Ijoma Mangold © Thorsten Wulff Foto: Thorsten Wulff
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AUDIO: "Bitcoin kann unsere Welt gerechter machen": Ijoma Mangold im Gespräch (26 Min)

"Bitcoin kann die Welt gerechter machen": Ijoma Mangold über Kryptos

Stand: 10.04.2023 12:33 Uhr

Ijoma Mangold ist überzeugt, dass der Bitcoin die Welt verändern wird - und hat darüber das Buch "Die orange Pille" geschrieben. Im Interview spricht der Literaturkritiker über die Probleme unseres Geldsystems und warum Kryptowährungen anders funktionieren.

Über Geld spricht man nicht. Weder verraten wir unser Gehalt, noch stellen wir unser bestehendes Geldsystem in Frage. Ein fataler Fehler, findet der Literaturkritiker und Autor Ijoma Mangold. Er hat sich trotz anfänglicher Skepsis eingearbeitet in die komplexe Welt des Bitcoin und sieht inzwischen eine revolutionäre Kraft in dem digitalen Zahlungsmittel, die unser Miteinander grundlegend verändern könnte. Mit NDR Kultur hat der Literaturkritiker über seinen Essay "Die orange Pille: Warum Bitcoin weit mehr als nur ein neues Geld ist" gesprochen. Einen Auszug lesen Sie hier. Das vollständige 30-minütige Gespräch können Sie in der ARD Audiothek oder als Podcast hören.

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Herr Mangold, seit wann interessieren sich Feuilletonisten für Geld? 

Ijoma Mangold: Es ist ein echter Jammer, dass Feuilletonisten das traditionell nicht zu tun pflegen. Für Geld, für Ökonomie, auch für Fragen der Geldordnung, habe ich mich aber in sehr laienhafter Weise immer schon interessiert. Denn diese Dinge berühren die entscheidende Grundfrage, wie unsere Gesellschaft organisiert ist. Außerdem bin ich fasziniert von den Komplexitäten. Das heißt aber noch lange nicht: Warum interessieren sich Feuilletonisten für den Bitcoin? Ich muss zugeben, das hat mich selbst überrascht. Es ist mir nicht an der Wiege gesungen worden, dass ich mich je für etwas Technologisches interessieren würde. Es hat mich dann aber doch wie der Blitz erwischt.

Dieser Blitz war für Sie die orange Pille, da Bitcoins orange dargestellt werden. Angelehnt ist dies an den Film "Matrix", in dem der Held zwischen roter und blauer Pille, also schmerzlicher Wahrheit oder friedlicher Simulation wählen kann. Die orange Pille steht für die Erkenntnis, die Bitcoin bringt. Wann kam Ihnen diese Erkenntnis? 

Mangold: Am Anfang habe ich so reagiert wie alle ordentlichen protestantischen Kulturbürger. Ich komme aus diesem Milieu und teile zum Teil die ähnlichen Reflexe. Ich fand allein schon den Ausdruck "Bitcoin" in seiner phonetischen Gestalt vulgär und abstoßend. Es gibt diesen bildungsbürgerlichen Vorbehalt gegenüber allem, was mit Geld zu tun hat. Geld hat man, aber man spricht nicht darüber. Das halte ich für einen fatalen Fehler. Wie das Geld strukturiert und organisiert ist, entscheidet auch darüber, wie gerecht eine Gesellschaft ist. Um die Gesellschaft gerechter zu gestalten, müssen wir uns auch Gedanken über dieses Geldsystem machen. 

Ich versuche also, diesen Vorbehalt zu überwinden. Irgendwann in der Pandemie, als alle mehr Zeit hatten, sich neuen Leidenschaften und Interessengebieten hinzugeben, merkte ich, dass überall, auf YouTube, in Podcasts oder in Zeitungen, immer wieder von diesem Bitcoin die Rede war. Das ließ mich wie gesagt kalt oder ich fand es sogar abstoßend - bis dann irgendwann die Formulierung fiel, es gehe um digitale Knappheit. Und dieser Begriff hat dann eine philosophische Dimension eröffnet, die mich als Geistesmenschen packte. 

Auch wenn viele sagen werden, das versteht sich doch von selbst: Tatsächlich ist das Internet eine Kopiermaschine. Wir merken das auf unangenehme Weise daran, wie voll unser Spamordner ist. Wenn wir Urlaubsfotos an einen Freund schicken, gibt es sie zweimal, weil das Internet alles kopiert, und in dem Fall ist das toll. Es ist toll, solange es um Wissen geht, denn Wissen will verbreitet werden. Das ist aber ein Problem, wenn es um Geld, um Wert geht. Wenn Sie Geld verschicken auf diese Weise, dann gibt es das plötzlich auch zweimal. Und Geld, das sich in der Menge verdoppelt, ist halt auch nur noch halb so viel wert. 

Und mit diesem Problem hat sich die Avantgarde der Digitalisierung schon sehr früh auseinandergesetzt. Die sogenannten Cypherpunks der späten 80er-, frühen 90er-Jahre sahen, dass das Internet zu einer Transformation der Gesellschaft führen wird. Sie waren sehr technologieaffin und der Sache sehr zugetan. Sie sahen aber auch die Gefahren, über die wir heute alle reden: Kontrolle und Totalüberwachung durch Staaten und Konzerne. Sie sagten sich: Wir verurteilen nicht das Internet, sondern wir wollen uns mit Hilfe der Technik dagegen schützen. Ihre Antwort war Kryptografie, also Verschlüsselung. Sie ahnten: Auch die Bezahlvorgänge werden Teil des digitalen Leben werden. Und die dürften dann auch nicht rückverfolgbar sein. Seither haben sie die Idee entwickelt: Wir müssen ein digitales Geld entwickeln, das nicht zensierbar ist, wo keine staatliche und keine unternehmerische Macht entscheidet, wer es nutzen darf. Die mythische Gründungsfigur Satoshi Nakamoto hat dann schließlich 2009 ein sogenanntes Whitepaper entworfen, wo er ein Modell für ein solches digitales Geld entwirft - und dann wurde im Januar 2009 tatsächlich der erste Bitcoin geschürft. 

Lassen Sie es uns auf das Wichtigste reduzieren: Wie funktioniert Bitcoin?

Mangold: Ich glaube, didaktisch am leichtesten ist es immer, wenn man es kontrastiert mit unserem herkömmlichen Geldsystem. Viele Leute machen sich oft nicht klar, wie stark wir immer auf eine dritte Partei angewiesen sind, um unsere Zahlungswünsche abzuwickeln. Wenn ich den Leuten erzähle, wir haben jetzt mit dem Bitcoin zum ersten Mal ein digitales Geld, winken die in der Regel ab und sagen: Wo lebst du? Wir zahlen schon lange im Internet. Ich zahle auch mit Paypal und so weiter, aber ich tue es immer, indem ich mich auf eine Vermittlungsinstanz beziehe, die dafür sorgt, dass das Geld, das der eine sendet, aus dessen Konto rausgestrichen wird und dem anderen gutgeschrieben wird. So verdoppelt sich die Geldmenge nicht plötzlich, wie schon erwähnt.

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Wir können also mit Rückgriff auf einen Zahlungsdienstleister bezahlen, und der hat sehr viel Macht. Etwa Macht über die Gebühren - und die sind erklecklich, wir merken es nur nicht, weil die nicht eigens ausgewiesen sind. Aber jeder Händler weiß, wie es bei ihm in der Buchhaltung glüht, wenn mal wieder jemand mit der American-Express-Karte bezahlt hat. Das schlägt der Händler natürlich auf alle Preise drauf. 

Die andere Macht der Zahlungsdiensleiter ist eine viel bedrohlichere: Sie können entscheiden, wer überhaupt zahlen kann und wer nicht. Als Wikileaks 2011 furchterregende amerikanische Kriegsverbrechen enthüllt hat, war das gegen die amerikanische Staatsräson. Die US-Regierung hat dann Paypal und Visa-Card verboten, Spenden zu überweisen an Wikileaks. Dann hat Wikileaks gesagt: Es gibt doch ein neues, nicht zensierbares Geld: Bitcoin. Lasst uns auf diesem Wege Spenden zukommen. 

Bitcoin ist also ein zensurresistentes, erlaubnisfreies Zahlungsmedium. Warum? Weil es Open Source ist. Es ist eine verteilte Ledger-Technik, sagt man. Wir können eine Datenbank auf ganz viele Knotenpunkte des Netzwerks verteilen, die gegenseitig kontrollieren, ob der jeweilige Kontostand richtig ist. Es gibt aber keine Instanz, die die Autorität über das gesamte Netzwerk hat. Es gibt keinen Chef, keinen CEO, keine Adresse von Bitcoin. Es gibt nur dieses über die ganze Welt verteilte Netzwerk. Das ist eine ganz starke Kraft, weil man sie nämlich nicht angreifen kann. 

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Warum ist es so schwer, Bitcoin zu begreifen? Das sagen ja selbst Sie als Enthusiast.

Mangold: Da werden wir jetzt nicht wirklich in die Tiefe gehen können. Ich würde schon sagen, ich habe das technologische Design verstanden. Aber man kann sich immer noch tiefer hineindenken und wird dann feststellen, dass das System spieltheoretisch wahnsinnig intelligent aufgestellt ist. In diesem Sinne ist die Erkundung des Bitcoin-Codes gewissermaßen ein unabschließbarer Erkenntnisprozess. Aber wie es grundsätzlich funktioniert, habe ich jetzt schon sehr intensiv studiert. Und ich glaube auch, es den Lesern meines Buches auf eine anschauliche Art nahegebracht zu haben.

Die Fragen stellte Juliane Bergmann im Gespräch bei NDR Kultur. Das 30-minütige Gespräch können Sie auch als Podcast hören.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Das Gespräch | 29.03.2023 | 13:00 Uhr

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