Christian Berkel: Auf der Suche nach Identität
Als Schauspieler hat Christian Berkel schon viele Rollen eingenommen. In seinem neuen Roman "Ada" versetzt er sich in eine junge Frau, die aus der Elterngeneration heraustritt.
Wie ist es Ihnen gelungen, sich in eine weibliche Figur hinein zu fühlen? Warum haben Sie dieses Mittel gewählt?
Christian Berkel: Also das Letztere lässt sich vielleicht am wenigsten präzise, jedoch nicht minder aufrichtig beantworten: weil es sich einfach richtig angefühlt hat, es so zu tun. Ich kann es nicht viel besser beschreiben. Es war der Weg, auf dem ich plötzlich merkte, dass die Figur lebendig wird. Es geht ja nicht darum, dass man nur die Idee einer Figur zu Papier bringt.
Was das Hinein fühlen in die Figur betrifft, kommt mir vielleicht die Arbeit des Schauspielers zugute. Es gibt ja in der letzten Zeit viele Debatten darüber. Eine davon gab es in Amerika über eine weiße Autorin, die über eine mexikanische Figur geschrieben hat. Ein Mann sagte dann, das könne sie doch gar nicht, denn sie wisse ja nicht, wie es dem Menschen gehen würde. Wenn wir anfangen, so zu argumentieren, ist das das Ende der Kunst. Der nächste Schritt wäre dann - zugegeben, etwas flapsig gesprochen - dass ich erstmal jemanden umbringen müsste, um einen Mörder spielen zu können.
Die absolute Identität zwischen dem Autor und der Figur gibt es nie. Marcel Proust hat in diesem Zusammenhang den wunderbaren Satz geprägt: "der, der ich sagt, der ich aber nicht bin." Wenn ich mich nicht in andere Welten hineinversetzen könnte, wäre es mir gar nicht möglich, eine Geschichte zu schreiben. Dann könnte ich über gar keine Figur schreiben, weil ich ja immer ein anderer Mensch bin. Auch wenn ich aus der Perspektive eines Mannes schreibe, bin ich ja immer ein anderer Mann. Schließlich sind nicht alle Männer gleich - genau so wenig wie alle Frauen gleich sind. Alle Menschen sind sehr, sehr unterschiedlich.
Ich hatte das Gefühl, dass Ada und Sie trotzdem auch gewisse Punkte verbinden: zum Beispiel die Suche nach Identität, die auch unabhängig vom Geschlecht stattfinden kann.
Berkel: Absolut. Erst einmal ist jede Identitätssuche sehr individuell. Aber sicherlich gibt es einen Unterschied zwischen einer männlichen und einer weiblichen Identitätssuche. Allein schon dadurch, dass uns - ob wir das nun gut finden oder nicht - andere Rollenbilder zugeschrieben wurden, mit denen wir groß geworden sind. Wir sind davon geprägt und müssen uns damit auseinandersetzen.
Dennoch bin ich natürlich genauso in einer Welt mit Frauen aufgewachsen, die mich sehr stark geprägt haben. Gerade diesen unerforschten Teil unserer Persönlichkeit, der bei Frauen der männliche und bei Männern der weibliche Anteil sein kann, haben Ada und ich beide. Es ist ausgesprochen spannend, ihn zu erkunden.
Was haben Sie an sich entdeckt, was sie vor dem Schreiben von Ada noch nicht kannten?
Berkel: Ich würde nicht sagen, dass ich sie überhaupt nicht kannte - natürlich waren mir diese Anteile bewusst. Es war einfach toll, während dieser ganzen langen Zeit des Schreibens morgens aufzuwachen und mich damit auseinanderzusetzen. Ich habe mir allerdings nicht vorgenommen, mich nun als Frau an den Schreibtisch zu setzen, das wäre ja Quatsch. Es ist mein Blick darauf, es ist meine Fantasie. Außerdem weiß ja eh jeder, dass das Buch von einem Mann geschrieben wurde.
Das Gespräch führte Charlotte Oelschlegel.
