Neue Bücher 2022: Die spannendsten Neuerscheinungen
Spannende Romane, fesselnde Erzählungen: Viele interessante Bücher sind 2022 schon erschienen und viele spannende Neuerscheinungen kommen noch. Unsere Buchempfehlungen ohne Gefallensgarantie.
Mit "Serge" von Yasmina Reza, "Vernichten" von Michel Houellebecq, "Zum Paradies" von Hanya Yanagihara, "Die Nächte der Pest" von Orhan Pamuk und "Der Morgenstern" von Karl Ove Knausgård sind einige große Romane bereits in diesem Jahr erschienen. Und viele spannende Bücher kommen noch. Ein Blick auf das Literaturjahr 2022.
"Die Stimme" - Pageturner der niederländischen Autorin Jessica Durlacher
Die Geschichte beginnt vor dem Hintergrund des Anschlags vom 11. September auf das New Yorker World Trade Center. An diesem Tag lassen sich die Protagonisten Zelda und Bor trauen. Zusammen mit ihren Kindern können sie sich retten, werden aber schwer traumatisiert und kehren in die Niederlande zurück.
Dort stellen sie die Somalierin Amal als Kindermädchen ein. Die junge, hübsche Frau verfügt über ein enormes Gesangstalent. Bei einem Auftritt in der Talentshow "Die Stimme" nimmt sie vor laufenden Kameras ihr Kopftuch ab. Fortan wird nicht nur Amal bedroht, sondern auch die Familie, für die sie arbeitet. Ein starkes, intensives Leseerlebnis und eine Geschichte über Loyalität und Engagement.
"Der Schlaf in den Uhren" - Uwe Tellkamps neuer Roman
2008 erschien der Roman "Der Turm" von Uwe Tellkamp. Das Buch wurde mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet und der Autor wegen seines erzählerischen Talents sogar mit Thomas Mann verglichen. Seit einigen Jahren steht Tellkamp allerdings wegen verschiedener politischer Äußerungen in der Kritik.
Jetzt ist die lang erwartete Fortsetzung des "Turms" erschienen - über 900 Seiten stark. Hauptfigur ist Fabian Hoffmann, die Handlung ist in Treva angesiedelt, einem fiktiven Stadtstaat. Viele verschiedene Erzählebenen, Rückblenden auf die Zeit des Mauerfalls und zahlreiche Anspielungen auf den heutigen Literatur- und Medienbetrieb: Uwe Tellkamp hat sich viel vorgenommen. Leider verirrt sich der Autor in seinem Roman-Labyrinth und die Lektüre wird als "anstrengend, oft qualvoll" wahrgenommen.
Remo Rapino: "Das wundersame Leben des Liborio Bonfiglio" - über den Lebenstraum eines Außenseiters
Ein Buch über "offene Türen" - der Autor Remo Rapino erhielt dafür den renommierten Premio Capiello 2020. Die Geschichte des Liborio Bonfiglio ist seinem Vater gewidmet, einem Außenseiter, der aus dem armen Süden Italiens stammte und seinem Traum von einem besseren Leben folgte, zur Schule und zum Militär ging und schließlich in Mailand sein Glück suchte. Ein gefühlvoller Roman, der von den Licht- und Schattenseiten des vergangenen Jahrhunderts erzählt.
"Die letzten Tage unserer Väter" - Joël Dickers gelungener Debütroman
Paul-Émile ist 22, als er Paris verlässt. Heimlich. Wenige Monate zuvor, im Juni 1940, haben die Deutschen die französische Hauptstadt erobert. Er will sein Land verteidigen. Der junge Mann wird sich in London einer von Churchill ins Leben gerufenen, geheimen britischen Spionageeinheit anschließen und seinen Vater zwei Jahre lang weder sprechen noch sehen.
Es ist ein spannendes und nur wenig bekanntes Kapitel der Geschichte, das Autor Dicker hier aufschlägt. Kameradschaft, Freundschaft, Liebe, Solidarität und Verrat - das sind die großen Themen in diesem Roman, der sich erkennbar wie ein Debüt liest. Schon hier wird deutlich, wie packend Joël Dicker schreiben, wie plastisch er Figuren entwickeln kann, wie genau er recherchiert.
"Lenin auf Schalke": Gregor Sanders Roman über das Ruhrgebiet
Auch wer noch nie in Gelsenkirchen war, bringt die Stadt im Ruhrgebiet mit dem Bergbau in Verbindung und mit Schalke 04 in Verbindung. Beides hat Gregor Sander bei seiner literarischen Exkursion in den Westen ganz bewusst außen vor gelassen. Sander hat das Gelsenkirchen von heute interessiert und die Frage, warum eigentlich immerzu über den Osten Deutschlands geschrieben wird und ob es sich nicht lohnen würde, die Perspektive mal umzudrehen. Sympathisch selbstironisch beschreibt Sander seine fiktive Forschungsreise ins Ruhrgebiet, bei der auch viele Aspekte anklingen, über die es sich tatsächlich lohnen würde, ernsthaft nachzudenken.
"Haus in Flammen" von Mischa Kopmann - Roman über das Verschwinden
Drei junge Erwachsene stehen im Mittelpunkt dieses Romans: Lias, Minnigk und Yvette. Gemeinsam demonstrieren mit "Fridays For Future" gegen den Klimawandel. Doch das reicht ihnen bald nicht mehr. Sie radikalisieren sich in der Gruppe "Dead Loss Brigade", befreien Tiere aus Laboren und zünden Gebäude an. Parallel erzählt Mischa Kopmann in seinem dritten Roman die Dreiecks-Liebesgeschichte seiner Protagonisten. Damit ist die Eskalation auf allen Ebenen vorprogrammiert - das Ganze geht natürlich nicht gut aus. Kopmanns Erzähl-Stil in diesem Buch ist eher ungewöhnlich: Die Szenen sind lose aneinandergereiht, nicht immer chronologisch - aber immer sehr gut lesbar und hochaktuell.
"RCE #RemoteCodeExecution" - Zweiter Teil von Sibylle Bergs Nerd-Trilogie
Es ist eine dystopische Welt, die Sibylle Berg beschreibt: Viele Gebiete der Welt sind nicht mehr bewohnbar, die Bevölkerung ist komplett verarmt - vor allem, weil nur noch die Computerbranche Menschen beschäftigt. In dieser Welt, die komplett überwacht wird, müssen sich fünf junge Nerds zurechtfinden und planen den digitalen Umsturz mit zweifelhaften Mitteln.
"RCE" ist der zweite Teil einer Trilogie, die 2019 mit "GRM" begann. Das Buch lässt sich aber auch lesen, ohne den Vorgänger zu kennen. Der Roman hat zwar den typischen düsteren Sibylle-Berg-Sound, verliert sich aber oft zu sehr in den Technik-Details dieser Zukunft. Zu kurz kommen die Dialoge und Charaktere - eigentlich die Stärke von Sibylle Berg. Für Fans der eigenwilligen Autorin ist "RCE" aber sicher trotzdem ein must-read.
"Mord zur Apfelblüte" von Daniel E. Palu
"Mord zur Apfelblüte" ist eine schöne Mischung aus Regionalkrimi und Reise in eine dunkle Vergangenheit. Eine komplexe, gut komponierte und spannende Geschichte mit nicht zu aufdringlichem Lokalkolorit. Daniel E. Palu schreibt angenehm im Tempo, sein Ton ist frisch, mit etwas Witz und Poesie. Sein Protagonist Berlotti ist kein zergrübelter, versehrter Kommissar mit Alkoholproblem. Probleme hat er aber dennoch. Sein Fall: Eine Männerleiche wurde grausam zugerichtet. Mit raren und vor allem wertvollen Mordwerkzeugen aus dem 16. Jahrhundert, wie eine Recherche bei einem Museumsexperten ergibt. Hauptkommissar Berlotti muss in Leipzig tief in die DDR-Vergangenheit eintauchen.
"Eine Frage der Chemie" von Bonnie Garmus
Mögen Sie üppig ausgestattete Fernsehserien, die in den 1960er-Jahren spielen? "Das Damengambit" oder "Mad Men"? Dann sollten Sie sich den Roman "Eine Frage der Chemie" von Bonnie Garmus nicht entgehen lassen. Hauptfigur ist Elizabeth Zott, die als Chemikerin an einer Uni Karriere machen möchte. Doch daraus wird nichts. Durch Zufall wird sie als Moderatorin einer Fernseh-Kochshow entdeckt. Im Laborkittel mit einem Bleistift im Haar erklärt sie amerikanischen Hausfrauen, was Kochen und Chemie gemeinsam haben - und verhilft ihnen ganz nebenbei zu mehr Selbstvertrauen. Unangepasst, klug und wortgewandt - Elizabeth Zott schließt man gleich nach den ersten Seiten ins Herz. Ein beachtliches Debüt von Bonnie Garmus, das gerade weltweit gefeiert wird.
"Eine andere Zeit": Über das Weggehen und Wiederkommen
Ein abgelegenes Dorf in Mecklenburg-Vorpommern: In diesem Mikrokosmos spielt die Geschichte über die Schwestern Enne und Suse, die in den 1970er-Jahren hier aufwachsen. Helga Bürsters kennt das Dorf Kamp gut. Hier käme alles vor, was sie für ihre Geschichte brauche, so die Autorin. Mit einer klaren, schnörkellosen Sprache schildert sie das Leben der Schwestern und ihrer Eltern in der DDR. Während es Enne als junge Erwachsene nach Berlin zieht, will die stille, etwas seltsame Suse im Heimatdorf bleiben. Doch dann verschwindet sie spurlos, als sie mit ihrem Freund am Tag der Grenzöffnung im August 1989 nach Ungarn reist. Ihre Mutter stirbt vor Kummer, und Enne kehrt zurück nach Kamp. "Eine andere Zeit" ist ein stiller, berührender Roman über Verluste, über das Weggehen und Wiederkommen.
Karl Ove Knausgård: "Der Morgenstern" - Auftakt zu fünfbändiger Reihe
Der norwegische Autor Karl Ove Knausgård hat der autofiktionalen Literatur einen ganz neuen Anstrich gegeben. Er ist dadurch zu einem international erfolgreichen Schriftsteller geworden. Sein neuer Roman "Der Morgenstern" erscheint gleichzeitig in 35 Sprachen. Der Literaturprofessor Arne beobachtet, dass Tiere sich in Massen versammeln. So wie man das aus Horrorfilmen kennt. Gelenkt werden die Tiere, wie es scheint, von einer seltsamen Lichterscheinung am Himmel. Die wiederum entdecken Arne und acht weitere norwegische Ich-Erzähler. Ist das ein Morgenstern? Oder etwas völlig Unbekanntes, gar Bedrohliches? Karl Ove Knausgård bricht ganz bewusst mit rationalen Erwartungen. Die Erzählstränge der meisten Ich-Erzähler sind, wenn überhaupt, nur locker miteinander verbunden. Die Figuren reichen von einer Pfarrerin, die Nächstenliebe predigt, aber im Privaten lieber noch mal von vorne anfangen würde, über einen Mann, der an seiner bipolaren Frau verzweifelt, bis zu einem Journalisten. In "Der Morgenstern" sehnen sich die Figuren nach einem Neuanfang. Karl Ove Knausgård ist ein zugleich treffend realistischer und faszinierend entrückter Roman geglückt, der den Auftakt zu einer fünfbändigen Reihe bildet.
"Habichtland": Heimatroman von Florian Knöppler
Florian Knöppler setzt seine historische Romantrilogie fort: In "Kronsnest" zeigte er, wie die ländliche Bevölkerung in den 1920er- und 30er-Jahren dem Nationalsozialismus den Boden bereitete. In "Habichtland" ist nun der Zweite Weltkrieg ausgebrochen. Knöppler verweigert es in seinem meist eher deskriptiven als psychologisierenden Rollenspiel, den Stab über der einen oder dem anderen zu brechen. Eher wirft er - und das ist eine echte Stärke dieses etwas anderen "Heimatromans aus der Elbmarsch" - vor der gründlich recherchierten historischen Kulisse überzeitliche Fragen auf: Wann wird aus bloßem Stillhalten stillschweigende Zustimmung? Wo verläuft die Grenze zwischen naiver Widerborstigkeit und fundiertem Widerstand? Und wo wird - um es mit Bertolt Brecht zu sagen - aus Unrecht Recht und Widerstand zur Pflicht?
"Die Jagd": Sasha Filipenko über Gewalt und Unterdrückung in Russland
Der belarussische Schriftsteller Sasha Filipenko schreibt in seinem Thriller "Die Jagd" über Mechanismen, die ein Klima der Angst erzeugen. Ein Journalist namens Anton Quint hat herausgefunden, dass der Oligarch Wolodja Slawin, der unentwegt von seiner Liebe zum Vaterland Russland spricht und politische Ambitionen hegt, schon längst - wie die meisten reichen Russen - sein Vermögen im Ausland in Immobilien angelegt hat. Es wird eine Welt beschrieben, die aus den Fugen geraten ist. Der politische Druck auf kritische Stimmen wird immer brutaler. Filipenko beschreibt, wie Menschen eingeschüchtert, zermürbt und zum Schweigen gebracht werden sollen. Die Schonungslosigkeit, mit der Sasha Filipenko das System der Unterdrückung bereits im Jahr 2016 beschrieben hat, wird im Roman zu einer Mischung aus Satire, Thriller und Psychogramm der russischen Seele - oder wie immer man die Stimmung im Land bezeichnen möchte. Zurzeit betrachten wir Russland mit Sorge und Angst von außen. Filipenko nimmt uns mit diesem literarisch starken, anspruchsvollen Text auf mehreren Erzählebenen mit ins Landesinnere. "Sein Roman bietet eine verwirrende, ängstigende wie Schüttelfrost erzeugende Lektüre", schreibt Kritikerin Annemarie Stoltenberg.
"Dschinns": Fatma Aydemirs intensiv erzählter Familienroman
Eigentlich wäre es die Erfüllung eines Traums gewesen: Hüseyin, der dreißig Jahre lang als "Gastarbeiter" in Deutschland geschuftet hat, wollte seine Familie in der neuen Istanbuler Eigentumswohnung empfangen und alle wieder zusammenführen. Doch dann kommen sie nur noch zu seiner Beerdigung: Herzinfarkt. Zurück bleiben Mutter und vier Kinder sehr verschiedenen Charakters. Fatma Aydemir widmet Hüseyins vier Kindern Ümit, Sevda, Peri und Hakan sowie seiner Frau Emine in "Dschinns" jeweils ein eigenes Kapitel. Durch diese grundverschiedenen Charaktere hindurch fächert sich ein Gefühls- und Gesellschaftspanorama auf, das zu Herzen geht.
"Die Arbeit der Vögel": Marica Bodrožić zeichnet Seelenzustände nach
Drei Jahre lang hat Marica Bodrožić an ihrem Buch "Die Arbeit der Vögel" geschrieben. Darin folgt sie dem Weg des jüdischen Philosophen Walter Benjamin an den französisch-spanischen Grenzort Port-Bou, an dem er sich auf der Flucht vor den Nationalsozialisten das Leben nahm. Bodrožić - selbst einst aus Dalamatien nach Deutschland gekommen - versucht, sich in Benjamins Erfahrung von Flucht und Vertreibung einzufühlen. Auch die Schicksale anderer Intellektueller, die im 20. Jahrhundert Gewalt erfuhren, fließen mit ein. "Seelenstenogramme" heißt das Buch im Untertitel - verpackt in eine poetisch-prosaische Sprache. Ein Plädoyer für das Menschliche, das durch den Krieg in der Ukraine eine neue Aktualität erfährt.
Delphine de Vigan: "Die Kinder sind Könige" - über Ausbeutung und Missbrauch
Als sie 17 Jahre alt war, wollte Mélanie in einer Fernsehshow mitmachen, die damals ein Millionenpublikum erreichte. Sie wurde zu einem Casting eingeladen, posierte leicht bekleidet - und aus dubiosen Gründen kam sie in die nächste Runde der Sendung "Loft Story". Der Erfolg von Mélanie in jener Show war damals nicht groß. Aber 18 Jahre später hat sie begriffen, wie man berühmt und reich werden kann: Sie hat inzwischen zwei Kinder, deren Leben sie filmt. Diese kleinen Videos stellt sie ins Internet. Sie hat unglaublich viele Follower und bekommt sehr viel Geld für Werbeblöcke. Doch dann verschwindet ihre Tochter Kimmy spurlos und die Kriminalpolizei nimmt Ermittlungen auf. Delphine de Vigan - eine der kraftvollsten französischen Gegenwartsautorinnen - erzählt, wie Kinder ausgebeutet und missbraucht werden, nicht irgendwo in der Ferne, sondern mitten unter uns.
"Eure Leben, lebt sie alle": Sybille Hein tröstet mit Wahrhaftigkeit
Es ist zwanzig Jahre her, dass ein junger Mann namens Jonas mit seinem Motorrad tödlich verunglückt ist. Vier Freundinnen und seine Mutter trauern in unterschiedlicher Weise um ihn und sind durch ihn miteinander verbunden. Seine Mutter Marianne fürchtet, dass in ihrem alten Kopf, wie sie sagt, Löcher oder schwarze Flecken entstehen. Sie versucht auf ihre Weise, sich Klarheit zu verschaffen. In Sybille Heins Roman "Eure Leben, lebt sie alle" geht es um die fünf Frauen und ihren Umgang mit dem Schicksal. Als Komplizin bekommt man Einblicke in die Alltagsnöte, Geständnisse und Sorgen der Frauen, aus deren Sicht erzählt wird.
"Nebenan": Kristine Bilkaus Roman spielt am Nord-Ostsee-Kanal
Dieses Buch der Hamburger Autorin spielt im Norden - am Nord-Ostsee-Kanal. Dort verschwindet von einem auf den anderen Tag eine Familie spurlos. Die Nachbarn machen sich ihre Gedanken. Gleichzeitig erhält eine Ärztin kurz vor dem Ruhestand Hassbotschaften, nachdem sie zu einem nächtlichen Notfall gerufen wurde. Und eine große Menge Mikroplastik wird angespült.
Es sind viele Themen, die Kristine Bilkau anschneidet. Oft geht es nur um scheinbar kleine Verschiebungen, die jedoch Unwohlsein und Ängste auslösen, hinter denen etwas Größeres steht. In welchen familiären, in welchen gesellschaftlichen Räumen fühlen wir uns (noch) sicher? Wie finden wir zueinander? Nach "Eine Liebe in Gedanken" und "Die Glücklichen" wieder ein leiser, feiner Roman von Kristine Bilkau.
"Müll": Wolf Haas' Kultermittler ist wieder im Einsatz
Die österreichischen Brenner-Krimis sind seit vielen Jahren Kult und werden von den Fans heiß erwartet. Nun ist es also wieder soweit: Simon Brenner ermittelt wieder - zum neunten Mal.
Weil es als Privatermittler nicht optimal läuft, muss sich Brenner seine Brötchen auf der Wiener Müllkippe verdienen. Und stößt dabei auf eine zerstückelte Leiche. Keine Sorge, das ist weniger ekelig als es klingt. Denn Wolf Haas nutzt das Krimi-Genre, um gesellschaftliche Themen anzusprechen. In seinem neuen Buch geht es um Organentnahme. "Müll" ist also kein gewöhnlicher Krimi, sprachlich und thematisch durchaus herausfordernd, aber sehr lohnend - vor allem für die vielen Brenner-Fans!
"Das mangelnde Licht": Vier Freundinnen in den Wirren des georgischen Bürgerkriegs
Es ist bereits der dritte Georgien-Roman der in Tblissi geborenen, seit vielen Jahren in Deutschland wohnenden Autorin Nino Haratischwili. Wieder stehen starke Frauenfiguren im Mittelpunkt, vier Freundinnen, die erwachsen werden in einem durch Bürgerkrieg und Mafia-Banden geprägten Land. Teilweise geht der Riss durch die Familien, Männer haben das Sagen, denen ein Menschenleben oft wenig gilt.
Nino Haratischwili erzählt von Mord, Kälte und Todesangst, von Zwangsverheiratung und Vergewaltigung, aber auch von leidenschaftlicher Liebe, tiefer Freundschaft und Zärtlichkeit. Neben den vier Freundinnen gibt es viele, den Leser:innen nahe kommende, prall gezeichnete Figuren. „Das mangelnde Licht“ ist ein furioser Roman, in dem viel Schatten ist, aber am Ende wird es tatsächlich hell.
"Auf der Straße heißen wir anders": Familiengeschichte zwischen Bremen-Nord und Armenien
Hauptfigur in Laura Cwiertnias Romandebüt ist Karlotta, genannt Karla. Sie wächst in Bremen-Nord auf: Einem ungemütlichen Ort mit vielen Betonbauten, eine sogenannter "Problem-Stadtteil" mit Menschen aus allen Teilen der Welt. Auch Karla hat eine Migrationsgeschichte: Ihre Großmutter kam vor vielen Jahren allein aus Armenien nach Deutschland. Nach dem Tod der Oma begeben sich Karla und ihr Vater Avi auf Spurensuche - in Yerewan, der Hauptstadt Armeniens.
Der Roman wechselt mühelos zwischen den Zeitebenen und erzählt, welche Traumata die Armenier einst zu erleiden hatten. Wie sich das auf eine Familie und auf nachfolgende Generationen auswirkt - das ist ein Thema dieses "fabelhaften, Augen öffnenden Romans" von Laura Cwiertnia.
"Die Nächte der Pest" - neuer Roman von Orhan Pamuk
Das Szenario in Orhan Pamuks neuen Roman mutet seltsam aktuell an: Auf der Insel Minger bricht eine ansteckende Krankheit aus. Damit sie sich nicht weiterverbreitet, wird sie abgeriegelt. Aber die Krankheit heißt nicht Corona und der Roman spielt 1901. Was als Historien-Roman beginnt, bekommt plötzlich krimihafte Züge. Der oberste Gesundheitsinspektor des Osmanischen Reichs, Bonkowski Pascha, wird tot aufgefunden. Nach der Ermordung Bonkowskis kommen andere Abgesandte des Sultans: der Quarantäne-Experte Doktor Nuri und dessen Frau Pakize, die Nichte des Sultans. Sie sollen den Mord aufklären und zugleich die Pest bekämpfen.
"Der Erinnerungsfälscher": Abbas Khiders Hymne auf die Heilkräfte der Literatur
Abbas Khider stellt seinem neuen Buch "Der Erinnerungsfälscher" ein Motto von Klaus Mann voran: "Es ist kein Verlass auf die Erinnerung, und dennoch gibt es keine Wirklichkeit außer der, die wir im Gedächtnis tragen." Seinen Helden Said Al-Wahid schickt er auf eine Reise in die Heimat Bagdad, es muss schnell gehen, denn die Mutter liegt im Sterben. Je näher er seinem Ziel kommt, desto mehr Erinnerungen drängen sich in sein Bewusstsein, an Momente der Kindheit, an die Jahre der Flucht durch arabische Länder, an schwierige Zeiten als Asylbewerber in Deutschland. Doch welche davon sind wahr? Was hat das Gedächtnis aussortiert? Was ist das überhaupt: Erinnerung? Khiders kleines Buch ist eine Hymne auf die Kraft der literarischen Erfindung, auf die Heilkräfte der Literatur.
"Löwenherz": Neuer Teil von Monika Helfers Familiensaga
Die wundersam-märchenhafte Familienerkundung der großen österreichischen Schriftstellerin Monika Helfer geht weiter. Nach "Die Bagage", in dem die 74-Jährige Schriftstellerin die Geschichte der Familie ihrer Mutter erzählt und dem Nachfolgeroman "Vati" erzählt sie in "Löwenherz" nun von ihrem Bruder Richard. Der um sechs Jahre jüngere Bruder der Erzählerin ist ein Lebenskünstler, der dem Abenteuer eines jeden Tages die Arme weit ausbreitet. Der in eine Badewanne steigt, die zufällig am Ufer des Bodensees steht - vielleicht als Tränke für Pferde - sie ins Wasser schiebt und in ihr über den See schippert, vielleicht ja bis zum Rheinfall bei Schaffhausen, das wäre doch mal spannend. Das Badewannen-Abenteuer übersteht er noch glimpflich. Aber die Frau, die ihn aus dem Wasser rettet, wird sein Unglück sein.
"Serge": Yasmina Rezas illusionsloser Blick auf den Menschen
Yasmina Reza lässt in ihrem neuen Roman "Serge" vier Angehörige einer jüdischen Familie, die ohne ein Bewusstsein ihrer Herkunft aufgewachsen sind, nach Auschwitz reisen. Dabei urteilt sie nicht moralisch, sondern wirft einen illusionslosen Blick auf den Menschen. Urkomische Dialoge geben den Ton an. Und weniger die grauenhafte Vergangenheit als die eigene Vergänglichkeit der Protagonisten, das Altern und die Einsamkeit, stehen im Mittelpunkt. Rezensentin Anna Hartwich stellt fest: Eine Erinnerung, die nicht mit einem selbst verbunden ist, muss folgenlos bleiben.
"Zum Paradies": Hanya Yanagihara über Liebe, Schmerz und Freunde
Bereits am 11. Januar ist Hanya Yanagiharas neues Buch "Zum Paradies" erschienen. In den Jahren 1893, 1993 und 2093 spielt der mit Spannung erwartete neue Roman der amerikanischen Autorin und ist so gleichzeitig eine Art historischer Roman und eine Dystopie. Alle drei Romanteile spielen in ihrer eigenen Lebenswelt. Das verbindende Element ist der Handlungsort: Ein Haus in New York am Washington Square. Natürlich geht es aber auch um Liebe, Schmerz und Freunde - wie schon in ihrem Besteller "Ein wenig Leben". Kunstvoll erzählt, aber manchmal nicht leicht zu ertragen.
"Vernichten": Neuer Roman von Michel Houellebecq
Paul Raison ist engster Vertrauter des französischen Wirtschaftsministers Bruno Juge. Der brillante Politiker steht einerseits im Zentrum diffuser Drohszenarien, die eine rätselhafte Gruppe von Cyber-Terroristen im Netz versteckt, andererseits spielt er an der Schwelle zu den Wahlen 2027 eine entscheidende Rolle in den postdemokratischen Überlegungen des scheidenden Präsidenten. Aber nicht nur die Arbeit, auch das Privatleben von Paul Raison ist mit ehelichen Problemen und einem Vater mit Schlaganfall alles andere als einfach. Der neue Roman des Franzosen Michel Houellebecq ist wieder einmal ein Zaubertrank, ein großes Erzählkunstwerk, das im allgemeinen menschlichen Elend doch die Möglichkeit einer Insel aufblitzen lässt. Das Buch ist am 11. Januar bei DuMont erschienen.
"In Flammen": Paul Austers flammende Hommage an US-Autor Stephen Crane
Der 1900 verstorbene US-Autor Stephen Crane ist vor allem bekannt für seinen Bürgerkriegsroman "Die rote Tapferkeitsmedaille", eine Art Pflichtlektüre an US-Schulen. Ernest Hemingway hat ihn bewundert. Schriftsteller Paul Auster hatte ihn in der Schule gelesen und entdeckte das bewegte Leben dieses vergessenen Autors ein halbes Jahrhundert später wieder: Crane war das 14. Kind von Methodisten und war Kriegsreporter. Er hat Lyrik und Novellen geschrieben und in seinen Romanen die Konventionen von Balzac über den Haufen geschmissen. Gestorben ist er mit nur 29 Jahren an Tuberkulose in der Nähe des Schwarzwaldes. Wie Crane stammt auch Paul Auster aus Newark - und hat seinem Landsmann eine flammende 1.200-Seiten umfassende Biografie geschrieben: "In Flammen - Leben und Werk von Stephen Crane". Es ist am 24. Januar bei Rowohlt erschienen.
J. M. G. Le Clézio: "Bretonisches Lied" - Autobiografisches aus der Bretagne
Der Literaturnobelpreisträger Jean-Marie Gustave Le Clézio, geboren 1940 in Nizza, erinnert sich an seine Kindheit und Jugend, vor allem: an die regelmäßigen Familienurlaube in der Bretagne. Aber er besingt nicht nur die berückende Schönheit Nordwestfrankreichs, denn immer mischt sich auch der Krieg in sein Lied und die Angst des Jungen vor den Deutschen.
Jessica Durlacher: "Die Stimme" - Selbstbefreiung einer jungen Frau
Endlich wieder ein neuer Roman von Jessica Durlacher, der kraft- und geheimnisvollen Meistererzählerin aus den Niederlanden! In ihrem neuen Roman geht es um die Selbstbefreiung einer jungen Frau aus den Fesseln der Tradition. Ihre Stimme spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Lize Spit: "Ich bin nicht da" - zweiter Roman um eine Paarbeziehung
Die Autorin (Jahrgang 1988) gilt in ihrer belgischen Heimat als literarische Sensation. Ihr Erstling "Und es schmilzt" stand über ein Jahr auf der Bestsellerliste und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Auch in ihrem zweiten Roman geht es wieder ans Eingemachte: Ein Paar, das mit einer psychischen Erkrankung fertig werden muss, steht im Mittelpunkt. Äußerst packend erzählt!
