Erbarmungslose Kriegssituation in Nolans Meisterwerk "Dunkirk"
Die Wirkung von Christopher Nolans Meisterwerk "Dunkirk" von 2017 zielt nicht auf den Schock zerplatzter Körper. Er erweckt in unerträglicher Intensität das klaustrophobische Gefühl des Gefangenseins am Strand von Dünkirchen.
Christopher Nolan, Regisseur von "Memento", einer "Batman"-Trilogie oder dem Science-Fiction-Film "Interstellar" hat 2017 einen Film über die Befreiungsaktion "Operation Dynamo" im zweiten Weltkrieg gemacht. Bei der Besetzung hat er mit Namen wie Kenneth Branagh, Cillian Murphy und Tom Hardy auf bekannte, mit Harry Styles, Barry Keoghan und Fionn Whitehead auf im Kino damals noch unbekannte britische Gesichter gesetzt.
Operation Dynamo 1940: Evakuierung von Briten und Franzosen aus Dünkirchen
So der Codename für die Evakuierungsaktion, mit der - auch unter Hilfe privater Boote - nach der verlorenen Schlacht von Dünkirchen 1940 85 Prozent der eingekesselten britischen und französischen Soldaten nach Großbritannien transportiert werden konnten. Wer allerdings einen normalen, patriotischen Kriegsfilm erwartet, der wird enttäuscht werden.
75 Kilometer ist die Entfernung von Dünkirchen in Frankreich bis nach Dover in England - Luftlinie. Aber für die eingekesselten Soldaten, die im Frühjahr 1940 in Dünkirchen in der Falle sitzen, ist sie unüberbrückbar, wenn nicht die Schiffe kommen. Die deutschen Jagdflieger bomben und schießen auf die Soldaten, die am Strand auf die Evakuierung warten.
"Dunkirk": Schockwirkung ohne zerfetzte Eingeweide
Die Wirkung von Christopher Nolans Meisterwerk "Dunkirk" - und das ist "Dunkirk": ein Meisterwerk - zielt nicht auf den Schock spritzender Gedärme, abgeschossener Gliedmaßen und zerplatzter Körper, sondern erweckt in unerträglicher Intensität das klaustrophobische Gefühl des Gefangenseins an diesem riesigen Strand. Nicht vor, nicht zurück. Pure Emotion, dargeboten in einer komplexen Dramaturgie.
Der tiefgehendste Eindruck, der sich herstellt: Krieg ist reines Chaos, anarchischer Ablauf von Ereignissen. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass Christopher Nolan eine lineare Erzähl-Chronologie und damit die Erfahrung derjenigen, die in der Situation sind, fragmentiert. Zeitschichten überlagern sich. Was vorher passierte, beim Sinken eines Schiffes, scheint auf einmal wie das, was passieren wird.
Kriegswahnsinn aus drei Blickwinkeln
Der Krieg hat bei Christopher Nolan viele Wahrnehmungsrealitäten. Etwa die des jungen Soldaten Tommy, der versucht, vom Strand wegzukommen. Er wird immer wieder dorthin zurückgeworfen, weil sein Rettungsschiff torpediert wird. Im Gesicht des jungen britischen Schauspielers Fionn Whitehead spiegelt sich dieses Chaos als ungläubiges Erstaunen. Kenneth Branagh als Commander bemüht sich, die Evakuierung zu organisieren, während Pilot Farrier (Tom Hardy) in seiner Maschine versucht, die Deutschen abzuschießen, um die Wartenden am Strand zu retten.
All diese Figuren sind getrieben von unterschiedlichen Erfahrungen, Wahrnehmungen, Motiven. In diesem Mahlstrom der Ereignisse am Strand löst sich Nolans Film von den Ereignissen ab, verdichtet sich - erbarmungslos, eindringlich - zum Bild des Menschen in einer todbringenden Kriegssituation. Das letzte Bild vor dem Abspann zeigt Tommys Gesicht. Nichts Patriotisch-Heroisches. Sein Blick, ohne Worte, sagt: "Ich habe gesehen!"
Dunkirk
- Genre:
- Kriegsfilm
- Produktionsjahr:
- 2017
- Produktionsland:
- USA, Frankreich, Großbritannien, Niederlande
- Zusatzinfo:
- mit Fionn Whitehead, Tom Hardy, Mark Rylance, Kenneth Branagh
- Regie:
- Christopher Nolan
- Länge:
- 107 min
- FSK:
- ab 12 Jahren
- Kinostart:
- 27. Juli 2017