Reisen im Kopf: Graphic Novels im Februar
Der menschliche Geist ist zu vielem fähig. Drei aktuelle Graphic Novels präsentieren eindrucksvolle und mitreißende Geschichten zum Thema: Reisen im Geiste.
"Ruinen" von Jeremy Perrodeau
Wenn ein Mann in den Geist eines Menschen eintauchen und dort virtuelle Welten betreten kann, die so real erscheinen, muss man zwangsläufig an den Hollywood-Film "Inception" mit Leonardo DiCaprio denken. In der Graphic Novel “Ruinen” lässt der französische Zeichner Jeremy Perrodeau einen Heiler mittels hypermoderner Transformationstechnik in das Gehirn einer jungen Koma-Patientin einsteigen, um sie wieder in die wirkliche Welt zu führen. Begleitet wird er bei dieser risikoreichen Reise von der unerfahrenen Schwester der Patientin. Ein Science-Fiction-Abenteuer-Thriller beginnt, bei dem viel geschossen und geflüchtet wird.
Perrodeau zeichnet reduziert. Seine Figuren agieren in futuristischen Landschaften, die wirken, als hätte man einer Welt aus Piktogrammen versucht, Leben einzuhauchen. Minimalistisch. Kantig. Ordentlich. Besondere Perspektiven - Fehlanzeige. Die braucht es aber nicht, um an der Geschichte kleben zu bleiben. Die Reise durch eine Seelenlandschaft entpuppt sich als Überlebenskampf aller Beteiligter - mitreißend und spannend.
"Eine Geschichte" von Gipi
Ebenfalls mitreißend ist "Eine Geschichte", so der Titel der Graphic Novel von einem der ganz großen italienischen Zeichner: Gipi. Wir fallen mitten in die chaotisch und wirr erscheinenden Gedanken eines älteren Mannes, der über das Alter nachdenkt. Langsam baut sich allerdings die Geschichte auf und wir erfahren, dass es sich um einen bekannten Schriftsteller namens Silvano Landi handelt, der in die Psychiatrie eingeliefert wurde. Dort erinnert er sich immer wieder bruchstückhaft an die Briefe seines Uropas aus dem ersten Weltkrieg.
So hin und her springend seine Gedanken sind, so faszinierend entwirft Gipi diese Welten. Er wechselt von skizzenhaften, rahmenlosen Zeichnungen mit einem schwarzen Fineliner, zu flirrenden Aquarell-Gemälden oder mischt beide Stile. Wirken seine Stift-Zeichnungen wie Miniatur-Giacomettis, sind seine Aquarelle erfüllt von einem Farbenrausch à la Turner.
Was anfänglich zusammenhanglos erscheint, entwickelt sich zu einer sehr klug komponierten und erzählten Seelenlandschaft mit allen ihren Verletzungen und Träumen. Eine berührende Geschichte mit eindrucksvollen Bildern, die das Umblättern sehr schwer machen.
"Kein Anderer" von R. Kikou Johnson
Charleen ist alleinerziehende Mutter und kümmert sich seit Jahren, neben ihrem Job als Krankenschwester, um ihren pflegebedürftigen Vater. Als dieser stirbt, will sie durchstarten - doch es entwickelt sich alles anders als erhofft.
Mit klarer und ruhiger Bildsprache erzählt der Hawaiianer R. Kikou Johnson in "Kein Anderer" das Leben diese Frau, ihres achtjährigen Sohnes und dessen Onkel auf Maui. Ein großes Vergnügen, ja schon meisterlich ist es, wie der Zeichner mit wenigen Bildern lange Zeitabschnitte verkürzt, mit viel Humor kurze dehnt und durch neue Perspektiven scheinbar Nebensächlichem Bedeutung verleiht. Kein Wunder, dass Johnsons Illustrationen immer wieder den Weg auf das Cover des renommierten New Yorker schaffen.
Die 112 Seiten fliegen wie im Rausch leider nur so durch die Finger, denn gerne würde man über das unerwartete Ende hinwegspringen und den Figuren weiter über die nächsten Hunderte von Seiten folgen.
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