Gregor Sander © picture alliance/dpa Foto: Christophe Gateau

Gründung von PEN Berlin: "Der Wunsch nach einem Neustart war groß"

Stand: 10.06.2022 16:02 Uhr

Eine alternative Schriftstellervereinigung, der PEN Berlin, ist heute entstanden. 231 Schriftstellerinen und Schriftsteller sind zur Gründung zusammengekommen, unter ihnen der Autor Gregor Sander.

Herr Sander, warum haben Sie sich entschieden, bei der neuen Vereinigung PEN Berlin mitzumachen?

Gregor Sander: Ich war in Gotha dabei. Ich bin erst seit über einem Jahr im PEN Deutschland Mitglied gewesen und habe die Gelegenheit genutzt, zur Tagung in Gotha zu fahren, um mir das anzugucken. Ich war, wie viele andere, entsetzt, was da abgelaufen ist. Ich habe dann davon gehört, dass dieser PEN Berlin gegründet werden soll, habe mich ein bisschen informiert und war sehr einverstanden damit und auch bereit, den mitzugründen.

Und hatten Sie das Gefühl, dass sich die Gräben im PEN Deutschland überhaupt nicht mehr zuschütten ließen?

Sander: Ja und ich hatte das Gefühl, dass ein Neustart der ganzen Sache vielleicht ganz gut tun würde. Manche Sachen sind eben nicht zu kitten und manchmal muss man einfach sagen: Okay, dann fangen wir eben von vorn an. Es ging ja offensichtlich nicht nur mir so, sondern es ging vielen anderen Leuten auch so. Ich würde schätzen, dass heute im Literaturhaus in Berlin mindestens 100 körperlich anwesend waren und noch etliche per "Zoom". Das zeigt doch das, dass der Wunsch nach einem Neustart groß war.

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Wie würden Sie die Atmosphäre im Literaturhaus beschreiben?

Sander: Es war aufgeregt. Es war eine positive Aufbruchstimmung. Vor vier Wochen war erst die PEN-Tagung in Gotha und heute gibt es schon die Neugründung - da musste ganz schön gerudert werden. Diese Stimmung hat sich auf das Publikum übertragen. Ich fand, dass es im Publikum noch ganz schön männlich war, aber in "Zoom" wurde es dann auch weiblicher und diverser. Es war eine total aufregende und aufgeregte Stimmung.

Wie können Sie charakterisieren, an welcher Grenze entlang sich das jetzt aufsplittet? Sind das die Großstädter, sind das die Jüngeren, sind das die Woken, die das Ganze diverser gestalten wollen?

Sander: Das ist eine gute Frage. Man muss erst mal sehen, wer jetzt noch dazukommt. Es sind jetzt schon knapp über 200. Es sind welche, die nicht nur aus Berlin stammen, sondern auch aus anderen Städten. Es geht vor allem gar nicht um uns - das ist ja das Wichtige. Wir alle müssen uns zurücknehmen, es geht um die verfolgten Autorinnen und Autoren aus aller Welt. Wir sind nur die, die denen ein Exil ermöglichen wollen. Wir schaffen hier eine Basis, und wir sind eigentlich alle gar nicht so wichtig. Das war mir auch wichtig und das wurde heute auch betont. Ich hoffe, dass wir sehr unterschiedliche Meinungen haben, dass wir meinungsmäßig ein breites Spektrum abbilden, damit wir möglichst viele ins Boot kriegen.

Was wollen Sie anders machen als der PEN Deutschland?

Sander: Ich habe keine Ahnung, ich kann Ihnen das so genau auch nicht sagen. Ich glaube, der PEN Deutschland ist in Gotha vor die Wand gefahren, und zwar richtig krachend. In den Kommentaren danach wurde gesagt, dass er sich davon nicht so leicht erholen wird - und das glaube ich ehrlich gesagt auch. Ich hoffe, dass wir anders miteinander umgehen werden, dass wir andere Meinungen aushalten. Der PEN ist jetzt schon geöffnet worden für Autoren, die auf Deutsch schreiben, aber auch für Autoren, die in Deutschland leben. Ich hoffe, das wir breiter, offener und freundlicher werden.

Die Fördergelder für Writers in Exile gehen weiterhin erst einmal an den PEN Deutschland. Wie wird das PEN Berlin neu aufsetzen können?

Sander: Das ist eine gute Frage - den PEN Berlin gibt es ja noch gar nicht. Wir sind jetzt gegründet, und dann muss der Verein eingetragen werden - das ist alles in Deutschland nicht ganz so einfach. Aber da sind wir auf einem guten Weg. Im November wird es die eigentliche Versammlung geben, wo der PEN Berlin auch sein Wort richtig wählt. Das ist jetzt alles nur übergangsweise. Ich glaube, wir haben noch nicht mal ein Büro. Das sind alles erst einmal Dinge, die geklärt werden müssen. Und dann geht es sicherlich irgendwann auch um die Gelder. Das sind öffentliche Gelder und wer die dann verteilen darf, das werden wir sehen. Konkurrenz belebt das Geschäft und ich hoffe, wir machen ein gutes Angebot.

Ich war noch nie bei einer Vereinsgründung dabei. Wie lief das ab?

Sander: Ich war auch noch nie bei einer Vereinsgründung dabei. Das muss man sich relativ trocken und nüchtern vorstellen. Auch wenn die Stimmung im Saal sehr gut war, wurde einfach die Satzung von einer Juristin verlesen, die sich ehrenamtlich zur Verfügung gestellt hat und deren Gebiet das auch ist. Die hat kurz erklärt, worum es geht, wie groß zum Beispiel das Board sein kann, wie man eintritt, wie man austritt, woher die Gelder kommen. Das war alles sehr prosaisch und absolut nicht aufregend. Aber das ist eben notwendig und das unterscheidet sich wahrscheinlich auch nicht von jedem anderen Verein, der in Deutschland gegründet wird.

War da schon Platz für irgendetwas Inhaltliches, für Diskussionen, fürs Äußern von Wünschen?

Sander: Wenig, aber es wurden gute Sachen vorgeschlagen. Bei der Satzung wurde zum Beispiel vieles vom PEN Deutschland oder von PEN International übernommen. Der Verein wurde nicht komplett neu erfunden. Was ich zum Beispiel gut finde, ist, dass man nicht mehr zwei Bürgen braucht, um in den PEN zu kommen. Dass man so etwas abschafft, finde ich sehr gut.

Wie finden Sie den Namen PEN Berlin? Einerseits ist das ein Magnet für Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus aller Welt. Andererseits könnte man auch denken: Das sind jetzt die Urbanen, die Coolen.

Sander: Es ist ja nicht schlimm, urban und cool zu sein, oder?

Es könnte auch Menschen abschrecken.

Sander: Das kann gut sein, dass es Menschen abschreckt. Aber dann hätten wir uns PEN Posemuckel nennen sollen - ich glaube, das wäre nicht besser gewesen. Ich glaube, Berlin steht für eine Offenheit, für eine Freiheit und auch für eine freie Meinungsäußerung. Berlin war lange geteilt, ist jetzt wieder vereint. Es gibt ein Ost und West in Berlin, was vielleicht auch ganz wichtig ist. Wir haben eine Mauer überwunden und ich glaube, das steht als Symbol ganz gut da.

Das Interview führte Ocke Bandixen.

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NDR Kultur | Journal | 10.06.2022 | 16:15 Uhr

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