"Bad Regina": David Schalkos bitterböser Roman
In seinem Heimatland Österreich ist der in Wien lebende Schriftsteller David Schalko ein Star. Nun erscheint sein neuer Roman: "Bad Regina".
David Schalko ist in Österreich nicht nur als Schrifsteller sondern auch als Regisseur von Filmen und Serien bekannt. 2019 wurde David Schalkos Mini-Serie "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" - ein Remake von Fritz Langs berühmtem Film - erstausgestrahlt. In der märchenhaften Erzählung "Weiße Nacht" setzte sich der 1973 geborene Autor mit dem Rechtsruck in Österreich auseinander. In dem Roman "Knoi" beleuchtete er komplexe Beziehungsstrukturen, in seinem zuletzt erschienenen Bestseller "Schwere Knochen" zog er mit literarischen Mitteln Verbindungslinien zwischen dem Nationalsozialismus und der Unterwelt.
"Bad Regina" ist ein sterbender Ort
Heute war es still. Hätte man eine Bombe auf Bad Regina geworfen, es hätte nichts geändert. Was war bloß passiert? War es der Hochmut, der ihnen zum Verhängnis wurde? War es die Arroganz, die man schon den Häusern ansah? Wie Messer steckten sie in den steilen Bergwänden. Das Tal wie eine tiefe Schnittwunde. Der rauschende Wasserfall ein Aderlass, der die letzten Lebensenergien ausleitete. Tatenlos sahen sich alle beim eigenen Verschwinden zu. Leseprobe
Nur noch 46 Menschen bewohnen den ehemals mondänen Kurort Bad Regina in den österreichischen Alpen. Seit Jahrzehnten stehen das Casino, das noble Grand Hotel, das Bad und die Kurklinik leer: Alle Gebäude verfallen. Die dort ausharrenden Bewohner huschen wie Gespenster in ihrer Geisterstadt umher, in der nur noch ein Hotel und eine Schänke für Abwechslung sorgen. Bad Regina ist ein verlorener Ort, der fast nur noch für abenteuerlustige "Lost Places"- Touristen eine Attraktion darstellt. Allerdings nicht ganz - denn ein Chinese kauft den Ort auf. Haus für Haus. Doch am Wiederaufblühen von Bad Regina scheint er nicht interessiert zu sein:
Es lag ein Fluch über Bad Regina. Und dieser Fluch hieß Chen. Niemand von den Verbliebenen kannte ihn. Niemand wusste, was er vorhatte. Aber alle nahmen sein Angebot an. Irgendwann stand er bei jedem vor der Tür.
Othmar hatte sich darauf vorbereitet. Hatte sich jeden Tag einen anderen Satz zurechtgelegt, mit dem er den Verkauf seiner Wohnung ablehnen würde. Aber Chen kam nicht.
Leseprobe
Urkomischer Roman mit skurrilen Charakteren
Der Protagonist Othmar ist eine typische David-Schalko-Figur: Der Schriftsteller hat eine Vorliebe für vom Leben gezeichnete, verschrobene Charaktere. Als ehemaliger Betreiber eines erfolgreichen Partyclubs in Bad Regina lebt der nunmehr verlotterte Othmar mit seinem querschnittsgelähmten und geistig behinderten Ex-DJ zusammen und fühlt sich für dessen Ski-Unfall verantwortlich. Othmar liebt Selma, hat trotzdem keinen Plan von nichts und erlangt am Ende des Romans irgendwie doch einen kleinen Triumph, was er selbst jedoch gar nicht zu bemerken scheint: "Wenn man weiß, dass man nichts weiß, woher weiß man dann, dass man nichts weiß."
David Schalko hat einen urkomischen, beeindruckend auf den Punkt gebrachten und filmisch erzähltem Roman geschrieben. Darin geht es um das Verschwinden von individueller und kollektiver Geschichte und Identität. Beides kommt aber nicht einfach von selbst abhanden, sondern ist das Resultat einer fatalen Nachlässigkeit, die alle Ortsansässigen von Bad Regina vorweisen. Deren Nicht-Wissen-Können oder -Wollen und die Unlust, Dinge zu hinterfragen, stellt eine verhängnisvolle Schlamperei dar, die allen Bewohnern von Bad Regina um die Ohren fliegt.
In Österreich ist alles vermodert. Selbst der Humor. Der ja keiner ist. Selbst der viel gerühmte Humor ist nichts als Verdunkelung. In Österreich will nichts ans Licht, weil sich der Österreicher nur im Dunkeln als Riese wähnen kann. Der Österreicher hat zu allem ein schlampiges Verhältnis. Leseprobe
Der alles aufkaufende Chinese prescht lediglich in diese Kerbe hinein und legt die Wunden des Ortes offen, zu denen auch die unter den Tisch gekehrte Nazi- Vergangenheit gehört. Der Plan, den Chinesen zu entführen, um seinen Machenschaften ein Ende zu setzen, führt die Dorfbewohner zurück in Othmars alten Partyclub, der sich im Inneren eines Bergs befindet. Doch das ist purer Aktionismus; eine bequeme Ausrede, sich nicht mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen zu müssen. Die wird Bad Regina letztendlich wie eine Lawine überrollen und beim Leser für einen Überraschungsmoment sorgen.
David Schalko blickt auf die Geschichte Österreichs und Europas
Genauso wie in seinem vorhergehenden Roman "Schwere Knochen" setzt sich David Schalko auch in "Bad Regina" mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs auseinander, die er literarisch gerne an kleinen Schauplätzen ansiedelt, wo in der Dorfkneipe Geschichte verhandelt wird.
In Österreich gibt es nur gute und böse Nazis. Der gute Nazi ist ein unterwürfiger Nazi. Und der böse Nazi ist ein garstiger Nazi. Sowohl die Unterwürfigkeit als auch die Bösartigkeit wurden in Österreich zu Sehenswürdigkeiten erklärt. Wenn man dem Österreicher beides nimmt, nimmt man ihm seine Natur. Leseprobe
Mit "Bad Regina" hat David Schalko nicht wie für die Presse angekündigt einen bitterbösen Roman geschrieben, der eine literarische Fantasie auf den Untergang Europas darstellt. Es ist ein fast schon liebevoll anmutender zärtlicher Text, der persönliche mit gesellschaftlichen Dramen verwebt, Humor versprüht, mit verschiedenen Stilmitteln realistisch auf die Geschichte Europas schaut und letztendlich auch die Arroganz der Europäer entlarvt, unantastbar zu sein.
Bad Regina
- Seitenzahl:
- 400 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Kiepenheuer & Witsch
- Bestellnummer:
- 978-3-462-05330-2
- Preis:
- 24,00 €
