Hamburg Ballett zeigt "Die Unsichtbaren": Viel Power und Dynamik
John Neumeier erzählt mit dem Bundesjugendballett und "Die Unsichtbaren" von den im Nationalsozialismus verfolgten Tänzern und Tänzerinnen. Nun hat es ungewöhnlicherweise im Ernst-Deutsch-Theater Premiere gefeiert.
Der Bühnenraum zeigt einen Tanzsaal, aber nicht irgendeinen, sondern den nachgebauten des Ballettzentrums Hamburg. Links ein Flügel, auf den aus einem Fenster Licht fällt. Auf der Rückwand die Kopie eines Wandgemäldes der jüdischen Künstlerin Anita Rée, die sich 1933 das Leben nahm.
Die Tänzer und Tänzerinnen kommen von der Seite, in dunkler Trainingskluft, eine Tasche mit den Tanzsachen über der Schulter, wie zur Probe. Doch die Schritte geraten ins Stocken, der Fluss des Alltags ist gestört. Bis einer mit Koffer an den Bühnenrand tritt und an einen dieser unsichtbaren Tänzer erinnert: "Ich blieb auf dem Schiff und fuhr über London nach Paris. Ich war ein Emigrant geworden. Jan Weidt, 1933."
Die Tanz in seiner lebendigsten Vielfalt
Und langsam entwickelt sich ein roter Faden, zur treibenden Musik von "Le Sacre du Printemps", Strawinskis "Frühlingsopfer". Isabella Vértes-Schütter, Intendantin des Hauses und Schauspielerin, betritt als Mary Wigman, die Koryphäe des modernen Tanzes, die Bühne. Diese Frau war wegen der Nähe zum Regime umstritten. Ihre Rede von 1941 in Hamburg, mitten in der Nazizeit, ist das Rückgrat des Abends. Und immer wieder werden ihre Worte gestört, als wäre die Welt in Unordnung, und das passt.
Was dann kommt, ist Tanz in seiner lebendigsten Vielfalt! So viel Power, so große Dynamik: Das Ensemble tanzt Duette, Soli, lässt in an Stummfilme erinnernden Bildern den Tanz der 20er- und 30er-Jahre aufflackern. Da sieht man gespreizte, pathetische Gesten in knappen Kostümen, Körper werden wie Federn in die Luft geworfen, es hagelt maschinenhafte Sprünge und Schläge durch die Luft. Einige Besucher schnappen nach der Vorstellung nach Luft: "Wir sind beide auch Tänzer, wir kennen sie auch persönlich, diese fast gefährlichen Szenen voller Trauer, Wut und Angst, das ist, wenn du die kennst, noch eindrucksvoller. Das war viel, jetzt muss man erstmal durchatmen - ich bin etwas erschlagen."
John Neumeier schafft ein schmerzhaftes Erinnerungsmosaik
Besonders bewegend die Szene, in der sich zwei Männer umarmen wollen, aber wie von einer unsichtbaren Gewalt auseinandergetrieben werden. Schwule Tänzer waren in ständiger Gefahr. Giuseppe Conte berührt mit einem sinnlich-verzweifelten Solo als Faun, und Ida-Sofia Stempelmann tanzt ein von kraftvollen Impulsen durchbrochenes Solo, sensationell, bevor ihr Körper schwer atmend zusammensackt.
Es sind drastische Bilder, die an Konzentrationslager und Folter erinnern. Mit diesem schmerzhaften Erinnerungsmosaik schlägt John Neumeier eine Brücke zwischen damals und heute. Die Unsichtbaren werden sichtbar an diesem Abend, zumindest in der Fantasie. Dass John Neumeier seinen fast dreistündigen Abend den Unsichtbaren widmet, den Verfolgten aus der Welt des Tanzes, wirkt wie ein persönliches Bekenntnis. Wenn der Choreograf am Ende die Bühne betritt, reißt es das Publikum von den Stühlen.
Hamburg Ballett zeigt "Die Unsichtbaren": Viel Power und Dynamik
Mit "Die Unsichtbaren" sind die 47. Hamburger Balletttage gestartet. Die Uraufführung ist eine Produktion von John Neumeier für das Bundesjugendballett.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ort:
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Ernst-Deutsch-Theater
Friedrich-Schütter-Platz 1
22087 Hamburg