Sams-Autor Paul Maar über seine Kindheit: "Wie alles kam"
Viele haben ihren Kindern die Geschichten vom Sams vorgelesen oder mit ihnen die Filme gesehen. Das Sams: Eine Figur, die vor Lebensfreude, Witz und Tatendrang sprüht. Erfunden hat sie Paul Maar.
Er hat schon einmal in seinem Buch "Kartoffelkäferzeiten" aus seiner Kindheit erzählt und nun ist ein Roman erschienen mit dem Titel "Wie alles kam", in dem klar wird, dass Paul Maar einen wie Sams als Gegenfigur zu einer zum Teil schwierigen Kindheit geradezu erfinden musste.
Paul Maar ist 1937 geboren, er hat seine Mutter sehr früh verloren, war aber behütet von der Stiefmutter, Tanten, Oma Kuni, Oma Rethel und dem Großvater. 1943 flüchtete die Familie vor den Bomben aus Schweinfurt in das Dorf Obertheres zu den Großeltern. Oma Rethel, die Mutter des Vaters, war auch dabei.
Einen Großteil der Kindheit verbringt Paul Maar ohne seinen Vater
Maar schildert das bunte Dorfleben aus der Perspektive des fantasievollen, spielenden Kindes. Es gab allerhand Abenteuer zu bestehen. Die Kinder legten Pfennige auf die Bahngleise und jubelten, wenn sie plattgefahren wurden:
Das hatte sofort Nachahmer gefunden, und bald meldete ein Lokomotivführer dem Bahnhofsvorstand, Herrn Gerner, dass außerhalb des Dorfes immer eine Horde von Kindern auf dem Bahndamm nahe der Gleise lagerte und somit sich und den Bahnverkehr gefährde. Leseprobe
Deutlicher kann man den Unterschied zwischen einer Kindheit in den 40er-Jahren und heute nicht machen. Die Kinder gefährdeten den Bahnverkehr.
Vaters Rückkehr aus dem Krieg ist ein einschneidendes Erlebnis
Der einschneidendste Moment in seinem Leben sei dann gewesen, als er 1947 zurück nach Schweinfurt musste, weg von den Großeltern, den Freunden, dem Dorfleben in eine ihm kalt erscheinende Stadtwelt. Dann kam der Vater aus dem Krieg zurück:
Ich hatte ihn zuletzt bei einem Fronturlaub im Jahr 1943 gesehen, da war ich fünf Jahre alt. Als er zurückkam, war ich neun. Ich kannte ihn nicht und fragte meine Mutter, wer der fremde Mann sei. "Na, dein Papa! Erkennst du ihn denn nicht? Komm, gib ihm einen Kuss!", sagte sie vorwurfsvoll-erstaunt. Ich empfand ihn als Eindringling, der unsere enge Mutter-Sohn-Beziehung zerstörte. Leseprobe
Schon bei kleinsten Vergehen bekommen die beiden Söhne Schläge. Der Vater entwickelt sich zum Schreckensmann dieser Kindheit, die von da an von Angst bestimmt wird. Paul flüchtet in die Bilder und beginnt zu malen.
Paul Maars Frau stammt aus einer völlig anderen Welt
Als junger Mann lernt er Nele Ballhaus kennen, die aus einer Theaterfamilie stammt und ihm eine ganz andere Welt öffnet. Sie heiraten und zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Buches ist seine Ehefrau dement geworden und die einst so dominante Partnerin wird von ihm umhegt. Er hält ihre Hand zum Einschlafen. Dann ist ihr wohler.
Paul Maar hat seinem Vater die Leiden seiner Kindheit nicht verziehen, aber das Buch endet vollkommen überraschend mit dem Versuch, ihn zu verstehen. Er hat Feldpostbriefe des Vaters gefunden, in denen er beschreibt, wie sehr er seinen kleinen Sohn liebt und sich nach ihm sehnt. Als er aus dem Krieg heimkehrt, ist dieser kleine blonde Junge nicht mehr da, sondern ein aus seinem Blickwinkel feindseliges Muttersöhnchen:
Die übergroße Liebe des Vaters schlägt um in Enttäuschung und Feindschaft. Dies beantwortet meine Frage vom Anfang. Die Frage, wie der liebende Vater zum Schreckensmann werden konnte. Die Antwort ist bitter: Auch ich habe dazu beigetragen. Leseprobe
Das ist ein großer Schlussakkord für diesen auch sonst ungewöhnlichen Roman über eine Kindheit in Deutschland.
Wie alles kam
- Seitenzahl:
- 304 Seiten
- Genre:
- Biografie
- Verlag:
- Fischerverlage
- Bestellnummer:
- 978-3-10-397038-8
- Preis:
- 22,00 €
