Historischer Roman von Viola Ardone: "Ein Zug voller Hoffnung"
Viola Ardone versteht es, die Geschichte lebendig werden zu lassen. Behutsam schildert sie in ihrem Roman, wie riskant und schwierig es immer ist, Kinder aus ihrem Umfeld zu nehmen.
In der Nachkriegszeit wurden in Italien fast 100.000 Kinder aus dem armen Süden in den Norden verschickt - so ähnlich wie man es in Deutschland auch gemacht hat, um den Kindern etwas Gutes zu tun. Das ist nicht immer geglückt. Wie schwierig das Unterfangen für Eltern und Kinder war, davon erzählt Viola Ardone in "Ein Zug voller Hoffnung".
"Ein Zug voller Hoffnung" von Viola Ardone: Drama pur
Schon bei den Szenen auf dem Bahnhof, wo Viola Ardone beschreibt, wie die Kinder darauf warten, verschickt zu werden, ist klar, dass das ein anderes Temperament und eine andere Lautstärke ist, als es bei der Kinderlandverschickung bei uns gewesen sein dürfte. Die kommunistische Partei hatte damals Geld aufgetrieben, um Kindern aus den ärmsten Familien des Südens eine Chance zu geben. Auf dem Bahnsteig wird gebrüllt, gelacht, geheult und gesungen. Eine Frau schreit:
"Verkauft sie nicht, eure Kinder (…) Die versprechen euch das Blaue vom Himmel herab, aber in Wahrheit werden sie nach Sibirien verschickt und müssen dort schuften, wenn sie nicht vorher erfrieren vor Kälte." Die kleinen Kinder weinen, weil sie nicht los wollen, und die großen fragen, wann's endlich losgeht. Leseprobe
Drama pur. Die Kinder gruseln sich gegenseitig mit wüstem Ausmalen von Wölfen, die kleine Kinder fressen. Andere Frauen beschwören die Eltern:
Gebt euren Kindern diese Chance. (…) Eure Kinder werden den Winter im Warmen verbringen, sie haben genug zu essen und Menschen, die sich um sie kümmern. Ihre Gastfamilien in Bologna, Modena und Rimini warten schon auf sie. Und dann kommen sie wohlgenährt, gesünder und schöner zurück. Sie werden jeden Tag zu essen haben. Morgens, mittags, abends. Leseprobe
Für die Kinder aus dem Armenviertel von Neapel ein schier unvorstellbarer Luxus.
Amerigos hoffnungsvolle Reise in den Norden
Amerigo Speranza wächst bei seiner Mutter auf, die kaum mit ihm spricht, nicht lesen und schreiben kann. Er kennt seinen Vater nicht und ist als Lumpensammler unterwegs. Er bekommt von der Mutter, die äußerlich ungerührt auf dem Bahnsteig steht, einen kleinen Apfel zugesteckt und er wirft ihr - wie die anderen Kinder auch für ihre kleineren Geschwister - seinen Mantel, den er gerade bekommen hat, aus dem Fenster des abfahrenden Zuges, damit sie sich etwas daraus schneidern kann.
Viola Ardone versteht es, die Geschichte lebendig werden zu lassen. Behutsam schildert sie, wie riskant und schwierig es immer ist, Kinder aus ihrem Umfeld zu nehmen. Amerigo hat Glück mit seiner Gastfamilie, sein Pflegevater ist Instrumentenbauer, er bekommt nicht nur eine Geige geschenkt, sondern auch Musikunterricht. Aber diese Geige wird seine Mutter, als er später wieder zu Hause ist, verkaufen, weil sie wieder mal in Geldnot ist. Amerigo läuft von Zuhause weg. Er nimmt noch einmal einen Zug in den Norden, diesmal ohne die anderen Kinder. Seine spätere Lebensgeschichte als Musiker wird dann im zweiten Teil erzählt. Als 15-Jähriger kehrt er in sein Heimatviertel in Neapel zurück und geht zum Grab seiner Mutter:
Erst jetzt verabschiede ich mich von dir. Was wir uns nicht gesagt haben, werden wie uns nicht mehr sagen. Mir war es genug, dich all die Jahre am anderen Ende der kilometerlangen Eisenbahnlinie zu wissen, meinen Mantel in deinen verschränkten Armen. Für mich wirst du immer dort stehen. Du wartest und gehst nicht weg. Leseprobe
Es ist ein kostbares Geheimnis des Lebens, von dem Viola Ardone hier erzählt: dass manchmal ein ganz kleines Korn Liebe ausreicht, um als verborgenes Rüstzeug fürs Leben zu dienen.
Ein Zug voller Hoffnung
- Seitenzahl:
- 288 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Italienischen von Esther Hansen
- Verlag:
- C.Bertelsmann
- Bestellnummer:
- 978-3-570-10463-7
- Preis:
- 22 €
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Romane
