"Fleisch ist mir nicht Wurst": Ein Metzgerssohn berichtet
Fleisch darf nicht an den "Körper" erinnern, sondern existiert "am besten" nur verarbeitet. Der Journalist Klaus Reichert hat dazu ein Buch veröffentlicht: "Fleisch ist mir nicht Wurst". Er plädiert darin für einen bewussten und verantwortungsvollen Umgang.
Zwei Brüder: Klaus und Thomas Reichert. Der eine ist Metzgermeister, der andere ist Radio-Moderator beim Hessischen Rundfunk und Autor. Beide sind in eine Metzgerfamilie hineingeboren und beiden ist Fleisch ein Lebensthema.
Wie achtlos wir damit heute oft umgehen, hat Klaus Reichert dazu gebracht, ein Buch zu schreiben: "Fleisch ist mir nicht Wurst". Eine autobiografische Erzählung und ein Appell für bewussten Tierverzehr. Denn Fleischessen sei Teil unserer Natur. Das tatsächlich alle darauf verzichten, hält er für unrealistisch: "Wir essen allein in Deutschland 700 Millionen Tiere. Das ist eine unvorstellbare Zahl. Dann hinzugehen und das in Frage zu stellen und zu sagen: Wir dürfen das nicht mehr, das ist eine komplette Illusion, sondern wir müssen einen vernünftigen Weg finden, wie wir damit umgehen. Wir müssen einen vernünftigen Weg finden, die Tiere zu schützen. Wir müssen einen vernünftigen Weg finden, dass wirklich die Gesellschaft da hinguckt, weil das Problem für die Leute ist, dass die Tiere getötet werden. Davon wollen wir nichts wissen. Und damit fängt es an. Und ja, das ist die Basis des Metzgerberufes."
Klassisches Metzger-Handwerk stirbt langsam aus
Ein Handwerk, für das Thomas Reichert eine Leidenschaft entwickelt hat. Den Metzgereibetrieb führt er heute in dritter Generation, gegründet hat ihn sein Opa Hans. Die Brüder erinnern sich an einen Besuch bei der Dorfverwandtschaft: Der Vater schlachtet ein Schwein. Für die Jungs ein Schock, für das Dorf ein Fest, denn es kommt Fleisch auf den Teller.
Das Wurstmachen bei den Reicherts ist Knochenarbeit - und Berufung. Die beiden Buben Klaus und Thomas lernen es früh zu wertschätzen. Mit dieser Metzger-Tradition hat die Familie nicht gebrochen. Doch das klassische Handwerk stirbt langsam aus. Und das hat Folgen, erzählt Klaus Reichert: "Es gibt 12.000 in Deutschland, 7.000 Filial-Betriebe, noch. Das ist nichts im Vergleich vor 30, 40 Jahren. Da gab es noch an jeder Ecke Metzger."
Genauer Blick hinter die Fleischtheke
Heute geht man zum Supermarkt. Alles steril und grammgenau abgepackt. Fleisch darf nicht an Körper erinnern. Wir wollen es preisgünstig haben, gleichzeitig aber nachhaltig erzeugt und am besten aus der Region! Geht das überhaupt? Klaus Reichert meint: "Wie kann ich denn Fleisch regional erzeugen, wenn ich keinen Schlachthof hier in der Nähe habe? Also damit fängt es doch schon mal an, dass dieses Geschwafel um dieses Thema im Grunde eine absolute Verlogenheit darstellt. Ich kann nur Fleisch tatsächlich hier in irgendwelchen Läden verkaufen, wenn ich die Möglichkeit habe, hier zu schlachten. Die Wahrheit ist doch die: 80 Prozent des Fleisches, was in Deutschland gegessen wird, wird in acht großen Schlachtfabriken geschlachtet."
Würden wir es aushalten, das Tier hinter dem Steak beim Sterben zu sehen? Oder würden wir massenhaft zum "Vegetariertum" überwandern? Mit vollem Bauch bleibt die Frage ein moralisches Gedankenspiel, sagt Thomas Reichert. Sein Bruder Klaus fügt an: "Ich bin sowieso der Meinung, dass jeder, der Fleisch isst, einmal beim Schlachten dabei gewesen sein sollte. Das ist etwas, was man mal gesehen haben sollte. Was es bedeutet, wenn ein Tier stirbt." Und Thomas Reichert ergänzt: "Wenn Wertschätzung da sein soll, dann beginnt es damit zu erkennen, das war ein Lebewesen und dieses Lebewesen verdient Mitgefühl, dieses Lebewesen verdient, das es als solches wahrgenommen wird. Diesem Lebewesen kann ich nicht ersparen, dass es geschlachtet wurde. Aber auch dieser Teil des Prozesses muss auf eine Art und Weise passieren, dass das eben keine Qual erzeugt und dass wir ordentlich damit umgehen."
Der Mensch und das Nutztier - seit Jahrtausenden lässt sich diese Verbindung zurückverfolgen. Aber noch nie war der Mensch dem Tier so fern wie heute. Ein achtsamer Blick hinter die Fleischtheke könnte das wieder gerade rücken.