Rothenbaumchaussee Nr.26: Ein Haus mit bewegender Geschichte
Es gibt Häuser in Hamburg, die sind wahre Geschichtsbücher: Ganz normale Gebäude, an denen man sonst einfach vorbeigeht. Der Autor Michael Batz hat ein solches Haus in der Rothenbaumchaussee unter die Lupe genommen.
"Wir stehen hier zwischen Tür und Angel - mitten in der Tür des Hauses Rothenbaumchaussee 26", sagt Batz. "Über uns ist der holzgeschnitzte Löwe von Juda, das Emblem des Hauses." Michael Batz hält die Tür auf, sie ist noch das Original aus dem Erbauungsjahr 1922. Eine Tür in die Vergangenheit.
Durch diese schwere Tür zogen jahrzehntelang Menschen ein und aus, wurden Möbel geschleppt, exquisite Kunst, Grammophone, Tennisschläger, eine Klarinette, das Haus sah tränenreiche Abschiede, aber auch Tage voller Glück. "Es gibt so viele historische Bezüge auf jeder Ebene, nicht nur im Hinblick auf Sportereignisse wie den Tennisspieler Walter Dessart oder die Reiterin Olga von Löbbecke, sondern auch der Künstler", schildert der Theatermacher. Klaus Mann und Gustaf Gründgens seien hier gewesen, um unterm Dach mit dem Maler Willy Davidson wilde Partys zu feiern. Bewohnt von prominenten Sportlern und Künstlern und in direkter Nähe zu Grindelviertel und Bornplatzsynagoge, spiegelt das Haus in den 20er-Jahren das Selbstverständnis deutscher Juden wider. Bis zur Ausgrenzung und Vertreibung der Bewohnerinnen und Bewohner nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten.
Anfeindungen von Beginn an
Das fesselnde und detailreiche Buch "Das Haus des Paul Levy" zeichnet das Leben in dem Haus Jahr für Jahr zwischen 1922 und 1948 nach. Schon bei seiner Fertigstellung im September 1922 sei es heftiger Kritik ausgesetzt gewesen. "Von Anfang an war das Haus hier ein Skandal und wurde angefeindet", schildert Batz. Finanziert wurde das erste große Wohnbaugenossenschaftsprojekt Hamburgs von wohlhabenden, liberalen, jüdischen Bürgern und Bürgerinnen. "Paul Levy, ein Privatbankier, war der Motor dieses ganzen Projekts."
"Das Haus lebt"

Mit seiner Klinkerfassade und den strengen Linien war das damals hochmodern. Helle Wohnungen mit Zentralheizung und schon damals mit einem Aufzug. Auch heute ist es ein ständiges Kommen und Gehen. Jemand klappert mit einem Rollkoffer die Treppen herunter, eine Mutter mit Kinderwagen steigt in den Aufzug. "Sie sehen: Das Haus lebt", sagt Batz lachend. "So war das früher auch, es war immer ein sehr lebendiges Haus." Vor allem nach 1945 sei es brechend voll gewesen, vollgelaufen mit Flüchtlingen aus den Ostgebieten.
Wie ein großes dunkles Gefäß für seine Geschichten stehe das Haus Nr. 26 in der Rothenbaumchaussee, schreibt Batz in seinem Buch: "Als den Bomben entgangenes Sammelbecken einstiger Hoffnungen, schroffer Vertreibung, zeitweiliger Rettungen, günstiger Übernahmen".
"Das Haus des Paul Levy": Ein Gebäude mit Gedächtnis
Sechs Jahre lang hat Michael Batz an dem Buch gearbeitet, angefangen hatte es mit einer Klarinette. Die wurde vor wenigen Jahren bei Renovierungsarbeiten entdeckt, versteckt unter den Dielenbrettern des Dachbodens. "Es ist, als ob das Haus ein Gedächtnis hätte, eine Erinnerung, was dazu drängt, erzählt zu werden." Und die Geschichte des Hauses geht weiter, die Töchter der ehemaligen Bewohnerin Eva Magnus, die heute in New York lebt, seien schon hier gewesen und auch die Urenkel wollen sich nochmal unter den Löwen von Juda stellen. "Diese Geschichten werden erst dadurch berührend, dass sie nicht nur passiert sind, sondern Fortsetzungen haben. Und die reichen bis in die Gegenwart und wollen weitergeschrieben werden", sagt Batz.
Michael Batz‘ neues Buch "Das Haus des Paul Levy - Rothenbaumchaussee No 26" ist im Dölling und Galitz Verlag erschienen, es hat 560 Seiten mit 90 Abbildungen und kostet 32 Euro.
