Buchdruck par excellence: Gerhard Steidl ist jetzt 70
Am 22. November hat der Verleger Gerhard Steidl seinen 70. Geburtstag gefeiert. Etwas Besonderes machte er aus diesem Ereignis nicht - "angestrengtes Nichtstun" stand auf dem Programm.
Der Göttinger Steidl Verlag ist bekannt für seine hochwertige und individuelle Buchgestaltung, sowohl bei Fotobänden berühmter Fotografen als auch bei literarischen oder politischen Büchern. Annemarie Stoltenberg hat für NDR Kultur mit dem Gründer und Chef Gerhard Steidl gesprochen.
An Ihrem Geburtstag werden Sie einfach weiterarbeiten, weil das Arbeiten mit Büchern auch das Zentrum Ihres Glücks bedeutet, ist das richtig?
Gerhard Steidl: Das ist korrekt, es ist aber auch Übung. Seit ungefähr 20 Jahren habe ich keinen freien Samstag und keinen freien Sonntag mehr gehabt, weil das meine schönen Arbeitswochenenden sind. Freizeit zu zelebrieren, liegt mir fern. Die Arbeitswochenenden genieße ich, weil da keiner kommen und mich stören darf. Ich halte zwei Tage lang den Schnabel und bastle vor mich herum, vertrödle die Zeit, habe Ideen, die ich dann skizziere, mache Zeichnungen für Buchumschläge, räume meinen Schreibtisch auf und erledige all jene Sachen, zu denen man während der Woche nicht kommt. Das ist ein angestrengtes Nichtstun.
Sind Sie als Verleger jetzt eigentlich noch mit dem Frühjahrsprogramm beschäftigt oder schon im Herbstprogramm 2021?
Steidl: Das Frühjahrsprogramm ist eigentlich fertig und muss nur noch gedruckt werden. Die Gedanken sind beim Herbstprogramm, denn das ist natürlich auch immer wichtiger, weil die Titel für das Weihnachtsgeschäft gemacht werden. Mit den Herbsttiteln fangen wir daher schon im Februar an. Von März bis Mai werden sie gedruckt, im Sommer sind sie dann in der Buchbinderei. Bei den visuellen Büchern ist der herstellerische Aufwand doch wesentlich größer als bei einem Roman. Da wird viel mehr Papier durch die Gegend geschleppt, auch das Binden ist aufwendiger, das Drucken sowieso. Dies alles muss gut organisiert sein, denn es gilt bei uns die eiserne Regel: Was bis zum Thanksgiving Day, das ist der 25. November, nicht im Buchhandel ist, ist zu spät für das Jahr. Deswegen muss man früh anfangen.
Werden Ihre Bücher eigentlich noch fadengeheftet?
Steidl: Ja, unsere Bücher sind fadengeheftet, weil es mich immer geärgert hat, wenn Seiten aus den Büchern herausfallen. Gehen Sie mal in ein Antiquariat und kaufen ein Buch mit 700 bis 800 Seiten, das fällt gleich auseinander und sie müssen es zum Buchbinder zur Reparatur geben. Eine Fadenheftung für ein Buch, einen Roman mit 280 Seiten, kostet ungefähr 16 Cent, das muss man einfach investieren. Wenn man das nicht hat, soll man auch keinen Verlag aufmachen.
Wie entsteht der gute Duft der Bücher?
Steidl: Ja, auch das habe ich lernen müssen. Ich gehe da eigentlich wie ein Parfümeur vor und komponiere eine olfaktorische Pyramide, mit Topnoten und mit Basisnoten. Das kann man tatsächlich mit Farben machen. Es ist so, dass ich meine Druckfarben mit Ölen anreichere, das sind organische Stoffe; es können aber auch petrochemische Stoffe sein. Auf unterschiedlichen Papieren entwickle ich unterschiedliche Gerüche, also wie ein Parfümeur. Ich war ganz stolz, als ich vor ein paar Jahren angefangen habe, darüber zu sprechen, dass Steidl-Bücher ganz gut riechen. Buchhändler haben mir erzählt, dass Leser neuerdings in die Buchhandlung kommen, das Buch unter die Nase halten und den Geruch bewerten. Also habe ich auch ein Stückchen Kultur wieder in das Gewerbe zurückgebracht.
Das Gespräch führte Annemarie Stoltenberg.
