Viele Zufälle ergeben fast einen Freispruch
Markus Thiele ist Rechtsanwalt in Göttingen - und er ist Schriftsteller. Zum Ausgleich, wie er sagt. Dabei hat er in seinem neuen, zweiten Roman "Echo des Schweigens" den Grenzzaun zwischen den beiden Feldern niedergerissen. Das Buch handelt - Bestsellerautoren wie Ferdinand von Schirach und Bernhard Schlink lassen grüßen - von einem Rechtsanwalt und seinem inneren Zwiespalt zwischen Recht und Moral.

Immer mal wieder gibt es Zufälle, von denen man denkt: Das gibt es doch gar nicht! In Markus Thieles "Echo des Schweigens" gibt es davon allerdings so viele, so haarsträubende, dass der Protagonist Hannes Jansen nach 376 Seiten, kurz vor Schluss, zu seiner Freundin Sophie sagt: "Das war doch völliger Unsinn." Und noch bevor wir Leser sagen könnten, "Stimmt!", fährt er fort: "Das kann alles nicht wahr sein. Sophie, sag mir, wer sich so was ausdenkt."
Markus Thiele war es, der sich das ausgedacht hat. Ein Jurist, der es eigentlich wissen müsste. Zunächst fängt seine Exkursion ins Fiktive, das ja manchmal gewinnbringenden Abstand zum real Geschehenen schafft, auch sehr verheißungsvoll an:
Moralempfinden versus Rechtssystem
Der Hamburger Anwalt Hannes Jansen, 43, ein ehrgeiziger, überschuldeter und mäßig sympathischer Aufschneider, könnte Partner in der Kanzlei des hanseatischen Anwalturgesteins Boogs werden. Dazu müsste ihm aber einmal eine echte Sensation vor Gericht gelingen. Zum Beispiel der Freispruch des Polizeibeamten Maik Winkler, der schon mehrfach angeklagt war, im Dienst einen inhaftierten Schwarzen in seiner Zelle angezündet und so ermordet zu haben. Ein neues Brandgutachten belastet ihn schwer. Für den einen Freispruch erwirken? Jansen zeigt Skrupel:
"Winkler hat immerhin einen Menschen getötet."
"Na und, was interessiert uns das? Wir sind keine Richter."
"Aber Menschen."
"Falsch. Wir sind Anwälte."
"Sind Anwälte keine Menschen?"
"Doch. Aber mehr. Menschen wollen Wahrheit."
"Die will ich auch."
"Nein, wollen Sie nicht."
"Was?"
"Sie sind Anwalt. Die Wahrheit muss Ihnen scheißegal sein."
Leseprobe
Es geht um Recht: Recht haben und Recht bekommen, ein Rechtssystem und ein Moralempfinden. Ein tolles Spannungsfeld, zumal ein realer Todesfall dafür Pate steht. Im echten Leben wie im Roman wurde einem diensthabenden Polizisten der Prozess gemacht. Doch bevor die Geschichte und womöglich die Reflexion darüber richtig los- und in die Tiefe gehen könnte, läuft der Anwalt in Berlin durch puren Zufall Sophie in die Arme, 38, Pathologin.
Historischer Bogen mit "Jägermeister"
Eine zweite Geschichte schmuggelt sich parallel in den Blick: angesiedelt in den 1930er- und 40er-Jahren in Braunschweig und Wolfenbüttel, kreisend um eine Unternehmersippe, die leicht als die Familie Mast zu identifizieren ist, die Erfinder des Kräuterlikörs "Jägermeister". Hier aber heißen die rivalisierenden Brüder nicht Mast, sondern Jansen - und da ahnt man schon, dass der heutige Anwalt Hannes Jansen womöglich etwas mit den Jansens der Nazizeit zu tun haben könnte.
Zu viel des Zufalls
Aber es hat ja sowieso immer alles mit allem zu tun - irgendwie. Behauptet zumindest Thieles Roman - und sei es noch so an den Haaren herbeigezogen. Zum Beispiel so: Hannes' Zufallsbekanntschaft Sophie ist nämlich (rein zufällig!) in Hannes' alles entscheidendem Prozess jene Brandgutachterin, die dessen Klienten - den seinerzeit diensthabenden Polizisten Winkler - fast todsicher des Mordes überführt.
Doch wer sich an dieser Stelle schon die Haare raufen möchte, sollte ein paar Seiten lang warten, denn es kommt noch schlimmer: Nicht nur, dass sich die beiden frisch Verliebten plötzlich als erbitterte Prozessgegner entpuppen, nein, sie stellen auch noch fest, dass sie verwandt sind. Das macht am Ende selbst Hannes Jansen fast sprachlos.
"Erst werden wir Gegner in einem Mordprozess, und jetzt bist du auch noch meine ...? Ja, was eigentlich? Das ist doch alles scheiße! Das braucht doch kein Mensch!"
Die Chance, versiert über die Frage von juristischer und moralischer Schuld am Beispiel des Todes eines Andersfarbigen in Deutschland heute zu sinnieren, ist im Schmonzettenhaften fahrlässig vertan. Schade, es hätte interessant werden können.
Echo des Schweigens
- Seitenzahl:
- 408 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Benevento
- Bestellnummer:
- 978-3-710-90091-4
- Preis:
- 22,00 €
