Kino in der Corona-Zeit: Rückblick mit Katja Nicodemus
Trotz aller schwierigen Umstände hielt das Kinojahr 2020 einige Highlights bereit und wartete mit starken Bildern und Geschichten auf. Und es war geprägt von Frauen, die sehr eigene Wege gingen.
Es liegt in der Logik dieses seltsamen Kinojahres, dass der Film mit den wohl eindrücklichsten Bildern dann doch nicht im Kino starten konnte. Stattdessen ist er im Netz auf Netflix zu sehen. Sein Titel ist "Mank", und gedreht hat ihn David Fincher. In tiefenscharfen Schwarzweißbildern erzählt der amerikanische Regisseur, wie zu Beginn der 1940er-Jahre das Drehbuch des Klassikers "Citizen Kane" von Orson Welles entstand. Gary Oldman spielt die Hauptfigur, den Drehbuchautor Herman Mankiewicz, kurz Mank, als versoffenen Lebemann. Auf einer Ranch in der Mojave-Wüste schreibt er das Drehbuch über einen Medientycoon, der auch Hollywood unter seine Kontrolle bringen will. Rückblenden springen in die Zeit der großen Studio-Ära. Und Louis B. Mayer erzählt uns beim Rundgang über das Gelände von MGM, worauf es ankommt:
Es ist ein Geschäft, bei dem der Käufer nichts als eine Erinnerung für sein Geld bekommt. Was er gekauft hat, gehört immer noch dem Verkäufer. Das ist die wahre Magie des Filmes. O-Ton aus dem Film
"Niemals Selten Manchmal Immer" mit Sydney Flanigan
David Finchers wunderbar genau komponierte Tableaus bleiben in Erinnerung, genauso wie die Bilder eines anderen Films, der in diesem Jahr gleich doppelt Glück hatte: Eliza Hitmans Wettbewerbsbeitrag "Niemals Selten Manchmal Immer" wurde im vergangenen Februar auf der Berlinale gefeiert, die gerade noch an der Corona-Krise vorbeischrammte. Und: Er kam in Juni regulär ins Kino. Mit einer fast dokumentarischen Kamera folgt Hitman ihrer Heldin, der 17-jährigen schwangeren Autumn. Gemeinsam mit ihrer Cousine fährt Autumn von Pennsylvania nach New York, wo sie ohne Zustimmung der Eltern die Schwangerschaft abbrechen kann. Zurückhaltend spielt Sydney Flanigan, eine der schauspielerischen Entdeckungen dieses Jahres, die verschlossene junge Frau.
Mythische Wassermotive mit Paula Beer in "Undine"

Nicht nur die Berlinale 2020, das gesamte Kinojahr war geprägt von Frauen, die sehr eigene Wege gingen. Ebenfalls im Wettbewerb der Berlinale lief Christian Petzolds Film "Undine", eine Variation der Fabel über den gleichnamigen weiblichen Wassergeist. Paula Beer spielt Undine als ein Wesen, das sich nicht dem fatalen Schicksal beugen will, das der Mythos für sie vorgesehen hat. Ihre Undine will leben - und lieben. Subtil arbeitet Petzold mit Wassermotiven, visuell wie erzählerisch. Undines Geliebter ist der von Franz Rogowski gespielte Industrietaucher Christoph, auch ein aquatisches Wesen.
90.000 Zuschauer sahen Undine im vergangenen Sommer im Kino trotz Maskenpflicht und die durch Abstandregelungen reduzierte Anzahl der Kinoplätze.
Großes Leinwand-Action-Kino mit "Tenet"
Und zumindest in Deutschland erlebte noch ein weiterer Film eine Erfolgsgeschichte im Corona-Jahr. Schon die Tonspur von Christopher Nolans Action-Thriller "Tenet" macht klar, dass der Ort dieses Films die große Leinwand ist. John David Washington spielt den Agenten einer hochgeheimen Mission, deren Codewort "Tenet" lautet.
Metallteile bewegen sich rückwärts durch unsere Zeit. Offenbar sind sie Folgen einer Katastrophe, deren Auswirkungen sich aus der Zukunft auf die Welt zubewegen. Was droht, ist der dritte Weltkrieg oder gar das Ende der Erde. Um die Katastrophe zu verhindern, bewegt sich auch der Held durch zwei Zeitachsen. Mehr als eine Million Zuschauer versuchten in den vergangenen Sommermonaten, Nolans filmische Zeitskulptur zu verstehen. Mit "Tenet" erfüllte das Kino, das ja vom Jahrmarkt abstammt, seine urspüngliche, gerade in diesem Jahr erleichternde Aufgabe: Auszeit, Unterhaltung, Verdrängung auf höchstem Action-Niveau.
