Neue Bücher 2023: Die interessantesten Neuerscheinungen
Viele interessante Romane, Essays und Erzählungen erscheinen 2023. Auf diese Neuerscheinungen freut sich die Literaturredaktion von NDR Kultur im neuen Jahr besonders.
2023 gibt es Neues von den Buchpreisträgerinnen Helga Schubert und Katharina Hacker. Eugen Ruge zieht es nach der untergegangenen DDR und dem untergegangenen Sowjetreich noch weiter in die Vergangenheit zurück: Sein neues Werk heißt "Pompeji". Juli Zeh hat bereits ein neues Buch veröffentlicht - diesmal gemeinsam mit dem Autor Simon Urban. International hat der Buchmarkt ebenfalls viel zu bieten. John Irving legt mit "Der letzte Sessellift" nach sieben Jahren endlich einen neuen Roman vor. Der Brite John Ironmonger stellt nach einem Wal und einem Dugong dieses Mal einen Eisbären in den Mittelpunkt seiner Erzählung. Und Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk begibt sich in "Empusion" in ein Sanatorium - eine Anspielung auf Thomas Manns "Zauberberg"?
Michael Köhlmeier: "Frankie"
Im Alter wird die Publikationsliste immer schneller immer länger: Michael Köhlmeier, einer der ganz Großen der österreichischen Literatur, hat offenbar noch so viel zu erzählen. In "Frankie" erzählt er von einem Jugendlichen aus Wien, dessen Leben völlig durcheinandergerät, als sein Großvater nach vielen Jahren im Gefängnis wieder frei ist. Der Junge hat Angst vor dem unbekannten Alten. Aber er ist auch fasziniert vom großen Geheimnis des langjährigen Sträflings: Was genau hat er verbrochen und - warum? Rebellion, Freiheit, und die Faszination des Bösen - eine neue Variation der großen Köhlmeier-Themen.
Juli Zeh und Simon Urban: "Zwischen Welten"
Nachdem sie in "Unterleuten" gewesen ist und "Über Menschen" geschrieben hat, begibt sich Juli Zeh dieses Mal "Zwischen Welten". Ihren neuen Roman hat sie gemeinsam mit Simon Urban geschrieben. Schon während des Germanistikstudiums haben Stefan und Theresa in ihrer WG viel über Politik diskutiert und gestritten. Dann hat Theresa den Hof ihres Vaters übernommen, Stefan ist stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Kulturressorts bei der renommierten Hamburger Wochenzeitung "Der Bote" geworden. Als sie sich nach zwanzig Jahren zufällig wieder über den Weg laufen, endet ihr erstes Wiedersehen in einem Desaster. Die beiden beschließen, noch einmal von vorne anzufangen. Es entsteht ein offener und sehr emotionaler Austausch über polarisierte Fragen wie Klimapolitik, Gendersprache und Rassismusvorwürfe.
Raphaela Edelbauer: "Die Inkommensurablen"
Mit großer Spannung wurde der neue Roman von Raphaela Edelbauer erwartet. "Die Inkommensurablen" erzählt vom fiebrig-erregten Leben in der österreichischen Hauptstadt kurz vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Hans, ein junger Mann, stapft am letzten Julitag 1914 durch die riesige Stadt. Der große europäische Krieg ist ganz nah, diese menschengemachte Katastrophe. In Wien, diesem brodelnden Kessel, in dem neue, umstürzlerische Ideen sich mit der althergebrachten Habsburger-Verschnarchtheit mischen, überwältigt ihn dann die komplett neue Erfahrung eines Lebens in Prunk und Verschwendung und erotischer Freizügigkeit. "'Die Inkommensurablen' wirkt reichlich überkonstruiert", meint Alexander Solloch von NDR Kultur. "Ein toller Roman voll Zeitkolorit, der die wichtigen Fragen der damaligen Zeit aufgreift", hält eat.Read.sleep-Podcast-Host Jan Ehlert dagegen. Am besten Sie entscheiden selbst.
Arno Geiger: "Das glückliche Geheimnis"
Bereits erschienen ist der neue Roman von Arno Geiger. Der wundervolle Erzähler aus Vorarlberg überrascht uns zwölf Jahre nach "Der alte König in seinem Exil" wieder mit einer ganz persönlichen Geschichte: Wir erfahren, wie Arno Geiger beim Versuch, Schriftsteller zu werden, immer wieder gegen eine Mauer rannte, wie er die Liebe fand und eine Art Doppelleben führte. Einer, der am Abend im Fernsehen auftrat, und sich am nächsten Morgen auf der Müllstation tiefstmöglich in den Papiercontainer hinabbeugte. Auf der Suche nach Interessantem, nach Hinterlassenschaften, die Arno Geiger nicht zu Brei zerstampft wissen wollte: weggeworfene Bücher, Brief-Konvolute, Tagebücher.
John Irving: "Der letzte Sessellift"
Mit 80 Jahren übertrifft sich der Autor von voluminösen Weltbestsellern wie "Garp und wie er die Welt sah", "Das Hotel New Hampshire" oder "Gottes Werk und Teufels Beitrag" noch einmal selbst: Auf 1.088 Seiten lässt John Irving - diesmal in Aspen, Colorado - den "letzten Sessellift" schweben. Natürlich ganz Irving'sch alles andere als einfach geradeaus.
Helga Schubert: "Der heutige Tag. Ein Stundenbuch der Liebe"
Von Hause aus klinische Psychologin, zuletzt auch in der Eheberatung tätig und parallel dazu immer Schriftstellerin. Bachmann-Preisträgerin Helga Schubert macht ihrem schwer kranken Mann nach über fünfzig Jahren Beziehung noch einmal eine rührende Liebeserklärung. In "Der heutige Tag" schreibt sie über "all die Dinge, die das Leben inmitten der Widrigkeiten des Alters lebenswert machen".
Eugen Ruge: "Pompeji"
Eugen Ruge mal ganz anders. Nicht von der untergegangenen DDR ("In Zeiten des abnehmenden Lichts") oder dem Sowjetreich ("Metropol") handelt sein neuer Roman. In "Pompeji" erzählt er eine Geschichte aus der Antike. In ihr dürften sich jedoch aktuelle Bezüge aufspüren lassen: Was, wenn die Menschen die Katastrophe zwar unmittelbar vor Augen stehen haben, aber sich entscheiden, nichts zu tun?
Olga Tokarczuk: "Empusion - Eine naturheilkundliche Schauergeschichte."

Olga Tokarczuk schreckt vor nichts zurück. Braucht sie auch nicht. Denn ganz gleich, welche Stoffe sie sich vorknöpft, sie lockt sie mühelos in ihr nobelpreisgeadeltes Literaturuniversum. Diesmal geht es - ähnlich wie in Thomas Manns "Zauberberg" - in ein Sanatorium für Lungenkrankheiten. Allerdings nicht in die Schweiz, sondern nach Niederschlesien. Aber auch Tokarczuks Roman spielt im Vorfeld des Ersten Weltkriegs. Ein literarisches Menetekel? Wir dürfen gespannt sein.
Katharina Hacker: "Über Leben mit Tier"
Scherz, Ironie und tiefere Bedeutung - alles ist drin in den "Minutenessays" von Katharina Hacker. Die Buchpreisträgerin ("Die Habenichtse") wendet sich diesmal in ihren Kurztexten dem staunenswerten Leben der Tiere zu. Vor allem ihrer staunenswerten Fähigkeit, sich immerzu um ihr eigenes Wohlergehen zu kümmern. Da lässt sich doch sicher einiges lernen!
Felwine Sarr: "Die Orte, an denen meine Träume wohnen"

Bekannt geworden ist der Musiker, Verleger und Ökonom Felwine Sarr hierzulande vor allem zusammen mit Bénédicte Savoy als Co-Autor des Reports "über die Restitution afrikanischer Kulturgüter". Nach Debatten-Büchern über die Zukunft Afrikas überrascht der Senegalese jetzt mit seinem ersten Roman. Und natürlich geht es auch in dieser Brudergeschichte wieder um Gegenwart und Zukunft Afrikas.
Arno Frank: "Seemann vom Siebener"
Nach seinem großartigen Debütroman "So, und jetzt kommst du!"- die tragikomische Geschichte eines Vaters, der sich als Hochstapler entpuppt - kommt nun der zweite Roman von Arno Frank: "Seemann vom Siebener". Der Siebener-Sprungturm ist gesperrt, warum eigentlich? Sechs Menschen an einem heißen Tag im Freibad und ein großes Geheimnis - dieses Buch weckt die Vorfreude auf einen schönen Sommer.
Raoul Schrott: "Inventur des Sommers"
Was sagt einer wie Raoul Schrott, dessen historischer Weitblick gerne schon mal zurückgeht bis Homer und darüber hinaus, zur Gegenwart? Wie haben sich seine literarischen Sinne durch Lockdowns und Krieg verändert? Die Formen von Essay und Lyrik miteinander verknüpfend, schenkt Schrott uns in "Inventur des Sommers" Einblicke in seine Versuche, die schwer fassbare Gegenwart wenn schon nicht zu begreifen, so doch zumindest in eine Sprache zu bringen.
Ulrike Draesner: "Die Verwandelten"
Ulrike Draesner ist eine Meisterin in der Kunst, von ganz normalen Menschen, die in den Mahlstrom der Geschichte geraten, zu erzählen. In ihrem neuen Werk "Die Verwandelten" fragt sie sich nun: Was macht der Krieg vor allem mit den Frauen? Wie werden sie vom Leid, vom Schweigen und von unterdrückter Erinnerung verwandelt?
Wolfgang Benz: "Allein gegen Hitler. Leben und Tat des Johann Georg Elser"

Das könnte eines der wichtigsten Sachbücher des Jahres werden: eine Biographie des Schreiners Georg Elser, über den längst noch nicht genug geschrieben worden ist im Gegensatz zu all den Generälen, die sich erst zum Widerstand durchringen konnten, als sie sahen, dass der Krieg verloren war. Elser aber verübte schon im November 1939 ein Attentat auf Hitler, das aufgrund unglücklichster Umstände leider scheiterte. Elser - einer der großen Deutschen, gewürdigt von einem der bedeutendsten Widerstandsforscher.
Sven Regener: "Die Frau mit dem Arm"
Dieses Buch war längst fällig. Denn in "Ärger mit der Unsterblichkeit" (2015) hat Sven Regener das Leben seines Freundes Andreas Dorau längst noch nicht auserzählt. 2023 kommt endlich mehr aus dem schillernden Kosmos des Popsängers ("Fred vom Jupiter"), betrachtet durch die keinen Quatsch übersehende Brille des Schriftstellers und Musikers aus Bremen - das müsste ein Heidenspaß werden.
Daniel Glattauer: "Die spürst du nicht"
Mit seinem E-Mail-Roman "Gut gegen Nordwind" schrieb sich Daniel Glattauer 2006 in die Herzen vieler Leser*innen. Seit neun Jahren hat der Österreicher keinen Roman mehr veröffentlicht. Quasi über Nacht hatte er dann allerdings die Idee für "Die spürst du nicht". Es geht es um zwei Familien, die sich einen exklusiven Urlaub in der Toskana gönnen, in dem es zu einer Katastrophe kommt. Man kann gespannt sein, was Glattauer daraus macht.
John Ironmonger: "Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen"
Der Brite John Ironmonger hat ein gutes Gespür für Themen. Sein Roman "Der Wal und das Ende der Welt" nahm die Folgen einer Pandemie vorweg, seine Erzählung "Das Jahr des Dugong" beschäftigte sich mit dem (Über-)Leben in einer zerstörten Umwelt. Und auch in seinem neuen Roman geht es um unsere Zukunft - und den Klimawandel. "Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen" hat gute Voraussetzungen das Buch der Stunde in 2023 zu werden.
Teresa Präauer: "Kochen im falschen Jahrhundert "
"Kochen im falschen Jahrhundert" ist die Geschichte eines Abends - und der Speisen, die in seinem Verlauf verzehrt werden. Vorfreudig darf man vermuten: Teresa Präauer, die vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin und Malerin aus Linz, wird wieder einmal mit Witz, Charme und subtilem Spott vom menschlichen Mit- und Gegeneinander erzählen.
Hans-Joachim Schädlich: "Das Tier, das man Mensch nennt"
Homo homini lupus - Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Diesen Satz hat der englische Philosoph Thomas Hobbes berühmt gemacht und damit seine tiefe Skepsis gegenüber der menschlichen Zivilisation zum Ausdruck gebracht. Hans-Joachim Schädlich hat mit seinen 87 Jahren schon viel Unrecht erlebt und literarisch gestaltet und dennoch seine Sanftmut und Friedfertigkeit niemals eingebüßt. Es wird spannend sein, seine neuen Gedanken und Geschichten zu lesen, in einer Zeit, die wieder sehr von Rohheit und Gewalt bestimmt ist.
