Die Schriftstellerin Christa Wolf: Eine umstrittene Mahnerin
Am 1. Dezember 2011 ist Christa Wolf gestorben. Die 1929 in Landsberg an der Warthe geborene Schriftstellerin eckte an - in Ost und West. Anna Hartwich geht der Frage nach: Was bleibt von Christa Wolf heute?
Christa Wolf war Trägerin zahlreicher Preise in Ost und West, darunter des Nationalpreises 1. Klasse der DDR, des Georg-Büchner-Preises, des Geschwister-Scholl-Preises und des italienischen Premio Mondello. Sie hinterließ ein umfangreiches Werk, darunter "Der geteilte Himmel", "Kindheitsmuster", "Kassandra" und "Störfall". Ihre Bücher konnten in der DDR teilweise nur in kleiner Auflage erscheinen. Nach der Wende, im vereinten Deutschland, löste vor allem der Band "Was bleibt" einen Literaturstreit in den Feuilletons aus.
Vorwürfe aus Ost und West
Das Denken, die Hoffnung, der Apparat, der Horizont - in einer kurzen Passage aus ihrem Buch "Was bleibt" von 1990 finden sich vier zentrale Begriffe, die das Werk von Christa Wolf durchziehen. Umstritten war sie immer: In der DDR lag sie jahrzehntelang im Clinch mit dem Machtapparat der SED. Nach der Wende, die sie willkommen hieß, handelte sie sich den Vorwurf ein, zu lange an der Idee der Reform des Sozialismus festgehalten zu haben, "IM Margarete" für die Stasi gewesen zu sein. Noch bei ihrer Trauerfeier zitierte der Dramatiker Volker Braun - auch er 1989 ein Befürworter des "Dritten Weges" - in seiner Rede den Hauptvorwurf: "Man warf ihr das Hierbleiben vor, die doch so weit fortging, bis in die Mythenwelt, in uralte Geschichte, an die Wurzeln des Unglücks, auf den Grund."
Hat sie wirklich zu jeder großen Katastrophe in der DDR-Geschichte punktgenau ein Buch geschrieben? Dagegen wehrte sie sich, zum Beispiel bezüglich ihres Erstlings "Der geteilte Himmel". "Den hatte ich ja angefangen, ehe es den Mauerbau gab. Mitten in der Arbeit '61, da schrieb ich schon an dem Buch und mein Lebensgefühl hat den Mauerbau in das Buch integriert."
Seismographin für politische Ereignisse
Eine Seismographin war Christa Wolf für gesellschaftliche und politische Ereignisse, wobei sie ihre "Ortlosigkeit" als Ort zu akzeptieren gelernt hat, geprägt von der Erfahrung der kritischen Intellektuellen in der DDR. Man sehe von diesem Nicht-Ort besser, fand sie. Mit großem Ernst hat sie sich stets mit den Vorgaben der SED, deren Mitglied sie lange war, auseinandergesetzt. Die Hoffnung, die sozialistische Gesellschaft zu einem besseren Ort zu machen, verließ sie nie.
Für alles habe sie sich verantwortlich gefühlt - und dieses Gefühl sei seit der Wende nicht mehr da. Eine Erleichterung, das schon, aber: "Wenn ich den jetzigen Zustand der Welt betrachte, dann kommt es mir so vor, als ob wir uns wie die Lemminge auf ein nicht vorhandenes Ziel hin bewegen - und zwar immer schneller, immer schneller. Das ist ja auch unsere erklärte Absicht, immer schneller zu werden, immer mehr zu produzieren. Wir werden unter Umständen alle in diesen Abgrund hinabstürzen, auf den wir uns beinahe bewusstlos zubewegen. Sehr ungern gebe ich Prophezeiungen von mir, die ungut sind."
DDR nicht pauschal als "Unrechtsstaat" abkanzeln
Christa Wolfs Worte von 1989 sind heute beklemmend aktuell: Die Lemminge, das sind wir. Sie wollte keine Kassandra sein und musste doch immer wieder warnen. Wollte die DDR nicht pauschal als "Unrechtsstaat" abgekanzelt sehen, sondern das Gute daran bewahren. Die Mystifizierung der Marktwirtschaft war ihr unheimlich. Den Abbau des Staates, in den sie so viel Hoffnung gesetzt hatte, empfand sie am eigenen Leib: "Ich werde und will das körperliche Gefühl nicht vergessen, Stück für Stück, Glied für Glied, ausgewechselt zu werden, gegen eine andere Person, die in die Medien passte. Und dort, wo ich eigentlich war, eine Leerstelle entstehen zu sehen."
Diese Leerstelle bleibt, auch zehn Jahre nach ihrem Tod. Ihre Mahnungen, sie fehlen. Die Seismographin ist nicht mehr da, um zu stören: Ihre Stimme fehlt.
