Karin Beier lehnt sich auf eine Stuhllehne und blickt in die Kamera. © Florian Raz Foto: Florian Raz

Karin Beier über den Saisonstart am Schauspielhaus Hamburg

Stand: 02.09.2022 07:28 Uhr

Corona, Ukrainekrieg, Energiekrise, Zuschauerschwund. Karin Beier, Intendantin am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, hat vor der Spielzeitpause deutlich gemacht, dass sich die Theater im Norden der aktuellen Lage bewusst sind.

Viele Häuser klagten zuletzt über leere Ränge. Wie wird sich das weiter auswirken? Wie können die Theater mit ihrem Programm darauf reagieren? Werden sie es müssen? Fragen, die Karin Beier umtreiben. Die Theatersaison am Hamburger Schauspielhaus startet mit Tyrannenfiguren wie Julius Cäsar oder Macbeth. Die Intendantin selbst probt außerdem offenbar für ein großes (Langzeit-)Projekt.

Wir wollen natürlich auch auf die Premieren schauen - gerade jetzt am Anfang der Saison. Sie werden wahrscheinlich nichts verraten, aber vielleicht ja doch. Wo sind Sie gerade?

Karin Beier: Das kann ich nicht verraten. Ich bin seit der Premiere von "Aus dem Leben", die noch im Dezember war, mit meinem neuen Großprojekt beschäftigt. Das kommt aber nicht in der jetzigen Spielzeit raus, sondern in der Spielzeit darauf. Da bin ich jetzt in der Mitte angekommen und ich bin schon sehr viel am Proben und am Arbeiten.

Was ist das für ein Zustand? Ich stelle ihn mir ganz komisch vor?

Beier: Diesen Zustand haben wir in Corona gelernt. Das ist tatsächlich die Idee, so zu produzieren, dass man früh probt, aber keine Premiere erlebt. Man hat teilweise Endproben, teilweise keine Endproben. Da sind wir Corona ausgeliefert. Wir haben so viel produziert und nicht auf die Bühne gebracht und auf Eis gelegt, dass wir das gelernt haben. Das ist sicherlich kein wünschenswerter Zustand, aber er hat geringe Vorteile. Zum Beispiel, dass man aus einem Abstand etwas wieder sieht und vielleicht ein bisschen strenger mit sich ist. Für Schauspieler ist es natürlich wahnsinnig schwer, etwas auf einer Festplatte abzuspeichern, wo sie nicht in den Spielmodus kommen können. Eine Spielroutine ist sicherlich sehr schwer. Für mich als Regisseurin ist es ein Weg, den ich ganz interessant finde.

Karin Beier lehnt sich auf eine Stuhllehne und blickt in die Kamera. © Florian Raz Foto: Florian Raz
AUDIO: Karin Beier über den Saisonstart am Schauspielhaus Hamburg (55 Min)

Das sind immer wieder neue Dinge, die auf uns einstürzen. Ich habe die großen Herausforderungen dieses Herbstes schon mal genannt: Corona, Ukraine-Krieg, Energiekrise, Zuschauer-Schwund - insgesamt ein ziemlich toxischer Cocktail. Gibt es eine Zutat, die Ihnen besonders Sorge bereitet?

Beier: Auf der Ebene der Welt und nicht des kleinen Kosmos Theater, ist es sicherlich das Klima. Das ist, wie ich finde, die größte Herausforderung. Die Erfahrung, die wir machen, ist, dass Menschen, und da schließe ich mich ein, erst reagieren, wenn irgendetwas haptisch spürbar ist und nicht, wenn mir jemand zehnmal etwas sagt. Da ändere ich zu wenig und da traut sich auch eine Regierung zu wenig. Ich habe große Angst, dass wenn wir alles haptisch spüren, was wir dem Klima angetan haben, dass der Zug dann abgefahren ist.

Könnte man sagen, die Energiekrise zwingt uns in gewisser Weise zu reagieren? Auch wahrscheinlich Ihr Haus? Man weiß ja noch gar nicht ganz genau, wie der Herbst sein wird. Claudia Roth hat in einem Statement gesagt, das sei jetzt ein Stresstest für die kulturellen Einrichtungen. Aber es sollte natürlich weitergespielt werden. Vermutlich können Sie auch nicht so heizen, wie Sie vielleicht wollen?

Beier: Natürlich nicht, ich finde das auch richtig. Ich brauche auch keine Angaben von einer Stadt-Direktion oder einer Politik, dass wir auf die Bremse treten. Wir haben das schon an vielen Stellen gemacht. Ich glaube, dass Hauptding ist, dass wir, als Öko-zertifizierter Betrieb, sehr viele Sanierungen angestoßen haben, wo es genau um Wärmedämmung oder auch Dachisolierung geht. Ich habe überhaupt kein Problem auf Sparflamme zu drehen und das auch offensiv zu betreiben. Wir haben auch Dinge vor, die ich jetzt noch nicht sagen kann, die sind auch noch ein bisschen Zukunftsmusik. Ich finde das toll, wenn es jetzt den Bürger in seinem normalen Leben betrifft, dass wir es auch etwas spüren. Ich glaube auch, dass das funktionieren wird. Mir macht es keine Angst, einen Schritt zurückzugehen. Das ist etwas, was der Mensch irgendwie noch nicht gelernt hat. Wir lernen permanent, dass wir einen Schritt nach vorne gehen müssen und dass etwas maximiert werden muss. Es wird behauptet, dass es nicht geht, einen Schritt zurückzugehen. Man hat gerade auch in der Coronapandemie gesehen, dass sehr viel geht. Ich glaube nicht, dass das nachhaltig anhält, aber wenn uns andere Umstände dazu zwingen, kann ich einfach nur hoffen, dass das diesmal auch nachhaltig ist.

Wenn ich das jetzt mal ein bisschen ins Persönliche wenden darf. Sie sind mir noch nie wie ein Mensch vorgekommen, der gerne einen Schritt zurückgeht. Eigentlich gehen Sie gerne nach vorne, oder?

Beier: Das kommt darauf an, auf was man das bezieht. Wenn ich jetzt zum Beispiel über den Lebensstandard rede, würde ich zum Beispiel nicht auf Strom verzichten, so naiv bin ich nicht. Das wäre schon schwierig. In meiner Zukunftsvorstellung ist es so, dass, wenn ich irgendwann diesen Job nicht mehr mache, dann werde ich in meinem Lebensstandard zehn Schritte zurückgehen müssen. Ich sehe immer mal eine Studentenbude vor mir und das geht alles. Ich finde das nicht beängstigend. Die Schritte nach vorne, die Sie anspielen, sind Dinge, die man tut, aber nicht die Dinge, die etwas mit Lebensstil zu tun haben, sondern mit Inhalten.

Das Gespräch führte Katja Weise.

Weitere Informationen
Tobias Haberl  im Porträt © Olaf Unverzart / Piper Verlag

Schriftsteller Tobias Haberl - Wie kann man überzeugend Mann sein?

Frauen kämpfen seit Jahrzehnten um Akzeptanz und Gleichberechtigung - Publizist Tobias Haberl hinterfragt das als Mann. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur à la carte | 02.09.2022 | 13:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Theater

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Aussenansicht des Literaturhauses Göttingen © NDR.de Foto: Max von Schwartz

"Angrenzen!": Festival in Göttingen bricht Lyrik-Grenzen auf

Vier der besten deutschen Nachwuchs-Dichter zeigen in Göttingen, was die moderne Lyrik alles zu bieten hat. mehr