Peggy Parnass: Ikone von Minderheitenrechten wird 95
Peggy Parnass ist Rebellin, Ikone der Schwulenbewegung und Kämpferin für Gerechtigkeit. Heute feiert die Hamburgerin ihren 95. Geburtstag. NDR Reporter Peter Helling hat sie kürzlich bei einer Theaterpremiere getroffen.
Bei der Premiere von "Alice. Spiel‘ um dein Leben" in den Hamburger Kammerspielen sitzt Peggy Parnass im Rollstuhl im Publikum. Ganz vorne, das ist ihr Ort. Das Stück erzählt die Geschichte der Holocaust-Überlebenden Alice Herz-Sommer. Dieses Theater bedeutet Peggy Parnass viel, seine jüdische Vergangenheit. Die Premiere geht ihr sichtlich nahe. Sie habe hier auch schon auf der Bühne gestanden, sagt sie.
Peggy Parnass - ein herzlich, offener Mensch
Ihr Blick fliegt mit einem Lächeln durch die Stuhlreihen. Menschen kommen auf sie zu, sprechen mit ihr. Sie lächelt zurück. Sie duzt alle außer ihre Feinde - das ist ihr Credo. Bei der Premiere von John Neumeiers von "Die Unsichtbaren" im Ernst Deutsch Theater plauderten sie und der Choreograf in der ersten Reihe.
Peggy Parnass sagt von sich selbst: "Ich bin ein Liebes-Junkie!". Sie sucht die Nähe - ohne Scheuklappen. "Sexualität ist für mich wie Essen und Trinken, aber ich hab immer selber entschieden: wann und mit wem", sagte sie 1993 in einem Interview mit Alfred Biolek.
Eltern wurden im Vernichtungslager Treblinka ermordet
Ihre Geschichte ist auch die des Zufalls - des zufälligen Überlebens. Ihre Eltern ließen sie und ihren keinen Bruder Gady 1939 mit einem Kindertransport nach Schweden ziehen. Sie ahnten, dass sie sich nicht wiedersehen würden. Im Vernichtungslager Treblinka wurden ihre Eltern von den Deutschen ermordet. Peggy beschützte Gady in einem schwedischen Waisenhaus. Die Frau mit der dunkelroten Löwenmähne ist eine Kämpfernatur, ihr Gerechtigkeitssinn leitet sie. "Ich will mich nicht unterordnen, kann mich nicht unterordnen", sagte sie einmal in einem Interview. "Ich wüsste auch nicht wozu, ich könnte keinen Chef ertragen".
Peggy Parnass kritisiert mangelnde NS-Aufarbeitung
17 Jahre lang hat sie als Gerichtsreporterin für die linke Monats-Zeitung "konkret" gearbeitet. Dabei hat sie NS-Prozesse begleitet, hat genau beschrieben, wie die Verbrecher so oft geschont wurden. Es regte sie auf "in einem Land zu leben, in dem Dinge bestraft werden, die ich nicht als strafwürdig ansehe, aber Massenmörder frei rumlaufen."
Dass sie 2008 das Bundesverdienstkreuz angenommen hat, ärgert sie im Nachhinein: "Wenn ich daran denke, wer alles diese Auszeichnung bekommen hat, welche Schweine dieses sogenannte Verdienstkreuz am Hals tragen." Etwa 100 enge Verwandte von ihr wurden in der Schoah ermordet, sagt sie.
Peggy Parnass' Ersatzfamilie
Die Journalistin, Autorin und Publizistin brennt für Solidarität und für Respekt. Besonders der schwulen Community fühlt sich verbunden. Kaum ein Christopher Street Day, an dem man sie nicht vorne mitgehen sieht: "Sie sind schon Mutter- und Familienersatz". Für viele ist Peggy Parnass eine Ikone von Minderheitenrechten.
Sie ist nicht nur Liebes-Junkie, sondern auch Kino-Enthusiastin. Ihr Held ist Charlie Chaplin, ihre Liebe gilt dem französischen Film Noir. Sie hat Filme gedreht mit Udo Lindenberg und Doris Dörrie und sie ist Sängerin. Man spürt mit jedem Ton, mit jedem Satz: Peggy Parnass ist süchtig nach den Leben und nach Liebe.