Zwei Bronzepferde von Joseph Thorak beim Transport nach Berlin © picture alliance/dpa | Britta Pedersen

"Schreitende Pferde": Wie darf Nazi-Kunst präsentiert werden?

Stand: 14.10.2022 18:55 Uhr

Zwei überlebensgroße Bronzepferde des österreichischen Bildhauers Josef Thorak sind in Berlin angekommen. Die Pferde zierten einst die Neue Reichskanzlei, galten nach Kriegsende jedoch lange als verschollen.

2015 wurden sie bei einer Razzia in Bad Dürkheim wiederentdeckt und sollen nun in der Zitadelle in Spandau ausgestellt werden. Urte Evert, die Leiterin der Zitadelle Spandau, hat mit uns über den künstlerischen und historischen Wert dieser und anderer NS-Kunst sowie die Aufarbeitung und das öffentliche Interesse an den "Schreitenden Pferden" gesprochen.

Frau Evert, welchen künstlerischen Wert haben diese Skulpturen?

Urte Evert: Der künstlerische Wert ist nicht ganz einfach festzustellen. Aus meiner Sicht haben sie eher historischen Wert. Künstlerischer Wert ist allein schon der Materialwert. Nun gehört Josef Thorak nicht unbedingt zu denjenigen, die auch noch nach der nationalsozialistischen Zeit ihre Berühmtheit aufrechterhalten konnten. Er konnte zwar weitermachen, hat dann aber eher mit religiösen, kleinen Skulpturen weitergemacht. Und anders als Arno Breker ist er auch nicht im Gedächtnis geblieben.

Die Skulpturen sind drei Meter groß - werden die in Gänze gebracht?

Evert: Sie werden in Gänze auf die Zitadelle gebracht. Wir haben auch schon beide in der Zitadelle: Das eine Pferd ist bereits im Schaudepot, wo es dann gezeigt werden kann, und das zweite wird in die "Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler"-Ausstellung gebracht. Da können wir dann die Verpackung abnehmen und gucken, wie es aussieht. Da wird sich der Restaurator das auch nochmal genauer anschauen.

Warum zeigen Sie die Pferde getrennt voneinander? Die sind doch ein Duo.

Evert: Ja, das stimmt. Das hat einerseits pragmatische Gründe. Einmal ist der Raum, der für die Denkmäler 1933 bis 1945 in der "Enthüllt"-Ausstellung bereitsteht, nicht der größte Raum. Die beiden Pferde hätten also die Barrierefreiheit eingeschränkt. Gleichzeitig habe ich daraus aber tatsächlich ein Konzept gemacht: Ich trenne die beiden, dadurch entwickeln sie nicht mehr die Überwältigungwirkung, die sie ursprünglich haben sollten.

Was erreicht eine Einordnung, wenn man in den nächsten Wochen in der Zitadelle in Spandau diese Thorak-Pferde sieht?

Evert: In der "Enthüllt"-Ausstellung wird es in der Medienstation eine Reihe geben, in der die Geschichte der Thorak-Pferde erzählt wird - vor allem die Geschichte nach 1945, die eigentlich fast die spannendste ist, weil sie so viel über Erinnerungskultur in Ost- und Westdeutschland erzählt, und über merkwürdige Leidenschaften, die Menschen ergreifen.

Auf unseren neuen Podcast Kunstverbrechen bekommen wir zum Teil höchst erstaunliche Reaktionen von Menschen, die fragen, wo sie so etwas kaufen können. Auch bei Ihnen gibt es ein sehr großes Interesse an solchen Werken, oder?

Evert: Ja, tatsächlich gibt es ein großes Interesse daran. Ich hatte heute schon mehrere Anrufe, wann die Pferde zu sehen sein werden. Das können wir jetzt noch nicht genau sagen, weil der Restaurator sich alles erst einmal ganz genau anschauen muss und wir auch die Räume wieder herrichten müssen, die wir jetzt ein bisschen auseinander nehmen mussten, damit die Pferde da überhaupt rein kommen. Vor Mitte Ende November wird das nicht der Fall sein. Kaufinteressenten hatten wir bis jetzt noch nicht - Gottseidank -, aber sehr viele Besucherinnen und Besucher, die sich wegen der Pferde auf den Weg machen wollen.

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Also einschlägig interessiert an nationalsozialistischer Kunst - oder wie ist da Ihre Analyse?

Evert: Vielleicht nicht unbedingt nur an der Kunst, sondern an der Aura des Objekts, glaube ich. Die Leute möchten gerne selber sehen, um was es da eigentlich geht. Im Endeffekt wird man etwas überdimensionierte Pferdeskulpturen sehen, viel mehr sieht man da auch nicht. Es ist die Geschichte dahinter, die besonders interessant ist.

Es gibt gerade eine Diskussion um die Pinakothek in München: Der deutsche Künstler Georg Baselitz sagt, so etwas wie "Die vier Elemente" von Adolf Ziegler - ähnliche Kategorie von Kunst mit nordisch-idealschönen, leicht bekleideten Damen - so etwas sollte man in der Pinakothek nicht zeigen. Wie schätzen Sie das ein?

Evert: Ich denke, es ist interessant, dass diese Diskussion aufkommt, und ich finde es immer schön, wenn über so etwas gestritten wird. Ich selbst bin der Meinung, dass so etwas gezeigt werden sollte. Jetzt spreche ich allerdings nicht aus kunsthistorischer, sondern aus historischer Sicht. Den kunstgeschichtlichen Wert kann ich weniger einschätzen als das, was hinter diesen Objekten steht und was man damit vermitteln kann. Ich bin der festen Überzeugung, dass es besser ist, diese Dinge zu zeigen, im Kontext natürlich, und auch möglichst viele verschiedene Dinge dazu zu sagen, damit sich die Leute selbst ein Bild machen können, und vor allem das Ganze nicht zu mystifizieren. Wenn diese Dinge weggesperrt werden, dann entsteht gleich wieder so eine geheimnisvolle Aura drumherum, die eigentlich komplett unnötig ist.

Die Objekte sind auch ein bisschen kitschig, oder?

Evert: Aus meiner kunsthistorischen Laiensicht empfinde ich das auch als Kitsch. Das ist aber auch jedem selbst überlassen, der sich das anschaut. Bei den Thorak-Pferden sieht das einfach nicht so wahnsinnig gekonnt aus, die sind so unnatürlich muskulös, sollen aber gleichzeitig einen realistischen Anstrich haben, weil eigentlich eher der Realismus in der nationalsozialistischen Zeit goutiert wurde. Es ist nicht mein Geschmack, sagen wir es mal so. Sie sind auch ein bisschen lustig, wenn man diese dicken Hälse zum Beispiel sieht.

Das ist eine klare Botschaft als Museumsleiterin. Was wäre Ihr Ziel, wenn Sie die Ausstellung entwerfen? Wie sollen die Leute das erleben?

Evert: Ich erhoffe mir, dass auch ein bisschen daraus gelernt wird oder dass so etwas wie Aufarbeitung, auch in der einzelnen Person stattfindet. Aber das ist nur eine eine ganz große Hoffnung, das kann ich natürlich nicht forcieren.

Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 14.10.2022 | 17:30 Uhr

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NS-Zeit

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