Szene aus dem Film "Der Zeuge" © Neue Visionen

Justizdrama "Der Zeuge": Ein Film gegen das Vergessen

Stand: 28.02.2023 15:54 Uhr

Der Schweizer Carl Schrader war als Häftling in mehreren Konzentrationslagern interniert. Als Zeuge sagte er 1946 vor einem amerikanischen Gericht aus. Der Regisseur und Schauspieler Bernd Michael Lade hat basierend auf dem Fall den Spielfilm "Der Zeuge" gemacht.

von Bettina Peulecke

Die Angeklagten in dem Prozess gegen NS-Täter aus dem KZ Flossenbürg wollen nur Befehlen gefolgt sein.

"Ich war ein gehorsamer SS-Soldat. Wenn schon in Teufels Küche, dann nur als Koch."

Sie tragen Schilder mit Nummern um den Hals. Ihre Namen erfährt das Publikum in schriftlicher Form, eingeblendet neben den Gesichtern, die selten Emotionen zeigen.

Auch das Gesicht von Carl Schrader, dargestellt von Bernd Michael Lade, bleibt distanziert, wenn er von den Gräueltaten erzählt, die er gesehen und erlebt hat. Schrader, ein dubioser Geschäftsmann, der wohl zeitweise illegal mit Industriediamanten handelte, war 1934 von den Nazis verhaftet worden und verbrachte als sogenannter Berufsverbrecher insgesamt elf Jahre in unterschiedlichen Konzentrationslagern. Sein Erinnerungsbericht, der 2015 in Deutschland erschien, und Gerichtsprotokolle waren der Ausgangspunkt für den Film, der ausschließlich sprechende Personen zeigt und viel Aufmerksamkeit verlangt.

Der Film ist zweisprachig

Die Bilder wechseln von Farbe zu schwarz-weiß, je nachdem ob Carl Schrader oder die Täter sprechen. Und er ist zweisprachig. Maria Simon spielt die Gerichtsreporterin, die die Aussagen der Angeklagten übersetzt.

Hier ist euer Bestimmungsort in einem Deutschen Konzentrationslager. Ja, das ist die Rede, die ich da immer vorgelesen habe. Yes, this is the speech I was always reading out loud.

"Der Zeuge" sollte ein internationaler Film werden

Szene aus dem Film "Der Zeuge" © Neue Visionen
Szene aus dem Film "Der Zeuge"

Regisseur und Hauptdarsteller Bernd Michael Lade wollte nicht nur das deutsche Publikum erreichen: "Ich wollte unbedingt einen internationalen Film machen. Ich wollte, dass auch ein Amerikaner oder ein Engländer den Film versteht. Ich brauchte eine richtig coole Rolle für Frau Simon, dass sie da mal zeigen kann, was sie kann." Und es lässt das Gesagte doppelt wirken. Maria Simon lässt ebenso wenig Emotionen erkennen, wie der Rest der Beteiligten. Das macht die Schilderungen fast noch schwerer erträglich. Das Gericht selbst wie auch der Anklagevertreter kommen nicht zu Wort.

Kein historisch korrekter Film

"Der Zeuge" ist historisch nicht korrekt, dem Regisseur war die Bandbreite der Perspektiven wichtig, sagt Bernd Michael Lade: "Der Querschnitt durch die Gesellschaft, der interessiert mich. Denn es gibt immer ein Für und Wider und jeder hat seine eigenen Beweggründe. Der eine träumt davon, dass er die Menschheit einkaserniert und der andere ist schon immer im Waisenhaus gewesen. Oder einer ist Arzt und so hoch geschult, der dreht dann so sehr durch, dass er zur Forschung allen den Magen raus nimmt - das finde ich hochinteressant."

"Der Zeuge" mutet an wie eine Fernsehdokumentation vergangener Zeiten, ein auf das Wesentliche reduzierter, schnörkelloser Film gegen das Vergessen.

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Der Zeuge

Genre:
Drama
Produktionsjahr:
2022
Produktionsland:
Deutschland
Regie:
Bernd Michael Lade
Länge:
93 Minuten
FSK:
ab 12 Jahre
Kinostart:
ab 2. März 2023

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 01.03.2023 | 07:20 Uhr

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Spielfilm

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