Erzählung von Monika Maron: "Bonnie Propeller"
In dieser Geschichte über die Beziehung einer Frau zu ihrem neuen Hund ist kein Aufreger zu finden. "Bonnie Propeller" ist zart und kurzweilig.
Anfang Januar 2020: "Wir wussten noch nichts von Corona", schreibt Monika Maron. Da beschließt die Ich-Erzählerin, ihren gerade erst verstorbenen Hund Momo durch einen neuen zu ersetzen.
Kitschfreie Mensch-Tier-Geschichte
"Natürlich habe auch ich Momo geliebt als den einzigartigen, ganz besonderen Hund, der er war. Gleichzeitig war er aber ein Vertreter aller Hunde, auch aller Tiere, eine Art Institution. Und wenn der Vertreter einer Institution stirbt, der Papst oder ein Staatspräsident oder ein Parteivorsitzender, dann muss er auch sofort ersetzt werden, weil sonst ein ganzes Gefüge in Unordnung geraten kann. In diesem Fall war das Gefüge, das in Unordnung geraten konnte, mein eigenes Leben." Leseprobe
Ein Hund, gezeichnet auf dem Cover, ein weiterer auf einem Foto der Erzählung vorangestellt - keine Sorge: Wer im Vorfeld eine verkitschte Mensch-Tier-Liebesdudelei befürchtet, irrt. Im Gegenteil: Die Erzählung ist trocken, zynisch, echt. Die Protagonistin lernen wir kennen als Pragmatikerin, die uns teilhaben lässt an ihren Macken und Sturheiten.
Der neue Hund kommt aus dem Tierheim
Kaum fehlt ihr Haustier einige Tage, entgleitet ihr jegliche Alltags-Struktur. Mehrmals täglich Füttern, Spazierengehen, Streicheln - alles nicht mehr nötig. Bald schon schlurft sie bis mittags noch unangezogen durch die Zimmer. Aller Antrieb ist dahin - ohne ihr über die Jahre erprobtes "Bündnis von zwei Kreaturen", wie sie es ganz unromantisch nennt:
Ich brauche ein Wesen um mich herum, das nichts anderes ist als Leben, das nichts weiß vom Aufstieg und Niedergang Roms, vom Dreißigjährigen Krieg und von der Shoah, nichts von Platon, Joyce und Kafka, nicht einmal von Konrad Lorenz; ein Lebewesen, das sich nicht für die neuesten Nachrichten interessiert und dem das Wort Zukunft nichts bedeutet. Leseprobe
Eine autofiktionale Geschichte ist es, die Ich-Erzählerin und Monika Maron teilen das Geburtsjahr 1941, das Schreiben, die Sympathie für Vierbeiner. Während die beiden Vorgänger-Hunde stattliche Rüden waren, soll es nun eine Hundedame werden. Die Frau glaubt mit ihrem knapp 80 Jahren, ein Weibchen wäre bei drohendem "Siechtum" leichter zu händeln. Sie wählt: "Propeller" aus einem Tierheim in Ungarn, einen Dackel-Mischling, gefunden in einer Grube im Wald, 18 Monate alt. Einem überzeugenden Internet-Steckbrief sei dank. Die Hündin, die sie bekommt, ist vor allem eins: hässlich.
Die Erzählerin gewöhnt sich an das hässliche Tier
"Am schlimmsten waren die Spaziergänge, wenn ich den Hund gleichzeitig von hinten und von oben sah. Ein überdimensionaler Brustkorb, aus dem übergangslos der hübsche, aber viel zu kleine Kopf wuchs, über den kurzen, krummen Hinterbeinen wölbten sich zwei kamelhöckerähnliche Hüftpolster, alles überwuchert von einem grauschwarzen, stumpfen Fell."
Das Tier ist der Ich-Erzählerin peinlich, sie sagt Freunden und Passanten, sie werde die Hündin wieder abgegeben. Aber - na klar - die anfängliche Enttäuschung weicht freundschaftlicher Zuneigung.
Eine unaufgeregte Erzählung mit vorweihnachtlichem Touch
Eine kleine, feine Erzählung ist es, vorweihnachtlich irgendwie, die passt zu typischen Popkultur- und Märchengeschichten von misswachsenen Weihnachtsbäumen und leuchtreklame-grellen Rentiernasen, die aber im Gegensatz zu manch anderem Advents-Schnulz stets elegant bleibt.
Das vermeintlich Unschöne entpuppt sich als Schatz. Die gewisse Einkehr, um die es geht, die Beschäftigung mit sich selbst, mit dem Gefüge zuhause, trifft die Stimmung des Dezembers - in jedem Jahr, aber 2020 besonders.
"Den Hund verstehen bedeutet auch, das Tier in mir zu verstehen."
Nach der hitzigen Debatte um Monika Maron in den vergangenen Monaten bleibt diese Veröffentlichung angenehm unaufgeregt. Ja: In einer Dresdner Buchhandlung gibt die Ich-Erzählerin eine Lesung - mag sein, dass es die ihrer umstrittenen Verlegerin Susanne Dagen ist. Von pandemie-bedingten Einschränkungen ist die Ich-Erzählerin gernervt, sie spricht dabei vom "Corona-Regime". Wer in dieser Geschichte also einen Aufreger suchen will: bitteschön. Vielmehr ist "Bonnie Propeller" aber zart, kurzweilig, weihnachtsschön.
Bonnie Propeller
- Seitenzahl:
- 64 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Hoffmann und Campe
- Bestellnummer:
- 978-3-455-01161-6
- Preis:
- 15,00 €
