Niederdeutsche Bühnen im Norden: Die NDB Neumünster
Die Niederdeutsche Bühne Neumünster kann auf eine fast 100 Jahre lange Geschichte zurückblicken. Eines ist dabei gleichgeblieben: Im Spielplan standen immer schon auch ernstere, zeitkritische Stücke.
Eine große alte Werkhalle mitten in einem Wohngebiet in Neumünster. Früher wurde sie als Textilfachschule genutzt, heute ist hier eines der größten Niederdeutschen Amateurtheater des Nordens zu Hause. Rund 80 Mitglieder hat die Niederdeutsche Bühne Neumünster derzeit, etwa 45 davon sind noch aktiv auf der Bühne, hinter der Bühne, an der Garderobe, im Kartenverkauf. Fast alles wird hier von Ehrenamtlichen gestemmt. Und die haben einiges zu tun, denn jedes Jahr bringt das Team sieben eigene Inszenierungen auf die Bühne.
Mit Lesungen und Gastspielen kommen so rund 100 Veranstaltungen zusammen mit etwa 13.000 Gästen jährlich. "Wir haben großes Glück, dass wir tatsächlich ein eigenes Theater bespielen dürfen", sagt Mareike Münz. Sie ist die Pressebeauftrage der Bühne - und sie weiß: ohne die eigenen Räume wäre so ein Pensum kaum möglich.
Gründung der Niederdeutsche Bühne aus einer Jugendbewegung heraus

Denn neben dem Theatersaal mit großer Bühne hat die NDB auch einen eigenen Kostüm- und Requisitenfundus, eine Werkstatt und eine Probebühne. Dort steht gerade schon das Bühnenbild für die kommende Inszenierung - Requisiten und Kostüme liegen bereit. Beste Bedingungen also für das Ensemble - zumindest heute. "Ich höre immer Geschichten von alten Bühnenmitgliedern, dass man früher unter katastrophalen Umständen geprobt hat und dass diese Bühne einfach ganz klein angefangen hat. Und es schon immer ganz viel Enthusiasmus gab", erzählt Mareike Münz. Denn lange hatte das Ensemble kein eigenes Haus.
Gegründet wurde die Niederdeutsche Bühne Neumünster im November 1923 von den beiden Lehrern Rudolf Weißmann und Wilhelm Wetzig - aus einer Jugendbewegung heraus: "Jungs holt fast" hatte sich unter anderem der Pflege der Sprache verschrieben. Bis 1928 leitete Weißmann die Bühne, danach übernahm Wetzig bis 1960. Geprobt wurde damals in verschiedenen Baracken, Kellern und freien Räumen. Aufgeführt wurden die Stücke bis Ende der 1920er-Jahre in der Städtischen Bilderbühne im Carl-Sager-Haus, eine Art kommunales Kino mit Saal und Bühne. Das Haus an der Holstenstraße gibt es heute nicht mehr, es stand etwa dort, wo jetzt der Rencks-Park ist.
Auch ernste Stücke mit aktuellen Themen auf dem Spielplan

In den folgenden Jahre trat das Ensemble auf wechselnden Bühnen auf: im Tivoli, in der Tonhalle, im Holstenpalast, aber auch im ganzen Umland von Neumünster. 1951 kam dann Lothar Heinz zur Niederdeutschen Bühne Neumünster, ganz zufällig. Er wurde damals von Wilhelm Wetzig angesprochen, ob er nicht für einen erkrankten Darsteller einspringen könne. Heinz war ein ehemaliger Schüler Wetzigs und konnte ihm den Wunsch nicht abschlagen - zumal dieser ihn als "Gottesgeschenk" bezeichnetet. Er bestand aber darauf, dass dieser Einsatz eine einmalige Sache sei. Es kam anders und 1960 übernahm Lothar Heinz sogar die Bühnenleitung. Ein Amt, das er 44 Jahre lang innehatte.
"Er hat die Bühne zu dem gedacht, was sie heute ist", meint Mareike Münz rückblickend. Denn Lothar Heinz wollte nicht einfach nur die typischen Schwanks spielen. Er zeigte, dass Niederdeutsch mehr kann. Dass auch ernste Stücke mit aktuellen Themen und Problemen funktionieren. "Ich darf mit Fug und Recht behaupten, dass in Neumünster keine Spielzeit vergeht, ohne dass nicht ein bestimmtes Problem in den Mittelpunkt des Spielplanes gerückt wird", sagte er 1987 in einer Hörfunksendung des NDR.
Hohe Qualität ohne eigenes Theater
Kurz zuvor hatte er "Afschoben" in Neumünster inszeniert, die plattdeutsche Version des Stückes "Kein Platz für Idioten" von Felix Mitterer. Darin geht es um die Ausgrenzung eines Menschen mit Behinderung. "Das Bedauerliche daran ist nur, dass zu wenig Niederdeutsche Theater dazu bereit sind, diesen Weg zu gehen. Und dass aufgrund dessen, viele Autoren - und das ist eine Wechselwirkung - nicht mehr bereit sind, dafür zu schreiben", bedauerte der Bühnenleiter.
Hohe Qualität über Jahrzehnte hinweg - und doch lange kein eigenes Theater, keine festen Probenräume. Daran erinnert sich der Darsteller Kai Lorenz heute noch: er kam 1977 als Elfjähriger zur NDB Neumünster: "Domals hebbt wi ünnen in’n Keller vun so’ne ole School proovt, ohn Bühnenbild, ohn allns. Un wi hebbt denn merstens ers dat Bühnenbild dat erste Mol bi de Generalproov sehn. Un dat weer en wunnerbores Erlebnis wesst." (Übersetzung: "Damals haben wir unten im Keller von einer alten Schule geprobt, ohne Bühnenbild, ohne alles. Das Bühnenbild haben wir meistens erst bei der Generalprobe zum ersten Mal gesehen. Das war immer ein wunderbares Erlebnis.")
Aus alter Werkhalle wird Studiotheater

Ein Zustand, den Lothar Heinz so nicht länger hinnehmen wollte. Die alte Werkhalle der Textilfachschule wurde ab 1978 nicht mehr genutzt - der ideale Ort für ein "Werkstatttheater", so die Vision des Bühnenleiters. "Das ist eine Zusammenfassung unseres Gesamtgeschehens. Sie ist lebendig durch eine Werkstatt, Probebühne, Theaterbühne, Kulissen- und Requisitenräume. Eine Vielfältigkeit in einem Raum, wie wir sie bisher nur erträumt haben", schwärmte er bei der Eröffnung 1982.
Aus dem Provisorium wurde 1999 dann endgültig das Studiotheater der Niederdeutschen Bühne Neumünster. Am vielfältigen Repertoire haben die Nachfolger von Lothar Heinz festgehalten - auch unter dem aktuellen Bühnenleiter Niels Münz stehen regelmäßig moderne, ernste oder zeitkritische Stücke im Spielplan. Oft inszeniert von professionellen Regisseuren, umgesetzt von Amateurdarstellenden.
100jähriges Jubiläum 2023 mit "De Fährkroog"

Und beim ganzen Drumherum, bis hin zum Saubermachen, engagieren sich Ehrenamtliche. Harmke Janssen zum Beispiel. Sie investiert ihre Zeit vor allem aus einem Grund: "Wi sind för eenanner dor. Un wenn dat mol irgendwo kniepen deit, denn kummt de een oder anner na vörn un denn hölpt wi uns ünneranner", sagt sie - also dass alle füreinander da sind und sich einbringen, wenn's mal irgendwo eng wird. Das mache dann auch die besondere Atmosphäre des Theaters aus, wegen der die Leute überhaupt erst herkommen, fügt Anneke Schröder-Dijkstra an. Sie kümmert sich um das Kartenmanagement, ist in ständigem Austausch mit den vielen Abonnenten: "Wenn ich manchmal mit Kunden telefoniere, dann erzählen sie mir immer, wie lange sie schon Mitglied sind. Und das sind erstaunliche Zeiträume."
2023 feiert die Niederdeutsche Bühne Neumünster nun ihr 100-jähriges Jubiläum. Natürlich im eigenen Studiotheater in der alten Werkhalle - und mit einem besonderen Stück im Spielplan, verrät Mareike Münz schon mal: "Wir haben angedacht, das allererste Stück, mit dem diese Bühne gestartet ist 1923, "De Fährkroog", dass wir das auch in der Jubiläumsspielzeit spielen."
