Der Streit um die Beobachtung durch den Verfassungsschutz
In der Alternative für Deutschland ist ein innerparteilicher Zwist ausgebrochen: AfD-Politiker, die sich selbst als "gemäßigt" bezeichnen, stellen sich gegen den rechtsnationalen "Flügel" des Thüringer Landes- und Fraktionschefs Björn Höcke. Die Äußerungen führender Protagonisten, die programmliche Ausrichtung, die Verbindungen zu rechtsextremistischen Bestrebungen: All dies spielt eine wichtige Rolle, wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Partei zum "Prüffall" erklärt - wie in diesem Jahr mit der AfD geschehen. Die Partei klagt deshalb über eine "politisch motivierte Instrumentalisierung" des Verfassungsschutzes. Wie ist das Vorgehen der Behörde zu bewerten?
Wenn sich der Verfassungsschutz mit Parteipolitik beschäftigt, dann sind ihm Schlagzeilen sicher. Zuletzt erklärte er die gesamte AfD zum "Prüffall" und stufte Teile der Partei konkret als "Verdachtsfall" ein - so den "Flügel" um Björn Höcke, den Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag, und die Jugendorganisation. Denn letztere verfolgten sogenannte "verfassungsfeindliche Bestrebungen". Die AfD sah sich hoheitlich in Verruf gebracht, klagte und bekam beim Verwaltungsgericht Köln recht - jedenfalls vorläufig, im Eilverfahren. "Dem Verfassungsschutz wird untersagt", so der Tenor des Urteils, "in Bezug auf die AfD zu äußern oder zu verbreiten, diese werde als 'Prüffall' bearbeitet."
"Verdachtssplitter" nicht ausreichend für eine Beobachtung
Die Begründung des Urteils, das vielfach auf Unverständnis stieß, liest sich so: Der öffentlich geäußerte Verdacht, eine Partei betreibe eine gegen die "freiheitliche demokratische Grundordnung" gerichtete Politik, komme einem Eingriff in die Parteienfreiheit gleich. Denn er schrecke potenzielle Wähler ab und beeinträchtige damit die Chancengleichheit im politischen Wettbewerb. Die Öffentlichkeit dürfe erst gewarnt werden, wenn ein Verdachtsfall wirklich vorliegt. Dies sei aber bei der AfD offenbar nicht der Fall, so die Kölner Richter. Denn das Bundesamt selbst habe eingeräumt, gewisse "Verdachtssplitter" seien "nicht hinreichend verdichtet, um eine systematische Beobachtung" der Gesamtpartei einzuleiten. Mithin stelle die öffentliche Rede von einem bloßen Prüffall, so das Verwaltungsgericht, einen rechtswidrigen Eingriff dar. Die daraus folgende Wettbewerbsverzerrung müsse abgewendet werden, gerade auch mit Blick auf die Wahlen zu drei ostdeutschen Landtagen im Herbst.
Ein Prozesserfolg, der keiner ist
Was aber die AfD triumphierend als großen Sieg verkauft, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein Prozesserfolg, der keiner ist. Denn das Verwaltungsgericht Köln stellte klar, dass es nicht darüber entschieden habe, ob der Partei zu Unrecht "verfassungsfeindliche Bestrebungen" nachgesagt werden. Das heißt: Aus dem Verbot, öffentlich von einem "Prüffall" zu reden, folgt keineswegs das Verbot, die politischen Ziele der AfD amtsintern zu prüfen. Wie das?
Die wichtigsten Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaats
Um diesen feinen Unterschied zu verstehen, hilft ein Blick ins Gesetz über den Bundesverfassungsschutz. Dort heißt es, dieser sammle Informationen über "Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind" - und zwar dann, wenn dafür "tatsächliche Anhaltspunkte" vorlägen. Gemeint sind damit keine Beweise, sondern bloße Indizien, die einen Anfangsverdacht stützen. Und "Bestrebungen"? Das sind nicht etwa rechtswidrige oder strafbare Handlungen, sondern bloße öffentliche Äußerungen - also Parteipolitik, die sich allgemein erlaubter Mittel bedient. Und "freiheitliche demokratische Grundordnung"? Diesen Begriff, der im Grundgesetz steht, definierte das Verfassungsgericht in den fünfziger Jahren: In seinen Verbotsurteilen gegen die (National-)Sozialistische Reichspartei und die Kommunistische Partei Deutschlands. Der Begriff umfasst demnach die wichtigsten Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaats: nämlich vor allem Menschenwürde, Gewaltenteilung, Parlamentarismus, Rechtsstaat und übrigens auch das Recht auf Opposition.
Mehrheitsparteien definieren, ob Politik "verfassungsfeindlich" ist
Immer dann, wenn der Verfassungsschutz von "extremistischen" oder "verfassungsfeindlichen" Bestrebungen spricht, ist verdächtige Politik an den rechten oder linken Rändern des politischen Spektrums gemeint: Legale Politik, wohlgemerkt, die zwar unter dem Schutz der Meinungsfreiheit steht, die aber nach Ansicht der Geheimdienstler wider den Geist der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" sündigt. Man muss sich klarmachen, wie einschneidend die Folgen für die Freiheit von Opposition sind: Die Mehrheitsparteien, die die Regierung stellen - also auch den Innenminister, der wiederum den Verfassungsschutz führt -, diese Mehrheitsparteien definieren letztlich, ob die Politik einer Minderheitspartei "verfassungsfeindlich" ist - und folglich von einem Geheimdienst überwacht und später womöglich mit einem Verbotsverfahren überzogen wird.
- Teil 1: "Verdachtssplitter" nicht ausreichend für eine Beobachtung
- Teil 2: Im Zentrum des Verdachts stehen anstößige Meinungsäußerungen
