Kathrin Dittmer, Leiterin des Literaturhauses Hannover © Thomas Preikschat Foto: Thomas Preikschat

Literaturhaus Hannover: Keine Langeweile für Leiterin Kathrin Dittmer

Stand: 06.08.2022 14:14 Uhr

Kathrin Dittmer ist die Leiterin und das Gesicht des Literaturhauses in Hannover. Alles, was in der deutschsprachigen Literaturszene Rang und Namen hat, gibt sich bei ihr die Klinke in die Hand.

von Anina Pommerenke

Als Arbeiterkind hatte es die gebürtige Hannoveranerin und studierte Politikwissenschaftlerin schwer, einen Einstieg zu finden: "Ich glaube, dass neben der Geschlechterfrage Herkunft bei Jobs in der Kultur eine enorme Rolle gespielt hat und womöglich noch spielt." Sie selbst habe am ehesten eine Chance in der freien Szene gehabt, denn dort fange man oft bei null an - ohne etablierte Strukturen, reflektiert Dittmer ihren Werdegang. Bei vielen Einrichtungen und ihrem Klientel sei ein gutbürgerlicher Hintergrund immer noch die Regel. Wohingegen es im Umgang mit den Künstlerinnen und Künstlern keine Rolle spiele.

Dittmer ist in einem geburtenstarken Jahrgang zur Welt gekommen, teilweise sei sie mit 35 Kindern in einer Klasse gewesen. "Das kann man sich ja heute gar nicht mehr vorstellen!" Auch das habe die Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht unbedingt leichter gemacht. Sie habe nach dem Studium lange nach einer Stelle gesucht, zunächst etwas in der Öffentlichkeitsarbeit bei der Denkmalpflege gefunden, aber auch mal in einer Schleifmittelfabrik gearbeitet, erinnert sich Dittmer zurück. "Ich habe mich dann im Bereich Kulturmanagement weitergebildet und auch schon bald den Einstieg beim Literaturhaus gehabt, das damals noch Literaturbüro Hannover hieß." Zunächst habe sie sich ganz allein um den Betrieb gekümmert. Das war 1994.

Weg zur Leiterin des Literaturhauses in Hannover

Den Zugang zur beziehungsweise die Leidenschaft für die Literatur hat die heute 60-Jährige aber schon viel früher entdeckt: "Ich habe schon als Kind viel lieber gelesen, als irgendetwas anderes zu machen. Ich war Abteilung Stubenhocker!" Sie erinnert sich auch daran, dass es in ihrer Kindheit sehr viele gute Bücher gab, was in ihrem Umfeld im sozialen Wohnungsbau keineswegs eine Selbstverständlichkeit war. Ihre Mutter, die vier Kinder nach einem tödlichen Unfall des Vaters alleine großziehen musste, habe einen guten Literaturgeschmack gehabt. Doch schnell reichte das Angebot an internationalen Kinder- und Jugendbüchern nicht mehr. So habe sie im Bücherregal ihrer Mutter nach neuem Stoff gesucht. "Und dann habe ich solche komischen Sachen gefunden: Victor Hugo - Die 'Elenndenn' ein 'Roh-mann' - was ist das denn?", lacht Dittmer, wenn sie an ihre ersten Begegnungen mit der Weltliteratur zurückdenkt.

In ihrer Familie sei ihre Generation die erste gewesen, die überhaupt weiterführende Abschlüsse gemacht habe. Studieren konnte sie nur, weil es entsprechende staatliche Förderung gab. "Das ist auch eine sehr bundesrepublikanische Geschichte! Ich bin die Tochter von Kriegskindern, die konnten dann in der Bundesrepublik für ihre Kinder ganz andere Bildungschancen vorfinden, als sie selber hatten."

Als elitär habe sie die Kulturwelt jedoch nie wahrgenommen und schnell einen eigenen Zugang gefunden. "Man muss auch ziemlich zupacken können und es ist immer so unsexy, über die Finanzen zu sprechen, aber die müssen natürlich auch stimmen. Immerhin bin ich die Tochter einer Buchhalterin", schmunzelt Dittmer. Und anpacken und Finanzen - das sei bis heute ihr Ding.

Dass sie sich auch knapp drei Dekaden später noch leidenschaftlich gerne für die Interessen des Literaturhauses stark macht, wird im Gespräch schnell deutlich: "Dieser Bereich der freien Trägerschaften, das sind ja Vereine. Und dann bemüht man sich eben für diese Arbeit, die man machen möchte, Mittel zu bekommen, um unsere Konzepte vernünftig umzusetzen!" Das sei auch immer ein Kampf, berichtet Dittmer. Daher seien auch unheimlich viele Menschen in diesem Bereich sehr engagiert. "Jetzt will ich mich nicht selber loben, aber man braucht dafür schon Durchhaltevermögen." Und "Schwupps" seien dann auch schnell mal viele Jahre um.

Für Kathrin Dittmers Arbeit braucht man Durchhaltevermögen

Im Laufe der Zeit habe sich im Hause einiges verändert - so konnte Dittmer mit Unterstützung der jeweiligen Vorstandsmitglieder das Haus so etablieren, dass es eine institutionelle Förderung vom Land und von der Stadt bekommt. Neben Dittmers gebe es seither eine weitere Stelle, die im Moment auf zwei Mitarbeiterinnen, also zwei halbe Stellen, aufgeteilt sei.

In vielen anderen Literaturhäusern in Niedersachsen hingegen würde man sonst auch noch die typischen Einzelkämpferinnen finden. Dass man in ihrer Branche viele Frauen finde, kann Dittmer nur sarkastisch kommentieren: "Das ist ja auch schlecht bezahlt!" Viele Frauen würden in ihrer Sparte zudem in die Teilzeitfalle tappen und nur wenige in Führungspositionen ankommen. Wobei Hannover mit Frauen an der Spitze von Theater, Oper und dem Landesmuseum sogar noch gut dastehe.

Für Dittmer steht grundsätzlich im Vordergrund ihrer Arbeit, den Menschen nahezubringen, sich damit auseinanderzusetzen, was in sehr guter Qualität geschrieben wird. "Böse gesprochen habe ich manchmal den Eindruck, dass es weltweit mehr Leute gibt, die schreiben, als die lesen." Sie will dafür werben, Texte wahrzunehmen und sich mit Sprache und Inhalten, egal welcher Gattung, auseinanderzusetzen. Dass dies nicht immer nur leicht und rosig ist, weiß Dittmer genau. Mal sei nicht so viel los, dann werde ihr die Bude quasi eingerannt, unabhängig davon, welche Autorinnen und Autoren sie einlade. Gerade 2019 habe sie ein absolutes Höhenflug-Jahr verzeichnen können, umso heftiger sei dann der Absturz im Corona-Jahr 2020 gewesen.

"Das baut sich jetzt hoffentlich langsam wieder auf", so Dittmers vorsichtige Hoffnung. Immerhin verfüge die Stadt Hannover über ein vielseitiges Angebot an der Literatur-Front: Buchhandlungen veranstalten Lesungen, im Pavillon finden entsprechende Veranstaltungen statt - und dann gebe es noch den literarischen Salon an der Uni. Auch wenn alle durchaus etwas unterschiedliche Schwerpunkte setzen, stehe sie nicht unbedingt alleine mit ihrem Angebot da.

Bald wird das 30. Dienstjubiläum gefeiert

Besonders wichtig ist Dittmer daher die Mini-Messe, die sie jedes Jahr mit unabhängigen Verlagen organisiert. Außerdem biete das Haus ein Stipendium für verfolgte Autor*innen an, die in ihren Heimatländern unter diversen Repressalien zu leiden haben. Das Stipendium soll ihnen eine Auszeit bieten, sodass sie unbehelligt schreiben können. Aktuell habe sie viel damit zu tun, nach dem Einbruch durch die Pandemie den Betrieb wieder in Gang zu kriegen und die finanzielle Lage zu stabilisieren. Dabei wolle sie auch verstärkt auf digitale Angebote setzen.

Besonders begeistert erzählt Dittmer auch von dem Format "30X - Eine Stadt erzählen." Dabei hatte das Haus zehn Autorinnen und Autoren gebeten, aus Interviews literarische Texte zu machen. Die Interviews hatten Studierende der Hochschule Hannover mit 'normalen' Leuten aus Hannover geführt, unter anderem bei einem Hutmacher, in einer Fleischerei und in einem Hochhaus. "Da müssen wir sehen, ob wir eine Fortsetzung finden."

Außerdem wolle sie einen Nachfolger für ein Lyrikfest entwickeln, das immerhin zehn Jahre lang am Haus Bestand hatte, und natürlich auch alles, was sich bewährt habe, weiterführen. Bei so vielen Projekten und Aufgaben steht wohl eins fest: Auch wenn Kathrin Dittmer bald ihr 30. Dienstjubiläum im Literaturhaus Hannover feiern darf, wird es ihr so schnell nicht langweilig werden.

 

Weitere Informationen
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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassikboulevard | 30.07.2022 | 14:20 Uhr

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