Cover des Buches "Hässlichkeit" von Moshtari Hilal © Hanser Verlag

Moshtari Hilal: Frieden schließen mit der "Hässlichkeit"

Stand: 06.09.2023 14:16 Uhr

Moshtari Hilal ist Künstlerin, Kuratorin und Autorin. In ihren Kunstwerken befasst sie sich seit einigen Jahren mit Schönheitsidealen und Ideen von Hässlichkeit. Nun hat sie ein Buch veröffentlicht über die "Hässlichkeit".

von Alexandra Friedrich

Geboren wurde Moshtari Hilal in Kabul, aufgewachsen ist sie in Hamburg, wohin sie nach einem Zwischenstopp in Berlin gerade zurückgekehrt ist. Bekannt ist sie vor allem für ihre Zeichnungen, zumeist Selbstporträts oder Bilder ihrer Familie, oft großflächig, aber mit feinem Strich und viel Detail, vor allem Haar. Schönheitsideale, Hässlichkeit und deren Herkunft und Konsequenzen sind ein komplexes Thema. So reichte die Bildsprache wohl nicht mehr aus, um zu sagen, was es zu sagen gibt. Deshalb nun das Buch.

"Pferdefresse,
was hast du dir gedacht,
so freundlich zu grinsen,
aus meinem Gesicht" Leseprobe

Am Anfang war der Hass. Der Hass auf sich selbst, das eigene Gesicht. Die Nase? Zu groß. Der Kiefer? Zu kantig. Die Zähne? Zu schief. Die Haut? Zu behaart. Selbsthass wurde zum Motor für Moshtari Hilals Kunst: "Ich habe angefangen, mich zu zeichnen, damit ich mich meinem Gesicht annähere, als künstlerisches Objekt. Also wenn mein Gesicht ein Objekt ist, dann habe ich ein ganz anderes Verhältnis, etwa zur großen Nase, zum Profil insgesamt."

Das zerknitterte Kindheitsfoto musste aufs Cover

Wie bei ihren Zeichnungen, beginnt Moshtari Hilal auch in ihrem Buch bei sich selbst. Mit einem zerknitterten Kindheitsfoto, auf dem sie sich damals so hässlich fand, dass sie 14 Jahre lang nicht mehr in eine Kamera lächeln sollte. Für sie war klar, dass dieses Bild auf ihr Buchcover musste. Ein Klischee, ein Stereotyp eines hässlichen Körpers oder Menschen kam für sie nicht infrage: "Eine 'Fratze' oder eine 'Missbildung' oder jemand, der 'wahnsinnig' aussieht - das sind oft die Bilder, die man auf solchen Covern sieht. Das kam mir brutal und unethisch vor - und ich dachte mir, die einzige Hässlichkeit, mit der ich anfangen kann, war das Foto von mir selbst."

Hilal fügt der Realität immer wieder surreale Elemente hinzu

Zu den Familienfotografien und künstlerischen Selbstporträts stellt Moshtari Hilal Bilder aus Geschichtsbüchern und Sozialen Medien wie TikTok und Instagram. Auch im Text wechselt sie zwischen dem Blick in die Vergangenheit, Analyse der heutigen Gesellschaft, Gedichten und persönlichen Erzählungen. Wie bei ihren stark bearbeiteten Fotografien vermischt sie auch im autobiografischen Text Fakt und Fiktion, fügt der Realität immer wieder surreale Elemente hinzu. Etwa wenn sie erzählt, wie ein Mann sie im Bus beobachtet.

"Ich nehme meinen Lippenstift aus der Tasche und zeichne meine Lippen nach. Er schaut weg. Ich greife seine Hand. Ich lasse seine Finger entlang meines Kieferknochens gleiten. Er schneidet sich an ihm, zuckt zusammen, zieht seine Hand zurück, nimmt seine blutenden Finger in den Mund." Leseprobe

Themensetzung und Erzählweise überraschen

Moshtari Hilal überrascht. Mit Brüchen, einer sehr assoziativen Erzählweise und mit ihrer Themensetzung. Wer ihre Kunst kennt, wundert sich nicht über Kapitel eins zur Nase und Kapitel zwei zur Körperbehaarung. Zwei Sujets, die Hilal seit jeher in ihrem künstlerischen Schaffen bewegen. Nicht so der Komplex im finalen dritten Abschnitt. Hier nähert sich Moshtari Hilal Krankheit und Tod. Einer Hässlichkeit, der wir alle nicht entkommen können. "Selbst wenn wir alles Mögliche anwenden, um schön zu sein und uns anzupassen, können wir alt und krank werden. Wir können Unfälle haben und uns absolut körperlich verändern und aus der Kategorie normal, hässlich oder schön rein- und rausfallen."

Krankheit und Tod als ultimative Hässlichkeit

Jugend und Gesundheit gehören zum Kern von Schönheitsvorstellungen, über Kulturen und Epochen hinweg. Krankheit und Tod sind also gewissermaßen die universelle und ultimative Hässlichkeit. Moshtari Hilal ist ihr begegnet.

"Das Sterben des geliebten Menschen
Bleibt das Hässlichste" Leseprobe

In einem Gedicht erzählt sie vom Abschied von der Mutter:

"Nichts ist hässlich an dem Anblick eines geliebten Menschen,
der in Krankheit seinen Körper verliert,
am Anblick einer Ruine von der wir wissen,
was sich in ihr verbirgt
hinter,
unter,
vor ihren Trümmern.

Hässlichkeit verliert ihre Anstößigkeit,
wenn sie uns berührt,
sie ganz nah an uns heran kommt
und uns umschlingt." Leseprobe

Versöhnung mit der Hässlichkeit

Moshtari Hilal ist keine Körperaktivistin, keine Body-Positivity-Predigerin, die unsere Idee von Schönheit erweitern will. Komplett inklusiv könne sie ohnehin nicht sein, niemals könnten wir alle als schön gelten. Stattdessen will Hilal Hässlichkeit anerkennen und umarmen.

"Die Versöhnung mit der Hässlichkeit wird mich weiterhin begleiten. Ich werde sie mir jeden Tag aufs Neue abverlangen müssen, werde mich jeden Tag erinnern müssen, werde meinen Blick ermahnen müssen, und meine Angst und meinen Ekel hinterfragen." Leseprobe

Frieden schließen mit der Hässlichkeit ist ein Prozess, der Ausdauer, Resilienz und Mut erfordert. Wer diesen Weg gehen will, findet in Moshtari Hilal eine inspirierende Begleiterin.

Hässlichkeit

Seitenzahl:
224 Seiten
Verlag:
Hanser Verlag
Veröffentlichungsdatum:
04.09.2023
Preis:
23 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 05.09.2023 | 16:10 Uhr

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