Als die Barschel-Affäre die Republik erschütterte

Stand: 16.03.2023 13:48 Uhr

Am 12. September 1987 platzt die Bombe: SPD-Spitzenkandidat Björn Engholm soll im Kieler Wahlkampf bespitzelt worden sein. Dahinter steckt offenbar Uwe Barschel. Der Spitzenkandidat der CDU dementiert die Vorwürfe.

von Janine Kühl, NDR.de

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU) weist auf einer Pressekonferenz am 18.9.1987 in Kiel die von seinem ehemaligen Referenten Reiner Pfeiffer erhobenen Vorwürfe, er habe den Oppositionsführers Björn Engholm (SPD) während des Wahlkampfes bespitzeln lassen, zurück. © picture-alliance / dpa Foto: Werner Baum
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Barschel weist auf einer Pressekonferenz die Vorwürfe gegen ihn zurück.

Uwe Barschel sitzt mit Journalisten beim Kaffee auf dem idyllischen Gut Steinhorst im Lauenburgischen. Es ist Sonnabend, der 12. September 1987, ein Tag vor der mit Spannung erwarteten Landtagswahl in Schleswig-Holstein. Der amtierende Ministerpräsident will in entspannter Atmosphäre einen langen und harten Wahlkampf ausklingen lassen. Während auf Gut Steinhorst noch Ruhe herrscht, schlägt in Hamburg eine Meldung große Wellen: "Barschels schmutzige Tricks" heiße die "Spiegel"-Titelgeschichte vom folgenden Montag. Der NDR berichtet gegen 15 Uhr zuerst von den darin beschriebenen Vorwürfen, CDU-Mann Barschel habe mit einer Verleumdungs- und Bespitzelungskampagne seinem politischen Gegner Björn Engholm (SPD) schaden wollen.

Knapp zwei Stunden später bezieht Barschel Stellung. Er dementiert, bezeichnet die Anschuldigungen seines Medienreferenten Reiner Pfeiffer als "erstunken und erlogen". Ausschnitte der Pressekonferenz werden in den Abendnachrichten im Fernsehen gezeigt. In wenigen Stunden werden die Wahllokale ihre Türen öffnen. Wie werden die Schleswig-Holsteiner auf die angeblichen Enthüllungen reagieren?

Angriff auf Engholms Privatleben

Was sich wie die Handlung eines Polit-Krimis liest, beginnt bereits im Januar 1987. Die CDU steht vor einem harten Wahlkampf im nördlichsten Bundesland der Republik, denn die SPD ist mit ihrem charismatischen Spitzenkandidaten Björn Engholm zu einem ernst zu nehmenden Gegner geworden. Erstmals seit 1950 könnten die Christdemokraten ihre absolute Mehrheit im Landtag einbüßen. Ministerpräsident Barschel sucht einen Medienreferenten als Unterstützung - und bekommt vom Axel-Springer-Verlag den Journalisten Reiner Pfeiffer empfohlen.

Reiner Pfeiffer (r.) und sein Anwalt Hajo Wandschneider vor dem Untersuchungsausschuss in Kiel am 23.10.1987. © picture-alliance/ dpa Foto: Wulf Pfeiffer
Reiner Pfeiffer behauptet, von Uwe Barschel den Auftrag für die Aktionen gegen Engholm erhalten zu haben.

Der schreitet sogleich zur Tat und erstattet - angeblich mit einem von Barschel diktierten Brief - anonym Anzeige wegen Steuerhinterziehung gegen Engholm. Die Steuerakte des SPD-Politikers wird überprüft und für völlig korrekt befunden. Im Februar beauftragt Pfeiffer dann eine Bremerhavener Detektei mit der Bespitzelung Engholms. Ziel ist es, etwaige homosexuelle Neigungen oder außereheliche sexuelle Ausschweifungen des Herausforderers aufzudecken. Schließlich ruft Pfeiffer bei Engholm zu Hause an. Er gibt sich als Arzt Dr. Wagner aus und konfrontiert den Politiker mit der Behauptung, er habe Hinweise auf dessen angebliche Aids-Erkrankung. Sogar eine Telefonwanze versucht Pfeiffer zu beschaffen. Sie soll im Büro von Barschel platziert werden, um daraufhin der Opposition einen Abhörskandal in die Schuhe zu schieben. Keine der Aktionen führt zu dem gewünschten Ergebnis. Der Plan, Engholm zu diskreditieren, scheitert.

Erste Nachrichten über Bespitzelungen

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Björn Engholm 1989. © Bundesarchiv Foto: Wegmann, Ludwig
SPD-Politiker Björn Engholm sollte mit gezielten Bespitzelungen und Verleumdungen diffamiert werden.

Eine Woche vor der Wahl beginnt die Enthüllung der Machenschaften. Im Gespräch mit einem "Spiegel"-Redakteur erzählt Engholm von einigen gegen ihn gerichteten Maßnahmen, bittet den Journalisten aber um Verschwiegenheit. Doch auch ein anderer SPD-Mann - Klaus Nilius, Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion - spricht mit der "Spiegel"-Redaktion und berichtet von den Aktionen gegen den SPD-Kandidaten. Am 7. September bringt das Hamburger Nachrichtenmagazin den ersten Artikel über schmutzige Tricks im Kieler Wahlkampf. In Anlehnung an den "Watergate"-Skandal um US-Präsident Richard Nixon bekommen die Vorgänge im hohen Norden den Namen "Waterkantgate".

Über Reiner Pfeiffers Aktivitäten ist zu diesem Zeitpunkt noch nichts bekannt. Doch das ändert sich schnell. Bereits am 9. September packt Pfeiffer aus. Während eines von Nilius organisierten Gesprächs mit "Spiegel"-Redakteuren schildert Barschels Medienreferent unter eidesstattlichen Versicherungen die illegalen Aktivitäten gegen Engholm. Dazu legt er als Beweismittel angebliche handschriftliche Notizen Barschels vor - und kassiert 165.000 Mark. Trotz besonderer Vorsichtsmaßnahmen sickern Details der Titelgeschichte durch und werden am Vortag der Wahl bundesweit bekannt. Der "Spiegel" sieht sich in der Folge mit dem Vorwurf konfrontiert, mit dem Bekanntwerden der Barschel-Pfeiffer-Affäre am Vorabend der Wahlen Einfluss auf deren Ausgang genommen zu haben.

Barschel: "Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!"

Die Landtagswahl am 13. September 1987 endet mit einem Desaster für Barschel. Seine CDU, die 1983 noch mit 49 Prozent der Wählerstimmen die absolute Mehrheit errungen hatte, kommt lediglich auf 42,6 Prozent. Wahlsieger ist die SPD mit 45,2 Prozent. Doch Barschel gibt sich noch nicht geschlagen. Am 18. September erklärt er auf einer Pressekonferenz: "Über diese Ihnen gleich vorzulegenden eidesstattlichen Versicherungen hinaus gebe ich Ihnen, gebe ich den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Schleswig-Holsteins und der gesamten deutschen Öffentlichkeit mein Ehrenwort - ich wiederhole: Ich gebe Ihnen meine Ehrenwort! - dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind." In den folgenden Tagen jedoch verliert Barschel jeglichen Rückhalt in seiner Partei und tritt am 2. Oktober als Ministerpräsident Schleswig-Holsteins zurück.

Uwe Barschel bei der spektakulären "Ehrenwort"-Pressekonferenz am 18.09.1987 in Kiel. © dpa-Bildfunk Foto: Werner Baum
AUDIO: Die Ehrenwort-Lüge (4 Min)

Untersuchungsausschuss bestätigt Mitwisserschaft Barschels

Der schleswig-holsteinische Landtag setzt einen Untersuchungsausschuss ein. Im Zuge der Ermittlungen wird Barschel durch mehrere Zeugen schwer belastet. Im Abschlussbericht kommt der Ausschuss im Februar 1988 zu dem Ergebnis, dass Barschel von zahlreichen Aktivitäten Pfeiffers Kenntnis hatte oder eine Mitwisserschaft zumindest wahrscheinlich sei. Gleichzeitig wird deutlich, dass mehrere SPD-Politiker seit Längerem Informationen von Pfeiffer bekommen hatten. Am 12. Oktober soll Barschel vor dem Untersuchungsausschuss aussagen. Der Politiker wird jedoch am 11. Oktober tot in einem Genfer Hotel aufgefunden.

SPD gewinnt bei Neuwahl die absolute Mehrheit

Landtagswahl-Ergebnisse 1987 und 1988

Eine neue Landesregierung kann zunächst nicht gebildet werden. Das Wahlergebnis führt zu einem Patt im Landtag. Eine Koalition aus CDU und FDP sowie ein Bündnis der SPD mit dem SSW-Abgeordneten Meyer liegen gleichauf. Da dieser sich weigert, einem CDU-Kandidaten seine Stimme zu geben, ist eine Neuwahl nötig. Die Amtsgeschäfte übernimmt zunächst Barschels bisheriger Stellvertreter Henning Schwarz (CDU). Aus der Neuwahl am 8. Mai 1988 geht die SPD mit 54,8 Prozent als Wahlsieger hervor. Am 31. Mai wählt der Landtag Engholm zum Ministerpräsidenten. Fünf Jahre später kommt heraus, dass Engholm entgegen früherer Beteuerungen schon während des Wahlkampfes 1987 von den Machenschaften Pfeiffers wusste. Er tritt zurück.

Weitere Informationen
Der Leichnam von Uwe Barschel wird am 11. Oktober 1987 auf einer Trage aus dem Hotel Beau-Rivage in Genf abtransportiert.

Der mysteriöse Tod Uwe Barschels

Am 11. Oktober 1987 wurde Uwe Barschel tot in einem Genfer Hotel aufgefunden. Wie und warum starb der CDU-Politiker? Ein Überblick über Mord- und Selbstmordtheorien. (10.10.2012 ) mehr

Filmszene aus "Der Fall Barschel" mit der nachgestellten Aufnahme des toten Politikers Uwe Barschel (hier gespielt von Matthias Matschke) in der Badewanne © ARD Degeto / Stefan Rabold

Der Fall Barschel: Polit-Skandal und Tod

Einen Tag vor der Schleswig-Holstein-Wahl am 13. September 1987 platzt die Bombe: SPD-Kandidat Engholm wurde im Wahlkampf ausspioniert. Wusste Ministerpräsident Barschel davon? mehr

Der ehemalige Medienreferent Uwe Barschels, Reiner Pfeiffer

"Mein Schreibtisch in der Staatskanzlei wurde ausgeräumt"

Reiner Pfeiffer, Uwe Barschels ehemaliger Medienreferent, gibt Barschel die Schuld an der Bespitzelung Björn Engholms. Beweise kann er aber nicht vorlegen. Ein Interview. mehr

Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl
1 Min

"Der CDU hat die Barschel-Affäre sehr geschadet"

Altkanzler Helmut Kohl berichtet von einem Uwe Barschel, der Kanzler werden wollte - und seiner Partei großen Schaden zufügte. (18.09.2007) 1 Min

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 05.04.2011 | 09:20 Uhr

Mehr Geschichte

Journalisten inspizieren am 22. April 1994 eine Telefonzelle in Berlin Treptow, in der am Morgen der Kaufhaus-Erpresser "Dagobert" von Spezialkräften festgenommen wurde. © picture alliance / AP Foto: Jockel Finck

Vor 30 Jahren: Kaufhaus-Erpresser "Dagobert" wird geschnappt

Einer der spektakulärsten Erpressungsfälle der deutschen Kriminalgeschichte endet am 22. April 1994. Rund zwei Jahre lang narrte "Dagobert" die Polizei. mehr

Norddeutsche Geschichte