahr reichen sie nur noch für wenige Wochen.

Militärs unterschätzen die USA

Die Deutschen nehmen den Kriegseintritt der USA, der am 6. April erfolgt, in Kauf. Sie spekulieren darauf, dass die Briten innerhalb von fünf Monaten kapitulieren müssen - lange, bevor die Amerikaner einsatzfähig sind. In Marinekreisen herrscht seit Jahren die Ansicht, die "Yankeeflotte" sei ohne Bedeutung. Der Chef des Admiralsstabs, Henning von Holtzendorff, verbürgt sich sogar mit seinem "Seeoffiziersehrenwort" dafür, dass kein Amerikaner das europäische Festland betreten werde. Und der Marinestaatssekretär Eduard von Capelle erklärt vor dem Reichstag: "In militärischer Hinsicht erachte ich die Stärkung durch den Eintritt der USA in den Krieg auf Seiten unserer Gegner für Null."

Zunächst scheint die Rechnung aufzugehen. So stellt der Chef der Royal Navy angesichts der versenkten Handelsschiffe im April 1917 fest: "Die Deutschen werden gewinnen, wenn wir diesen Verlusten nicht ein Ende machen." Und im Juni ist er sicher: "Wir können nicht mehr weitermachen." Im Großen Hauptquartier des Kaisers löst der Erfolg der U-Boote Euphorie aus. Jederzeit wird mit der britischen Kapitulation gerechnet.

Die Briten wehren sich

Doch wider Erwarten geben die Briten nicht auf. Premierminister Lloyd George fordert sie zum Durchhalten auf. In Gärten, Parks und auf Schulhöfen bauen sie daraufhin Gemüse und Kartoffeln an. Zwar ist das Brot mit Ersatzstoffen versetzt, aber Hunger wie in Deutschland leiden die Briten nicht. Im Gegenteil: Durch staatliche Preisgarantien und Lohnerhöhungen für die Rüstungsarbeiter verbessern sich die Lebensbedingungen für die unteren Schichten sogar zeitweise.

Auch ist die Blockade nicht so umfassend wie geplant. Mit Rücksicht auf die neutralen Staaten gewährt der Kaiser immer mehr Ausnahmen vom Versenkungsbefehl, etwa für norwegische Robben- und Dorschfischer im nördlichen Eismeer, dänische Getreidetransporte und spanische Passagierdampfer. Die Liste wird im Verlauf des Sommers immer länger.

U-Boote werden selbst gejagt

Besatzung mit Kanone auf einem deutschen U-Boot im Ersten Weltkrieg. © NDR Foto: Judith Pape
Nach anfänglichen Erfolgen geraten die deutschen U-Boote immer mehr ins Visier der aufgerüsteten Flotten der Briten und Amerikaner.

Zwar wiederholt Marinestaatssekretär von Capelle im Juli noch einmal seine Überzeugung, es bestünde keine Gefahr, dass die USA Truppen nach Europa schickten. Aber Hindenburg und Holtzendorff wollen jetzt nichts mehr von ihren Versprechungen eines schnellen Sieges wissen. Sie machen sogar den Kanzler Bethmann Hollweg für das Scheitern des U-Boot-Krieges verantwortlich und erpressen seinen Rücktritt. In Regierungskreisen herrscht nun tiefe Niedergeschlagenheit.

Denn inzwischen versenken die U-Boote weniger Frachtschiffe. Die Briten haben immer mehr Dampfer bewaffnet, rund 100.000 Seeminen gelegt, stärkere Wasserbomben und Horchgeräte entwickelt. Hunderte britische Schiffe, Flugzeuge und Luftschiffe machen inzwischen Jagd auf die deutschen U-Boote. Vor allem aber überqueren die Versorgungsdampfer den Atlantik jetzt in Geleitzügen von durchschnittlich 30 Schiffen, die von einem Dutzend Kriegsschiffen bewacht werden. Das macht den Angriff für die U-Boote besonders gefährlich.

Die USA greifen in den Ersten Weltkrieg ein

Die von den Deutschen verspottete "Yankeeflotte" ist nach den Briten inzwischen zur zweitstärksten der Welt gewachsen. Sie unterstützt die Westmächte mit Schiffen, Waffen und Munition, ab Oktober 1917 auch mit Soldaten. Die U-Boote können die Truppentransporter, zumeist beschlagnahmte deutsche Passagierdampfer wie die "Vaterland", nicht aufhalten. Anfang 1918 haben bereits mehr als 200.000 US-Soldaten die Front in Frankreich verstärkt. Am Ende werden es 1,8 Millionen sein. So beeinflusst der uneingeschränkte U-Boot-Krieg tatsächlich den Kriegsverlauf, jedoch anders als von den Militärs versprochen. Die Übermacht der USA zwingt die Deutschen im November 1918 zur Kapitulation.

Die im Ersten Weltkrieg eingesetzten 320 deutschen U-Boote versenken insgesamt 6.394 Handelsschiffe, die meisten ab Februar 1917. Nach britischen Berechnungen kommen dabei etwa 30.000 Menschen ums Leben. Auf deutscher Seite sterben 5.100 Marinesoldaten, mehr als die Hälfte der Besatzungen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 11.09.2016 | 19:30 Uhr

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