Literaturnobelpreis 2021: Wer bekommt ihn?
Heute wird der Literaturnobelpreis bekanntgegeben und wie immer wird im Vorfeld wild spekuliert und gewettet, wer ihn bekommt. Einschätzungen von Nobelpreisexperte Jan Ehlert.
Um 13 Uhr verkündet die Schwedische Akademie in Stockholm, wer den diesjährigen Literaturnobelpreis bekommt. Im vergangenen Jahr war die Entscheidung für viele eine ziemlich große Überraschung: Der Preis ging an Louise Glück, eine US-amerikanische Dichterin. Und in diesem Jahr? Ein Gespräch mit Jan Ehlert, Gastgeber des NDR Literaturpodcast eat.READ.sleep und Nobelpreisexperte.
Jan, rechnest Du wieder mit einer Überraschung?
Jan Ehlert: Ich würde es mir auf jeden Fall wünschen, dass da heute ein Name fällt, bei dem viele erst einmal sagen werden: Wer ist das denn, nie gehört. Denn der Literaturnobelpreis ist aus meiner Sicht immer noch viel zu sehr auf Europa und Nordamerika konzentriert. Neun der letzten zehn Preisträger kommen aus diesem Kulturkreis. Die Weltliteratur ist aber viel diverser. Autorinnen wie Jamaica Kincaid aus Antigua, Scholastique Mukasonga aus Ruanda oder der Kenianer Ngugi wa Thiong’o gehören seit Jahren in ihren Heimatländern zu den ganz großen Literaten - es würde mich also wirklich freuen, wenn das Nobelpreiskomitee einen von ihnen auszeichnen würde, um eben zu zeigen: Auch diese Stimmen sollten gehört werden. Und die drei genannten sind wirklich allesamt wunderbare Erzähler.
Das Komitee hat in den vergangenen Jahren immer wieder angekündigt, dass man in seinen Entscheidungen diverser werden möchte - und hat sich dann doch für Peter Handke oder Louise Glück entschieden. Daher wird der Preis in diesem Jahr vermutlich wieder nach Europa gehen.
Denkst Du da an jemand bestimmten?
Jan Ehlert: Wenn man den Wettbüros glaubt, dann hat die größten Chancen in diesem Jahr die Französin Annie Ernaux. Sie wäre ohne Frage eine sehr würdige Preisträgerin. 82 Jahre alt ist sie inzwischen und schreibt seit Jahrzehnten in einer sehr nüchternen, distanzierten Sprache an ihrer literarischen Autobiografie. "Die Jahre" war 2008 ein ganz großer Erfolg. Oder auch "Das Ereignis", in dem sie von ihrem Schwangerschaftsabbruch in den 1960er-Jahren erzählt. Ganz eindringliche Bücher. Auch die Russin Ljudmila Ulizkaja zählt zu den Favoritinnen. Eine erklärte Putin-Gegnerin, die für ihre Novelle "Eine Seuche in der Stadt" gerade den Siegfried-Lenz-Preis erhalten hat. Und dann gibt es diejenigen, die immer genannt werden, wenn man über Nobelpreiskandidaten spricht: Der Ungar Péter Nádas, der Rumäne Mircea Cartarescu - also an potentiellen Preisträgern mangelt es nicht.
Der "New Yorker" hat kürzlich auch eine deutsche Autorin auf die Liste der möglichen Kandidatinnen gesetzt: Jenny Erpenbeck, von der gerade der Wenderoman "Kairos" erschienen ist. Für wie wahrscheinlich hältst du das?
Jan Ehlert: Das halte ich dann doch eher für sehr unwahrscheinlich, bei aller Bewunderung für Jenny Erpenbeck. Nein, nach Deutschland wird der Preis in diesem Jahr ziemlich sicher nicht gehen. Aber möglicherweise an eine Autorin mit norddeutscher Geschichte: Hélène Cixous, Französin, die einige Bücher über Osnabrück geschrieben hat. Denn hier ist ihre Mutter geboren, die als Jüdin vor den Nationalsozialisten geflohen ist. Hier haben ihre Großeltern gelebt. Und Cixous, die übrigens das erste feministische Institut Europas gründete, wird bei den Buchmachern auch als eine der Favoritinnen gehandelt. Die Chancen stehen also gar nicht schlecht.
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