Warum faszinieren uns die versunkenen Welten in Nord- und Ostsee?

Stand: 13.02.2024 09:52 Uhr

Im Mai wurde bei Hallig Südfall eine bislang unbekannte, zwei Kilometer lange Kette mittelalterlicher Warften, also künstlicher Siedlungshügel, erfasst, die zu dem versunkenen Ort Rungholt gehören sollen.

Keramikfunde aus dem Rungholt-Watt © picture-alliance / dpa Foto: Horst Pfeiffer
Beitrag anhören 7 Min

Auch Spuren der Kirche von Rungholt wurden entdeckt. 1362 soll Rungholt bei einer Sturmflut untergegangen sein. Die Forscherin Ruth Blankenfeldt war an dieser Entdeckung beteiligt.

Frau Blankenfeldt, warum fasziniert Menschen das Versunkene so sehr?

Ruth Blankenfeldt: Es ist bestimmt das Drama, was da eine Rolle spielt. Wir Menschen lieben einfach Geschichten. Das war schon immer so, Geschichten faszinieren. In dem Fall gibt es die mythische Verklärung eines reichen Handelsplatzes, in dem ein bisschen Exotik herrschte - wahrscheinlich durch fremde Menschen, die da ankamen und verhandelten. Dann heißt es auch, dass die Leute etwas gotteslästerlich gewesen sind, dass sie den Naturgewalten und auch Gott trotzen wollten und zur Strafe ganz brutal in einer Nacht im Januar alle mit Mann und Maus untergegangen sind. Viele tausend Menschen sind wahrscheinlich gestorben, das Vieh ist ertrunken, die Häuser wurden weggespült, die Landschaft war danach unbewohnbar. Das alles hat den Stoff für eine richtig gute Geschichte.

Weitere Informationen
Ein Relikt des in der Nordsee versunkenen Ortes Rungholt: ein Backsteinrest. © picture alliance / dpa Foto: André Klohn

Funde im Watt: Handelt es sich um die Kirche von Rungholt?

Forscher haben bei der Hallig Südfall Spuren einer Kirche im Watt gefunden. Was spricht dafür, dass es sich wirklich um die Kirche von Rungholt handelt? mehr

Sie sprechen den Mythos Rungholt an. Wie sind Sie an der aktuellen Forschung beteiligt? Was haben Sie da schon alles entdeckt?

Blankenfeldt: Wir haben zum einen den Job, dass wir vorher nach Quellen suchen: Was ist überliefert worden? Was kennen wir? Was haben wir schon für Gegenstände, die in der Gegend zutage gekommen sind? Es gibt ganz in der Nähe von diesem Ort, wo wir die neue Warftenkette haben, einen Gezeitenpriel, der jeden Tag Strukturen auf- und abdeckt und wo man schon seit Jahren immer wieder absammelt. Dort wird unheimlich viel Keramik, Tierknochen und Dinge des alltäglichen Lebens freigespült. Wir haben zum Beispiel schon mehrere Schlittknochen gefunden, also eine Art Kufen aus alten Knochen, die man sich im Winter unter die Schuhe geschnallt hat. Inzwischen ist auch viel mit ehrenamtlichen Detektor-Gängern viel gemacht worden, sodass man auch metallene Gegenstände gefunden hat. Ich bin unheimlich gern im Feld und meine Herzensangelegenheit ist das Ausgraben. Das ist natürlich im Watt etwas schwieriger und etwas anders als bei normaler Landesarchäologie.

Sie haben da auch schon Pferdeköpfe entdeckt, habe ich gelesen.

Blankenfeldt: Ja. Ich habe mal an einem Tag in diesem Priel drei Pferdeköpfe gefunden und habe sie alle sieben Kilometer bis zur Einstiegsstelle in Nordstrand zurückgetragen. Die sind dann in Schleswig in Schloss Gottorf in einer Arbeitsgruppe für Archäologie und Zoologie angenommen worden. Das sind wahrscheinlich Tiere, die ebenfalls bei dieser katastrophalen Flut untergegangen und ertrunken sind.

Weitere Informationen
Fundstücke im NordseeMuseum © dpa Foto: Horst Pfeiffer

Rungholt: Mythos über Nordfrieslands "Atlantis der Nordsee"

Der Untergang des Ortes soll eine Strafe Gottes gewesen sein. Erst vor Kurzem fanden Forscher heraus, wo das nordfriesische Rungholt lag. mehr

Neben Rungholt gibt es viele Orte in der Ostsee oder anderswo - Vineta vor Usedom zum Beispiel -, deren Existenz erst erforscht wird. Glauben Sie, dass es noch viel mehr versunkene Orte gibt, als wir das bisher wissen?

Blankenfeldt: Das glaube ich auf jeden Fall. Das ist sowohl das Watt als auch subaquatische Gebiete. Sachen, die ständig unter Wasser liegen, sind ja viel sperriger zu erforschen, als es bei der Landesarchäologie ist - und die ist schon herausfordernd genug. Ich denke da zum Beispiel an Kap Arkona auf Rügen. Da werden wir mit Sicherheit noch ganz schöne Überraschungen erleben. Das Tolle ist, wenn wir den Dingen auch einen Namen geben können, wenn wir Wracks finden und sie mit einem Ereignis verbinden können. Wir wissen auch nicht hundertprozentig, ob wir in "dem" Rungholt unterwegs sind. Es gab ein Rungholt, aber es gab weitere Gemeinden drumherum. Wir benutzen Rungholt auch als Synonym für diese komplette Kulturlandschaft, die um Südfall von uns erforscht wird und die untergegangen ist.

Ich kann mir vorstellen, dass es ein besonderes Arbeiten ist, wenn man bei seinem Job auch immer mit Legenden zu tun hat, oder? Also nackte Wissenschaft gegen überlieferte Geschichten.

Blankenfeldt: Ja, das ist schön. Ich bin von Haus aus gar kein Mittelalterarchäologe, sondern habe mich viel mit der Zeit nach null in Nordeuropa mit Opferplätzen der Germanen beschäftigt. Da ist es viel mühsamer, die Geschichte rauszulocken - und das ist das, was mich packt. Es ist nicht nur der Gegenstand und wie ihr hergestellt ist - obwohl das auch schon toll ist. Aber wenn wir es dann schaffen, das Ganze mit Leben und mit einem Menschen, mit einer Gemeinschaft zusammenzubringen, ist es das Beste, was uns passieren kann.

So ist es mit Rungholt natürlich auch. Ich mag dieses Gedicht von Liliencron unheimlich gerne, was diesen Mythos auch begründet hat, und stelle mir gerne vor, wie es dort ausgesehen hat. Waren das wirklich diese reichen Menschen, die da umhergingen, so wie er es zum Beispiel schildert? Er sagt zum Beispiel: "Die Sänften tragen Syrer und Mohren, mit Goldblech und Flitter in Nasen und Ohren." Das ist natürlich übertrieben, aber das ist ein Synonym dafür, dass da ein bisschen Exotik war. Wie haben die Menschen überhaupt gewohnt? Wir sind in diesem fantastischen Naturraum unterwegs, jeder Tag ist anders, aber es ist eben auch anstrengend., und es muss für die damaligen Menschen auch sehr anstrengend gewesen sein. Man hatte noch keine Funktionskleidung, keine hochwertigen Gummistiefel oder Kleispaten, sondern man musste sehr mühsam dieses Land kultivieren. Dafür muss es auch Gründe gegeben haben. Anscheinend hat man es geschafft, sich gut zu arrangieren, zumindest vor den Fluten, und dort ein gutes Leben zu führen.

Das Interview führte Eva Schramm.

Weitere Informationen
Das Bild zeigt eine grafische Rekonstruktion eines Steinwalls als Treibjagdstruktur in einer spätglazialen/frühholozänen Landschaft. © Micha· Grabowski/Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde/dpa Foto: Micha· Grabowski/Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde/dpa

Sensationsfund in der Ostsee: 11.000 Jahre alte Mauer vor Rerik

Sie liegt in 21 Metern Tiefe in der Mecklenburger Bucht. Forscher glauben, dass Eiszeitjäger die Mauer für die Rentierjagd errichtet haben. mehr

Das Gemälde "Fischerboot und Schlepper an stürmischer Küste" von Georg Sommer (1848-1917) © picture alliance / akg-images | akg-images

Sagenhafter Norden: Von wilden Meermännern, Geistern & Co.

Ekke Nekkepenn, die Schwarze Grete, die Önnerärske: In Norddeutschland gibt es viele Sagengestalten, die heute kaum noch jemand kennt. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 31.05.2023 | 17:15 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Meer und Küste

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Eine große Fan-Masse steht vor der Hauptbühne beim Hurricane-Festival in Scheeßel. © picture alliance / dpa Foto: Hauke-Christian Dittrich

Hurricane 2024: Line-up steht, Editors und Ruby Waters mit dabei

Neben den Headlinern Ed Sheeran, Avril Lavigne und Deichkind wird es fast 80 Acts auf den Bühnen in Scheeßel geben. mehr