Die Aufschrift "Do Not Touch" wird auf den Körper einer jungen Frau projiziert. © picture alliance / Zoonar

Sexuelle Belästigung: Immer mehr Fälle in der Kultur- und Medienbranche

Stand: 12.10.2022 16:46 Uhr

Als Folge der #MeToo-Debatte wurde Themis gegründet, eine Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in der Kultur- und Medienbranche. Ein Gespräch mit dem Vorstandsmitglied Eva Hubert.

Frau Hubert, 2021 gab es 235 Fälle bei Themis, Tendenz steigend. Das klingt erst einmal nach viel.

Eva Hubert: Das ist auch viel, zumal jeder Fall auch noch mehrere Beratungsgespräche nach sich zieht. Die Fälle bedeuten also nicht gleich, dass es mit einem Kontakt erledigt ist.

Wie sehen solche Beratungsgespräche aus?

Hubert: Es wird entweder in der Themis-Hotline angerufen oder es wird ein Termin vereinbart, und dann spricht entweder eine juristisch oder eine psychologisch geschulte Beraterin mit den Betroffenen. Es wird erst mal der Fall erzählt, wobei die Betroffenen, die sich bei Themis melden, meistens sagen, sie seien sich nicht so sicher, ob das wirklich Belästigung war. Das Ganze ist sehr schambehaftet. Aber unsere Beraterinnen sagen, dass es in fast allen Fällen sexuelle Belästigung ist. Dann diskutieren sie mit dem oder der Betroffenen, was daraus folgt, was gemacht werden kann. Wobei viele sagen, dass sie sehr dankbar sind, dass sie sich einfach mal aussprechen konnten, dass sie das loswerden konnten. Manchen reicht auch so ein Kontakt.

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In diesen Beratungsgesprächen wird auch definiert, wo sexuelle Belästigung beginnt. Wie tun Sie das?

Hubert: Es gibt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), wo ganz klar festgelegt ist, dass sexuelle Belästigung auch schon der Fall ist, wenn hinterhergepfiffen wird, wenn man sexistische Witze macht, wenn man sich unbotmäßig über Kleidung und Aussehen äußert. Das AGG sagt auch, dass die Person, die betroffen ist, darüber entscheidet, wo ihre Grenzen überschritten sind. Es ist nicht so, dass es einen 100-Punkte-Katalog gibt, und wenn man 50 davon erreicht hat, ist es sexuelle Belästigung und sonst nicht. Das ist eigentlich klar im AGG definiert.

Es gibt Zahlen des Bundesverbands Schauspiel, wonach vier von fünf Schauspielerinnen bereits sexuelle Grenzverletzungen erlebt haben und auch sehr viele männliche Kollegen. Warum ist diese Branche so anfällig dafür?

Hubert: Zum einen ist es eine Branche, die sehr körperlich ist. Am Theater haben Schauspieler oder Schauspielerinnen viel zwischenmenschlichen Kontakt, die Rollen erfordern oft Kontakt. Als Musikerin oder als Musiker wird einem auch gezeigt, wie das Instrument vielleicht noch besser zu halten ist. Ich sage das deshalb, weil Themis seit Januar auch für die Musik zuständig ist. Da sagen viele, dass es auch unerwünschte körperliche Kontakte gibt. Gleichzeitig haben wir es mit einer Branche zu tun, die insofern sehr hierarchisch ist, weil es in der Regel an der Spitze nur ganz wenige Personen sind, die entscheiden, wer für diese befristeten Tätigkeiten die Jobs bekommt. Von daher ist man auf deren Wohlwollen angewiesen, dass man überhaupt arbeiten kann. Das ist ein Problem der Branche.

Was sind Parallelen, was sind Unterschiede, wenn man die Musikbranche mit den darstellenden Künsten vergleicht?

Hubert: Parallelen sind, dass es da auch körperliche Kontakte gibt, vor allen Dingen in der Ausbildung. Wenn sie ein Musikinstrument erlernen, erlernen sie das zum Teil im Einzelunterricht, und die Fälle, die wir kennen, passieren meistens in diesem Zusammenhang. Ansonsten gibt es im Musikbereich viele Freiberufler, und die müssen sich natürlich auch entsprechend aufstellen.

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Ein Screenshot mit der Aufschrift #metoo © fotolia.com / Screenshot NDR Foto: SFotolEdhar

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Mittlerweile sind wir in der Öffentlichkeit bisweilen auch in so einer "Man wird ja wohl noch dürfen"-Debatte. Letzten Sommer ging es zum Beispiel um einen Schlager, in dem eine "Puffmutter" in unguter Weise thematisiert wird. Kann es sein, dass alles, worüber wir diskutieren, in einer Blase stattfindet und nicht wirklich in der Gesellschaft ankommt?

Hubert: Sexuelle Belästigung und Gewalt gibt es ja nicht nur im Kulturbereich, sondern in jeder Branche. Ich finde, Lieder mit sexistischem Inhalt muss man nicht zu hoch spielen. In der Operette findet man wahrscheinlich furchtbar viele Sachen, die nicht politisch korrekt sind. Aber ich finde, da kann man sich auch ein bisschen locker machen.

Ist die steigende Tendenz bei den Fällen ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Kommt mehr zutage oder passiert immer mehr?

Hubert: Ich finde das insofern ein gutes Zeichen, weil sich tatsächlich mehr Menschen trauen, sich zu melden. 85 Prozent derjenigen, die sich melden, sind Frauen, und ungefähr 15 Prozent sind Männer. Themis ist also durchaus auch für Männer zuständig. Dass man sich überhaupt traut, über diese Vorfälle zu reden, finde ich ein gutes Zeichen. Das ist uns auch wichtig, weil man nur so dazu kommen kann, dass es irgendwann vielleicht möglich sein wird, dass dieses Thema nicht so schambehaftet ist, sondern man darüber ganz offen reden kann und man offen miteinander diskutiert, wie man solche Missstände abstellt.

Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 12.10.2022 | 16:30 Uhr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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