Entspannt und nachdenklich: Yasmina Reza stellt "Serge" vor
Im Hamburger St. Pauli Theater hat die französische Autorin Yasmina Reza ihren neuen Roman "Serge" vorgestellt. Dabei hat sie auch über ihre Familie, Auschwitz und die Erinnerungskultur gesprochen.
Sie war nicht zum ersten Mal in Hamburg, aber diesmal habe sie die Stadt bei einem Spaziergang an der Außenalster ganz anders erlebt, erzählte Yasmina Reza. "Ich hatte den Eindruck von einer Stadt, die heute viel mehr Kopenhagen gleicht und der Offenheit dort", so die Autorin. "Hamburg ist eine Stadt, die ich sehr schön finde und sehr geheimnisvoll."
"Serge": das persönlichste Buch von Yasmina Reza
Das Schmunzeln im Publikum war nicht zu überhören. Rezas Spezialität sind bitterböse Beziehungsgeschichten, federleicht und mit viel Witz verpackt. Im Mittelpunkt stehen gut situierte Großstadtbürger, deren Marotten sie aufs Korn nimmt. In ihrem neuen Roman "Serge" gibt es auch diese Szenen, aber diesmal geht es im Kern um Tod und Leben und die Geschichte einer jüdischen Familie in Paris, um die Geschwister Popper und ihren Anhang.
"Serge" ist das persönlichste Buch der Schriftstellerin, in das auch viel Autobiografisches eingeflossen ist, wie sie am Sonnabend im St. Pauli Theater bei der Veranstaltung vom Literaturhaus Hamburg erzählte. Auch Reza stammt aus einer jüdischen Familie mit ungarisch-russisch-iranischen Wurzeln. Und auch bei ihnen zu Hause wurde nicht über die Vergangenheit der Eltern und den Holocaust gesprochen.
"Die Vergangenheit ist vergangen"
"Zwei, drei Mal habe ich meine Mutter nach der Vergangenheit gefragt - sie hat in Budapest gelebt und ich habe sie gebeten, mir ein bisschen davon zu erzählen", so Reza. "Sie meinte: Ach nein, das ist langweilig, die Vergangenheit ist vergangen. Das war die Philosophie: die Vergangenheit ist vergangen."
In ihrem neuen Roman bricht erst die Enkelgeneration mit dieser Philosophie. Nach dem Tod der Großmutter ist es Joséphine, die Tochter der titelgebenden Figur Serge, die der Familie vorschlägt, gemeinsam nach Auschwitz zu fahren. Von dieser Reise erzählt Reza - verstörend, aber auch voller Komik. Sie idealisiert nichts, sie erzählt von Menschen und ihren Widersprüchen und Schwierigkeiten, sich an diesem Ort des Schreckens zu "verhalten". Darf man dort lachen? Streiten? Oder sich langweilen?
Gedenken in Auschwitz: "An was soll ich mich erinnern?"
Yasmina Reza zeigte sich bei dem Auftritt gestern in Hamburg von ihrer charmanten, geduldigen Seite. Was sicher auch daran lag, dass ihr Verleger, Jo Lendle, für den erkrankten NDR Kultur-Redakteur Alexander Solloch als Moderator eingesprungen war. Denn Journalisten watscht die Französin bei unliebsamen Fragen mitunter ab. So erlebte das Publikum eine entspannte und nachdenkliche Autorin, sie sich auch mit der Frage der Erinnerungskultur auseinandergesetzt hat: "Wenn man nach Auschwitz fährt, steht da überall: Erinnere dich! Erinnere dich! Aber an was soll ich mich erinnern? Die Menschen, die Auschwitz besuchen, waren damals nicht dabei. Es wäre besser zu schreiben: Lernt daraus."
Reza weiß natürlich, dass dies in Deutschland, im Land der Täter, ein besonders sensibles Thema ist. Aber sie habe Angst vor dem Zwang zur Erinnerung, vor dieser verordneten Erinnerung, bekannte sie. Denn allein die Erinnerung an Auschwitz würde niemanden zu einem besseren Menschen machen und verhindern, dass sich diese Verbrechen wiederholen.
Großes Andrang am Signiertisch im St. Pauli Theater
Beim Publikum kommt der Abend gut an - nur hätten viele Reza gerne mehr lesen gehört. Die Französischkundigen mussten sich mit einer Passage begnügen, für die anderen las der Schauspieler Peter Jordan zwei Abschnitte aus der famosen Übersetzung von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel. Aber offenbar genügte es, um Interesse an dem Roman zu wecken. Viele kauften sich das Buch und ließen es sich von der Autorin signieren. Sie hatte jedenfalls fleißig zu tun und musste zwei Warteschlangen abarbeiten, bevor es hinaus auf den Hamburger Kiez ging, wo auf der Reeperbahn das Leben tobte.