Buch über Otfried Preußlers frühe Jahre enthüllt Erstaunliches

Stand: 15.06.2022 10:38 Uhr

"Krabat", "Der Räuber Hotzenplotz", "Das kleine Gespenst" und "Die kleine Hexe" - mit diesen Kinder- und Jugendbüchern wurde Otfried Preußler weltberühmt. Dass er in diesen Büchern auch seine Traumata verarbeitete und bereits als Jugendlicher im Zweiten Weltkrieg sowie in sowjetischer Kriegsgefangenschaft Gedichte und Theaterstücke schrieb, ist erst jetzt - durch eine neue Biografie - bekannt geworden

von Anke Jahns

Geschrieben hat das überraschende Buch "Kind einer schwierigen Zeit: Otfried Preußlers frühe Jahre" der Neubrandenburger Literaturwissenschaftler Carsten Gansel. Er hat sich auf biografische Spurensuche begeben. Gansel war als Kind glücklich, wenn Preußlers Werke im Westpaket bei ihm in Güstrow ankamen. Freundliche Fantasiereisen waren das für ihn mit der "Kleinen Hexe", dem "Kleinen Wassermann" oder dem "Kleinen Gespenst". "Das sind helle, optimistisch und fantastische Kindertexte", sagt Gansel. "Man würde da niemals auf die Idee kommen, dass dahinter ein ganz anderes Schicksal steckt. Ich glaube, das ist ein Weg gewesen, mit dem Preußler sich Erfahrungen von Krieg und Gefangenschaft weggeschrieben hat."

Unbekannte Theaterstücke und frühe Gedichte entdeckt

Preußler hat nicht nur geschrieben, um zu verdrängen. Carsten Gansel entdeckte in russischen Militär- und Geheimdienstarchiven auch die Kriegsgefangenenakte von Preußler, der eine Woche nach seinem Abitur 1942 zur Wehrmacht eingezogen worden und drei Jahre später in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten war. Es ist spektakulär. Gansel findet auch private Aufzeichnungen anderer Kriegsgefangener über Preußler und damit bislang völlig unbekannte Theaterstücke des Schriftstellers, die er in der Gefangenschaft inszeniert hatte sowie frühe Gedichte, die Preußler in kleinen selbstgebastelten Heften aus Butterbrot-Papier verschenkte - unter anderem das Gedicht "Trost":

Verlasssen sein im fremden Land?
Schau s'ist doch über mir.
Der gleiche Himmel ausgespannt,
grad wie daheim bei dir.

Und ganz dieselben Sterne stehn
wie über deinem Haus.
Ich brauch ja nur hinauf zu sehen!
Und kenn mich wieder aus. Das Gedicht "Trost" von Otfried Preußler

Preußler konnte ein Jahrzehnt lang nicht über Krieg schreiben

Nach dem Krieg konnte Preußler ein Jahrzehnt lang nicht mehr über Krieg, Vertreibung und Gefangenschaft schreiben. Doch Ende der 50er-Jahre beginnt er, sich mit der düsteren Sagenfigur Krabat zu beschäftigen. "Das hat mit diesen traumatischen Erfahrungen zu tun", erklärt Gansel. "In dem Augenblick, in dem Preußler nämlich mit dem Krabat konfrontiert war und mit den verschiedenen Stationen, war er automatisch wieder im Krieg. Er war automatisch wieder in Gefangenschaft. Und es ist ihm schwergefallen, eine literarische Form auch zu finden." Preußler selbst beschrieb es so: "Ich habe gute zehn Jahre gebraucht, bis der Krabat die Gestalt angenommen hatte, die mir vorgeschwebt hat. Ich habe zwischendurch ein paar Mal abbrechen müssen, weil ich gedacht hab: Schaffst du nicht!"

Unveröffentlichte Texte handeln von Kriegserfahrungen

Bislang galt der "Krabat" - die Geschichte eines Lehrlings, der im Dreißigjährigen Krieg auf einer Zaubermühle in die Gewalt des bösen Meisters gerät - als einziges Werk Preußlers, in dem er seine Traumata verarbeitet hat. Carsten Gansel hat auch in Preußlers privatem Nachlass recherchiert. 2013 war Preußler verstorben - und Gansel entdeckte seine Autobiografie "Verlorene Jahre?", die nicht ganz fertig geworden war und bis heute nicht veröffentlicht wurde - und er fand das Romanfragment "Bessarabischer Sommer". Beide Texte beeindrucken und zeigen, dass es Preußler im Alter gelungen ist, seine Erfahrungen aus dem Krieg und der Gefangenschaft in hoher literarischer Qualität aufzuschreiben.

Carsten Gansel ist es somit gelungen, mit mehreren Erstveröffentlichungen und mit spektakulären Aktenfunden einen neuen Blick auf das Leben des großen Schriftstellers Otfried Preußler zu werfen.