Sendedatum: 21.09.2014 19:30 Uhr

Schwedischer Politiker will Aufklärung

von Christian Wolf
Kent Härstedt sitzt am Meer und blickt in die Kamera. © NDR Foto: Christian Wolf
Der Schwede Kent Härstedt gehört zu den wenigen, die den Untergang "Estonia" im September 1994 überlebt haben.

Kent Härstedt ist 29 Jahre alt, als die "Estonia" in den Fluten der Ostsee versinkt. Er überlebt das Unglück, bei dem 852 Menschen ums Leben kommen. Der schwedische Politiker kritisiert 20 Jahre nach dem Untergang der Fähre vor allem die Untersuchungen an dem Wrack, unmittelbar nach der Katastrophe - und fordert eine neue unabhängige Untersuchung.

Umstrittener Abschlussbericht

Für den schwedischen Politiker sind bis heute viele Fragen offen geblieben. Vor allem aber kritisiert er sein Land, dass die Untersuchung am Wrack aus seiner Sicht nicht professionell betrieben hat: "Viele Fragen sind immer noch nicht geklärt. Ich denke, dass wir eine neue, unabhängige und internationale Untersuchung brauchen. Wir wissen nicht, warum die 'Estonia' gesunken ist. Und wir wissen nicht, wie sie so schnell untergehen konnte."

Bislang keinen Erfolg für neue Untersuchungen

In den Jahren nach dem Untergang hatte Kent Härstedt immer wieder versucht, dass die Regierung seines Landes das Wrack neu untersucht. "Wir haben Fragen gestellt. Einige kleinere Parteien sind auf den Zug mit aufgesprungen und haben uns unterstützt. Trotzdem hatten wir keinen Erfolg", erklärt der Politiker. Er vermutet, dass die Mehrheit der Parlamentarier den Untergang am liebsten für alle Zeiten vergessen würden - und das die Gedanken an das 157 Meter lange Schiff in der tiefen Dunkelheit am Meeresgrund für immer verschwindet und nie wieder auftaucht.

Kritik am Gutachten der JAIC

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Unterwasseraufnahme der Estonia. © NDR

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Obwohl es zum Ablauf des Untergangs der "Estonia" 1994 Gutachten gibt, bestehen Zweifel. Besonders bei den Überlebenden. mehr

Schweden, Finnland und Estland haben für die Aufklärung der Katastrophe eine Untersuchungskommission gegründet, die sogenannte JAIC. Im Jahr 1997 veröffentlichte diese Kommission das erste Gutachten zum Untergang. Für Härstedt wurde aber hauptsächlich verhandelt und nicht untersucht. "Heute bereuen einige Mitglieder der Kommission, wie sie sich damals verhalten haben. Sie würden es heute wohl anders machen. Es ist ein großes Problem, wenn für mehrere Länder etwas auf dem Spiel steht", sagt der Politiker. Am Ende ist für Härstedt der Eindruck entstanden, dass "solange gefeilscht wurde, bis alle beteiligten Länder gut dastanden".

Illegale Transporte

Nach seinen Worten hat für die beteiligten Länder damals zu viel auf den Spiel gestanden. Damit spielt er unter anderem auf die illegalen Militärtransporte an, die mit der "Estonia" auch schon vor dem Untergang durchgeführt wurden. Erstmals hatte ein pensionierter Zollbeamter im Jahr 2004 berichtet, dass sowjetische Militärgüter so nach Schweden kamen. Estland bestätigte das im gleichen Jahr, Schweden zwei Jahre später. Allerdings ist es nicht erlaubt, militärische Güter mit zivilen Schiffen zu transportieren, wenn diese dafür nicht klar gekennzeichnet sind.

Bannmeile soll neue Untersuchungen verhindern

Kent Härstedt blickt aufs Meer hinaus. © NDR Foto: Christian Wolf
Härstedt will sich nicht an den verschiedenen Verschwörungstheorien beteiligen.

Grundsätzlich ist Kent Härstedt dagegen, dass irgendjemand das Grab in 90 Metern Tiefe stört. "Aber wenn das mit Respekt passieren würde, mit dem Ziel, die Unglücksursache aufzuklären, fänden das viele Menschen gut", ergänzt der Politiker. Seit einem Abkommen aus dem Jahr 1995 ist dass allerdings nicht erlaubt. Damals haben alle Anrainerstaaten der Ostsee - bis auf Deutschland - ein Gesetz zur Bannmeile unterschrieben. Kein Bürger darf zur "Estonia" tauchen oder über die Unglückstelle mit einem Schiff fahren. Kent Härstedt ist der Ansicht, dass dieses Abkommen darauf zielt, neue Untersuchungen zu verhindern. "Es ist wirklich unglücklich, dass der eigentlich gute Gedanke, die Leichen zu schützen, die Gerechtigkeit behindert", sagt er.

Politische Erfolge im Umgang mit der Katastrophe

Schon einmal ist der Politiker erfolgreich in Sachen "Estonia" gewesen. Gemeinsam mit den Hinterbliebenen der Katastrophe schaffte er es, dass das Wrack nicht unter einem Beton-Sarkophag beerdigt wurde. "Ich kenne keinen einzelnen Fall, in dem ein Wrack unter einem Beton-Sarkophag verschwinden sollte. Es ist geschmacklos und öffnet gleichzeitig die Tür für alle möglichen Spekulationen und Verschwörungstheorien", sagt Härstedt. Für sich selbst hat er entschieden, sich nicht an den verschiedenen Verschwörungstheorien zu beteiligen.

Die Wahrheit muss ans Licht kommen

"Wir müssen herausfinden, was wirklich passiert ist. Unabhängig davon, ob eine der Theorien zutrifft oder der Untergang eine ganz andere Ursache hatte. Wir müssen herausfinden, was passiert ist", erklärt der Schwede. Dafür setzt Kent Härstedt auf die junge Politik-Generation in seinem Land: "Viele Politiker von damals sind heute nicht mehr an der Macht – es hat einen Generationswechsel gegeben." Er hofft, dass sich dadurch die Chancen für neue Untersuchungen steigen - und endlich geklärt wird, was in jener Nacht wirklich passiert ist.

Dossier
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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 21.09.2014 | 19:30 Uhr

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