Weihnachten in Israel: Mönch Nikodemus Schnabel aus Jerusalem
Der deutsche Benediktinermönch Nikodemus Schnabel lebt seit 20 Jahren in Jerusalem. In diesem Krisenjahr ist das Weihnachtsfest für den Abt der Dormitio-Abtei ernster als sonst und dennoch ein Fest der Hoffnung.
Herr Schnabel: Wie sieht denn Weihnachten bei Ihnen normalerweise aus?
Nikodemus Schnabel: Weihnachten ist normalerweise eine der ganz großen, klassischen Pilgersaisons. Viele Menschen träumen davon, Ostern einmal in Jerusalem, Weihnachten einmal in Bethlehem zu sein. Das heißt, normalerweise ist jetzt eigentlich die Zeit, wo man sich durch die Altstadt von Jerusalem schieben muss, wo die Hotels ausgebucht sind, wo man wirklich gucken muss, dass man ein Zimmer bekommt. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir jetzt gerade erleben. Die Städte Jerusalem sowie Bethlehem sind wie ausgestorben.
Und wie werden Sie denn dieses Jahr Weihnachten feiern?
Schnabel: Wir sind hier sehr bunt aufgestellt - nicht nur katholisch-evangelisch, sondern wir haben 13 verschiedene Konfessionen - zum Beispiel orientalisch-orthodoxe. Wir haben uns zusammengesetzt und es gab diesen Kompromiss, zu sagen: Wir feiern Weihnachten nicht auf der Straße - keine öffentlichen Christbäume, kein Straßenschmuck, keine Adventsmärkte. Aber natürlich wollen wir Weihnachten feiern - das Fest der Hoffnung. Das heißt, wer Weihnachtsschmuck sehen will, sollte in die Gottesdienste gehen. Dort wird Weihnachten gefeiert. In den Kirchen findet Weihnachten statt. Nur außerhalb, wenn man jetzt zum Beispiel durch Bethlehem läuft, wüsste man nicht, dass Dezember ist und dass Weihnachten vor der Tür steht. Dabei ist Bethlehem normalerweise eine geschmückte Stadt. Wir persönlich als Dormitio-Abtei feiern Weihnachten wie jedes Jahr, aber diesmal noch bewusster. Wir haben unsere berühmte Weihnachtsaktion, wo wir Menschen einladen. Wer will, kann auch heute noch mitmachen und uns auf der Homepage "Weihnachtsaktion Dormitio" Namen übermitteln, für die wir beten. Um 0.00 Uhr haben wir einen kleinen Gottesdienst. Jerusalem und Bethlehem sind Zwillingsstädte. Wir laufen die zehn Kilometer zu Fuß in der Nacht nach Bethlehem. Dort legen wir die Namen der Menschen auf dem Geburtsstern nieder und beten für sie. In den vergangenen Jahren waren es immer Menschen aus Deutschland, aus Europa, die gesagt haben: "Betet doch mal für mich" oder "für meine Lieben". Das machen wir dieses Jahr auch. Dieses Jahr haben aber auch sehr viele Namen von den Opfern des Krieges dabei, wo auch viele Juden und Muslime gesagt haben: "Bitte betet doch für die". Das tun wir gerne.
Es kommen überhaupt sehr viele Juden in ihren Gottesdienst. Warum kommen die in den christlichen Weihnachtsgottesdienst? Was können Sie denen mitgeben?
Schnabel: Als junger Mönch dachte ich immer, die anderen Mönche veräppeln mich, wenn sie gesagt haben: "Christmette wird voll mit Juden". Man glaubt seinen eigenen Augen nicht. Wir haben tatsächlich sogar Ordner, die dafür sorgen, dass die Menschen rein und rausgehen, weil unsere Kirche 300 Menschen gut fassen kann und das ist zu klein für dieses Interesse. Das sind oft aschkenasische Juden, die Vorfahren haben in Deutschland, in Osteuropa und die dann sagen: "Meine Großmutter bzw. mein Großvater hat mir erzählt, damals in Berlin und Frankfurt von dieser "Weih-Nukka". Das heißt zu Chanukka, zum jüdischen Fest, hat man die christlichen Nachbarn eingeladen und die christlichen Nachbarn haben die Juden zu Weihnachten eingeladen. Es gibt eine ganz alte Sehnsucht, dass man das erleben will. Und tatsächlich, wenn man dann "Stille Nacht" singt, singen die alle mit. Das ist hochinteressant. Aber natürlich wird es dieses Jahr alles sehr reduziert und still sein. Wir haben auch gemerkt, egal, ob Juden, Christen oder Muslime: In Feierlaune ist gerade wirklich niemand. Es gibt keinen Menschen, der nicht auch Angehörige hat, die gestorben sind. Viele trauern. Die Tonlage wird sehr ernst werden. In dieser Trauer ist aber natürlich die Botschaft der Hoffnung, dass Gott neues Leben schenken kann, dass Gott eine Zukunft ermöglicht - auch ein Zusammenleben, wenn wir Menschen das wollen. Das ist natürlich auch eine große Botschaft von Weihnachten. Für mich ist der Blick in die Krippe, wo ich das Gesicht eines Neugeborenen sehe, das Gesicht eines neuen Menschen. Ich hoffe, dass wir auch wieder lernen, uns neu ins Gesicht zu schauen.
Das Gespräch führte Franziska von Busse
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