Nina Weijers: "Ich. Sie. Die Frau"
2016 wurde Niña Weijers dem deutschen Publikum bekannt: Damals waren die Niederlande Gastland der Frankfurter Buchmesse und Weijers stellte ihren Debütroman vor.
Zu Recht wurde sie damals als neue aufregende Stimme der niederländischen Literatur eingeführt, denn ihr Roman "Die Konsequenzen" erzählt sehr klug von einer Künstlerin, die nicht etwa mit Skulpturen oder Gemälden die Kunstwelt auf sich aufmerksam macht, sondern mit Experimenten rund um das eigene Leben. Nun ist ihr neuer Roman "Ich. Sie. Die Frau" erschienen.
Die Wahrheit oder auf jeden Fall eine Wahrheit lautete, dass sich mein Leben in jenen Jahren in einer merkwürdigen Art von Vakuum befand. Es gab keine großen Probleme, ich liebte den Mann, mit dem ich zusammen war, und er mich, auf ruhige Weise. Mit meiner Freundin M. - eher große Liebe als Freundin, so sehr, dass es Leute verwirrte und sogar erboste - ging ich fast täglich durch den Park. Leseprobe
Sanfter Realismus ließe sich nach solchen Sätzen erwarten - die Geschichte einer Frau, einer Schriftstellerin übrigens, die sich für das Leben an der Seite eines Mannes entschieden hat und andere mögliche Lebenswege - Freundin M. wäre so einer - nur noch in der Fantasie verfolgt. So etwas könnte man also erwarten, nur müsste Niña Weijers dazu Interesse an einer linearen Geschichte haben.
In den Menschen sind viele Geschichten angelegt
Dieses Buch verrät aber etwas ganz Anderes: zum Beispiel, dass die Autorin Gegenwart und Vergangenheit lieber durcheinanderwirbelt. Und dass sie sich nicht begnügt mit einem Leben für einen Menschen, sondern all die Geschichten entdecken möchte, die in einem Menschen angelegt sind.
Ich denke, wenn man lebt und irgendwann ehrlich in Bezug darauf ist, was das bedeutet, dann versteht man, dass man sich als Mensch in einem fort aufspaltet, man könnte auch sagen auseinanderfällt, aber vielleicht ist das nicht richtig, weil es ja zu keinem Zeitpunkt so etwas wie einen festen Kern gegeben hat. Leseprobe
Dieser Roman versucht also gar nicht, den Kern der Protagonistin zu offenbaren, sondern aufzufächern, was alles in ihrem Leben steckt, an Vergangenem und Gegenwärtigem, an ausgeschlagenen und ausgeschöpften Möglichkeiten, an Blicken auf ihr Leben und aus ihrem Leben, wobei von all dem erzählt wird, als wäre es einfach Leben.
Hier und Jetzt. Da bürgt kein Indikativ für das wirklich Erlebte, während der Konjunktiv unbedacht die Fantasie verrät. Es gibt - und das ist aufregend - keine Hierarchie der Zeiten und Modi, sondern eine Möglichkeit Leben, eine weitere, noch eine.
Manche Leute meinen, die Schriftstellerin kritisieren zu müssen
Dazwischen - denn keine Schriftstellerin wählt umsonst eine Schriftstellerin als Hauptfigur - sehen wir der Autorin bei der Arbeit zu - lesen von ihrem Unbehagen in Sachen lineare Erzählung, von der Unzuverlässigkeit der Erinnerung und darüber, was ein Kritiker an einem Erzählstil aussetzen könnte, der all diese Gedanken in sich aufgenommen hat.
Da wäre der eine Rezensent, "der mein Buch wegen eines Mangels an Szenen kritisiert hatte" und der andere, "der mein Buch wegen einer zu fragilen Ich-Erzählerfigur kritisiert hatte".
Sogar der Partner der Schriftstellerin wagt einen Einwand: Immer dieses "zugleich" in ihren Texten, zugleich dies und das, was solle das denn heißen? Dann die ganzen Klammern, Klammern übrigens, von denen auch Niña Weijers Roman wimmelt und über die ihre Romanfigur nur sagen kann: "Man schreibe etwas hin oder eben nicht."
Die Autorin nimmt mögliche Kritikpunkte selbst vorweg
Solche Einwürfe bringen einigen Witz in den Roman und doch steckt tatsächlich ein Problem im Spiel mit der vorweggenommenen Kritik und auch in den Klammern, die einen gerade aufgeschriebenen Gedanken sofort wieder auf seine Überzeugungskraft hin überprüfen: Denn die Autorin übernimmt damit eigentlich die Rolle der Leserin.
Kritik üben, sich an einer Szene oder Schreibweise reiben, bedeutet ja nicht einfach: sich auf vermeintliche Fehler zu stürzen und schlechte Laune zu bekommen. Es bedeutet: ins Gespräch zu kommen mit einem Text, sich in ihm verhaken zu können, von ihm gebraucht zu werden.
Wenn nun der mögliche Widerspruch im Roman selbst formuliert wird, wenn die Kritik an dieser Neigung ebenfalls reflektiert wird, dann ist - und das kann einen wirklich überraschen an diesem Buch - die Leserin geradezu arbeitslos. So liest man paradoxerweise einen vielschichtigen, clever komponierten und durchaus komplexen Text, ohne als Leserin wirklich auf den Plan gerufen zu sein.
Ich. Sie. Die Frau
- Seitenzahl:
- 235 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Suhrkamp
- Bestellnummer:
- ISBN 978-3-518-42986-0
- Preis:
- 23,00 €
